Nun gut, nicht nur in Münster, aber hier sicherlich, und vor allem nicht selten, erleben wir folgende Verkehrssitutaion: Es kommt zu einer Fahhradunfall zwischen zwei Radfahrern, bei dem die spätere Klägerin auf dem Radweg entgegen der Fahrtrichtung fuhr. Der Beklagte kam mit seinem Fahrrad aus einem verkehrsberuhigten Bereich, um nach rechts auf den Radweg einzubiegen. Beide Radfahrer stießen im Einmündungsbereich zusammen. Die Klägerin stürzte und zog sich nicht unerhebliche Verletzungen zu. Sie forderte vom Beklagten Schadenersatz in Höhe von 100 %. Sie war der Auffassung, der Beklagte habe den Unfall allein verschuldet; denn er habe vom verkehrsberuhigten Bereich der Straße nur so einbiegen dürfen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei.
So nicht, sagt das OLG Hamm. Urt. v. 06.06.2014 – 26 U 60/13 – und kommt zu einer Haftungsquote von 2/3 zulasten des Radfahrers/Beklagten und 1/3 zulasten der Radfahrerin/Klägerin:
cc) Nach Auffassung des Senats trifft den Beklagten ein höheres Verschulden an dem Zusammenstoß. Das Verschulden der Klägerin tritt indessen nicht vollständig zurück, so dass bei Abwägung der beiderseitigen Verschuldensanteile eine Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Beklagten angemessen erscheint.
(1) Die überwiegende Haftung des Beklagten ist deshalb gerechtfertigt, weil ihn ein besonders schwerer Sorgfaltspflichtverstoß trifft. Er hätte gem. § 10 StVO nicht nur eine Verletzung der Klägerin verhindern müssen, sondern schon ihre Gefährdung ausschließen müssen, indem er besonders vorsichtig auf den Radweg an der C Straße hätte einbiegen müssen. Er war verpflichtet, auf den bevorrechtigten Verkehr auf dem Radweg zu achten und hätte sich dementsprechend umsichtig verhalten müssen. Dabei kam es nicht darauf an, aus welcher Richtung der bevorrechtigte Querverkehr kam. Der Schutz des § 10 StVO entfiel für die Klägerin nicht etwa deshalb, weil sie den Radweg entlang der C Straße in falscher Richtung befahren hat. Ihr Verstoß gegen § 2 Abs. 4 StVO war für ihr Vorfahrtsrecht unerheblich. Der Vorrang des fließenden Verkehrs steht in den Fällen des § 10 StVO grundsätzlich den Benutzern der gesamten Fahrbahn zu. Selbst der einen Radweg in verkehrter Richtung benutzende Radfahrer hat deshalb Vorrang (KG, DAR 1993, 257; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Auflage 2012, § 10 Rn. 2; Jagusch-König, StVR, 42. Aufl., § 10 Rn. 14).
(2) Andererseits kommt entgegen der Auffassung der Klägerin keine Alleinhaftung des Beklagten in Betracht. Die Klägerin trifft ein Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB, da ihr vorzuwerfen ist, dass sie die Gefahrensituation hätte voraussehen können. Sie ist – wie sie selbst im Senatstermin eingeräumt hat – vorsätzlich entgegen § 2 Abs. 4 StVO auf dem für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Radweg gefahren. Die sich daraus ergebenen Gefahren hätte sie erkennen und deshalb vorsichtiger an die Straße „B“ heranfahren müssen. Entgegen ihrer Auffassung steht dem nicht entgegen, dass sie grundsätzlich vorfahrtberechtigt gewesen ist. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, durfte die Klägerin nicht darauf vertrauen, dass ihr grundsätzliches Vorfahrtrecht beachtet werden würde. Sie hätte sich vielmehr darauf einstellen müssen, dass ihr Vorfahrtrecht missachtet werden könnte, zumal der Einmündungsbereich wegen des Bewuchses nur schlecht einsehbar war. Nach OLG Hamm, NZV 1997, 123 schafft der Umstand, dass der Radfahrer in derartigen Fällen grundsätzlich vorfahrtberechtigt ist, keine besondere Vertrauensgrundlage, wenn er sich seinerseits nicht verkehrsgerecht verhält. Die Klägerin konnte deshalb nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte anhalten und sie durchfahren lassen würde. Eine auf ihre eigenen Interessen bedachte Radfahrerin hätte sich der Einmündung von vornherein nur so vorsichtig genähert, dass sie einem von für sie von links kommenden Fahrzeug hätte ausweichen können. Darauf, dass der Beklagte sie selbst rechtzeitig bemerken und anhalten würde, durfte sie nicht ohne weiteres vertrauen.
b) Die Klägerin kann unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 Schadensersatz und Schmerzensgeld von dem Beklagten verlangen, wobei die geleisteten Zahlungen zu berücksichtigten sind.“
Wie gesagt: Gegen die Fahrtrichtung auf dem Fahrradweg – in Münster keine Seltenheit.