Strafzumessung bei Bagatelldelikten ist nicht einfach. Das zeigt einmal mehr der OLG Naumburg, Beschl. v. 28.06.2011 – 2 Ss 68/11. Das OLG hat eine landgerichtliche Entscheidung wegen nicht ausreichender Feststellungen des AG zum Einfluss von Persönlichkeitsstörungen auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgehoben und dann in einer „Segelanweisung“ zur Strafzumessung Stellung genommen. Das AG hatte die mehrfach, zum Teil einschlägig vorbestrafte und nach Aussetzung einer Restfreiheitsstrafe von ca. 10 Monaten unter Bewährung stehende Angeklagte wegen Diebstahls und Erschleichens von Leistungen in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. FDas LG hatte die Berufung der Angeklagten verworfen.
Das OLG führt u.a. aus:
„…… Sowohl bei den Leistungserschleichungen als auch im Falle des Diebstahls überwiegen die für die Angeklagte sprechenden Umstände. Dennoch gelangt das Landgericht zu kurzen Freiheitsstrafen zwischen zwei und vier Monaten und zwar gestützt auf die Vorstrafen, die sich hieraus ergebende Bewährung, die Rückfälligkeit und das zwangsläufig damit einher gehende Bewährungsversagen. Diese Momente können zweifelsohne die Schuld erhöhen. Sie dürfen aber nicht dazu führen, die konkrete Tat aus dem Blick zu verlieren und ohne Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Vorstrafen und erneutem Straffälligwerden den Vorstrafen das Primat bei der Strafzumessung einzuräumen. Ist die Tatschuld gering, können auch einschlägige Vorstrafen ohne weitergehende besondere erschwerende Umstände nicht zu einem wesentlich höheren Unrechtsgehalt der Tat führen (OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; OLG Stuttgart NJW 2007, 37, 38; OLG Hamm, Beschluss vom 18. November 2002, 2 Ss 768/02 – zitiert in juris; Beschluss vom 10. Januar 2008, 3 Ss 491/07 – zitiert in juris). Die auf die konkrete Tat bezogene Schuld hat limitierende Funktion. Es ist nicht zulässig, die schuldangemessene Strafe aus spezial- oder generalpräventiven Gründen heraus zu überschreiten. Deshalb verbietet sich ein Automatismus, wonach einschlägige Vorstrafen selbst bei geringsten Taten stets zu einer erhöhten Strafe führen. Das Urteil des Landgerichts lässt aber genau diesen tatunabhängigen Effekt der Vorstrafen der Angeklagten und damit eine fehlerhafte Rechtsanwendung (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig/Stree, § 46 Rdn. 65 m.w.N.) besorgen. Es ist im Einzelfall natürlich nicht ausgeschlossen, eine erhöhte persönliche Schuld festzustellen und daher eine Freiheitsstrafe zu verhängen (BGH NJW 2008, 672 f. [BGH 15.11.2007 – 4 StR 400/07]; BayObLG NJW 2003, 2926, 2927 m.w.N.; OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Hamburg NStZ-RR 2004, 72, 73; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25. Oktober 2005, 2 St OLG Ss 150/05 – zitiert in juris). Zu beachten bleiben aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, welche sich in ihrer Strafe begrenzenden Wirkung mit dem Schuldprinzip decken (BVerfG NJW 1979, 1039, 1040 [BVerfG 17.01.1979 – 2 BvL 12/77]; Beschluss vom 7. Januar 1999, 2 BvR 2178/98). Wird die schuldangemessene Strafe überschritten, ist das Übermaßverbot verletzt (OLG Hamburg aaO.). Der Tatrichter muss deshalb in Fällen wie diesem – Persönlichkeitsdefizite der Angeklagten und Bagatellschäden – zu erkennen geben, dem Übermaßverbot und dem Vorrang der Tatschuld Rechnung getragen zu haben. …….“