Im Besetzungsstreit um den Vorsitz des 2. Strafsenats des BGH ist offenbar ein wenig Ruhe eingekehrt, zumindest nach außen bzw. vielleicht dringt auch nichts mehr nach außen. Nun hat es aber noch einmal eine Entscheidung gegeben, die zwar nicht unmittelbar in dem „Besetzungsstreit“ ergangen ist, aber mittelbar mit ihm zu tun hat. Im Verfahren 2 StR 620/11 hatte der Angeklagte die Senatsmitglieder wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, die vorschriftswidrige Besetzung des 2. Strafsenates gerügt und geltend gemacht, es gebe Anhaltspunkte dafür, dass die abgelehnten Richter nicht in der ihnen durch das Grundgesetz eingeräumten Unabhängigkeit entscheiden, sondern sich bei ihren Entscheidungen durch einen durch das Präsidium des BGH ausgeübten Druck bestimmen lassen. Begründet worden ist das wie folgt:
„Die abgelehnten Richter hätten als Mitglieder der Spruchgruppe 2 des 2. Strafsenates mit Beschluss vom 11. Januar 2012 (2 StR 346/11) festgestellt, dass der Senat nicht ordnungsgemäß besetzt sei und das Verfahren ausgesetzt, weil die Zuweisung des Senatsvorsitzes an den abgelehnten Vorsitzen-den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann durch den Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs mit Verfassungsrecht nicht in Einklang stehe (anders die Spruchgruppe 1 des 2. Strafsenates, vgl. Urteil vom 11. Januar 2012 – 2 StR 482/11). Am 8. Februar 2012 hätten sie gleichwohl in demselben Verfahren durch Urteil in der Sache entschieden. Aus Presseveröffentlichungen gehe hervor, dass ein Mitglied des Senats in der mündlichen Verhandlung über die Strafsache 2 StR 346/11 am 8. Februar 2012 dem Präsidium des Bundesgerichtshofs vorgeworfen habe, in dieser Sache auf die Rechtsprechung des Senates Einfluss genommen zu haben. Da unter der Beteiligung der abgelehnten Mitglieder des 2. Strafsenates an demselben Tag eine Sachentscheidung ergangen sei, obwohl sie weiterhin davon überzeugt seien, für diese nicht zu-ständig zu sein, müsse der Beschwerdeführer befürchten, dass diese mit den Grundlagen des juristischen Denkens nicht vereinbare Handlungsweise auf einer Druckausübung durch das Präsidium beruhe, sich mithin die abgelehnten Richter erfolgreich unter Druck hätten setzen lassen und so ihre Unabhängigkeit selbst aufgegeben hätten. Der Beschwerdeführer müsse auch befürchten, dass Richter, die bereits einmal hierzu bereit gewesen seien, sich auch weiter-hin dem durch das Präsidium ausgeübten Druck beugen würden. …“
Der 2. Strafsenat hat das Ablehnungsgesuch mit BGH, Beschl. v. 09.05.2012 – 2 StR 620/11 – zurückgewiesen. Aus der Begründung:
„..Der Beschwerdeführer hat bei vernünftiger Würdigung aller Umstände, unter besonderer Berücksichtigung der Gründe der Entscheidung vom 8. Februar 2012, keinen Anlass, an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der abgelehnten Richter zu zweifeln. Unerheblich ist der von einem der abgelehnten Richter in seiner dienstlichen Erklärung aus seiner subjektiven Wahrnehmung geschilderte Ablauf seiner Anhörung am 18. Januar 2012 vor dem Präsidium. Ebenso kann dahinstehen, ob ansonsten durch das Präsidium – wie ein anderer abgelehnter Richter, der am 18. Januar 2012 nicht angehört wurde, dienstlich erklärt hat – nach seinem subjektiven Eindruck und Empfinden ein hoher Druck aufgebaut wurde, die Rechtsprechung der Spruchgruppe 2 des Senates zu ihrer Besetzung aufzugeben. ….
…Der Senat hat dies mit dem rechtsstaatlichen Beschleunigungsgebot und dem Gebot der Rechtsschutzgewährung begründet und ausdrücklich darauf hinge-wiesen, dass es nicht zu Lasten der Rechtsmittelführer gehen dürfe, dass das Präsidium des Bundesgerichtshofs die Rechtsprechung der Spruchgruppe 2 des Senates nicht umgesetzt habe.
Auch soweit es im Urteil vom 8. Februar 2012 heißt, dass „die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG partiell zurückstehen“ müsse und der Senat „nach der Entscheidung des Präsidiums gehalten“ sei, „in seiner Meinung nach verfassungswidriger Besetzung zu entscheiden“, rechtfertigt dies bei vernünftiger Würdigung kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter. Die betreffenden Formulierungen sind – ungeachtet des auch an dieser Stelle wegen des Beratungsgeheimnisses offen bleibenden Abstimmungsverhaltens der einzelnen Richter – erkennbar in den dargelegten argumentativen Zusammenhang des Urteils eingebettet. Sie beschreiben insofern lediglich die Konsequenz mit Rücksicht auf die in der konkreten Situation als höherrangig bewerteten Gebote der Beschleunigung und der Rechtsschutzgewährung in der Sache zu entscheiden, obwohl sich die Spruchgruppe 2 des Senates nicht für ordnungsgemäß besetzt hält.“
Irgend wann – hoffentlich nicht zu spät – wird sich sicherlich das BVerfG zu der Frage äußern dürfen/müssen…