ich stelle heute drei StPO-Entscheidungen vor, und zwar zweimal BGH, einmal OLG.
Ich beginne mit einem Klassiker, nämlich dem nach einer Übernahme/Verbindung von Verfahren fehlenden Eröffnungsbeschluss. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 30.01.2024 – 5 StR 577/23.
Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe verurteilt. Dagegen die Sachrüge, die teilweise Erfolg hat. Der BGH hat in einem der „Verurteilungsfälle“ aufgehoben und das Verfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er dann die Jugendstrafe aufgehoben:
„1. Die Verurteilung im Fall II.2 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt.
a) Die Staatsanwaltschaft hat im Fall II.2 der Urteilsgründe Anklage zum Amtsgericht und nachfolgend im Fall II.1 Anklage zum Landgericht erhoben. Die Strafkammer hat am 25. Januar 2023 in der bei ihr anhängigen Sache die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen. Das Amtsgericht hatte keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen, als das Landgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2023 das beim Amtsgericht anhängige – sowie ein weiteres – Verfahren übernommen und die Sachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Nach Beginn der Hauptverhandlung hat die Strafkammer das Verfahren nach § 270 Abs. 1 StPO an die Jugendkammer verwiesen, weil der Angeklagte bei Tatbegehung noch Heranwachsender gewesen sei. Mit Beschluss vom 14. April 2023 hat die Jugendkammer unter anderem die Besetzung mitgeteilt; ferner hat der Vorsitzende am gleichen Tag den Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen beider Anklagevorwürfe verurteilt.
b) Hinsichtlich der Tat II.2 ist die Hauptverhandlung ohne Eröffnungsbeschluss durchgeführt worden. Eine dahingehende Entscheidung ist weder ausdrücklich noch konkludent ergangen. Insbesondere kommt dem Übernahme- und Verbindungsbeschluss der Strafkammer vom 1. Februar 2023 eine solche Wirkung nicht zu. Dies kann zwar ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn das übernehmende Gericht die Eröffnungsvoraussetzungen erkennbar selbst geprüft hat und sich seiner eigenen Eröffnungsentscheidung bewusst war (vgl. MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 207 Rn. 30 mwN). Dass die Strafkammer hier aber selbst nicht von einer bereits ergangenen, sondern von einer noch vorzunehmenden Eröffnungsentscheidung ausgegangen ist, zeigt sich darin, dass die Vorsitzende in nachfolgenden Verfügungen wiederholt die angeordnete Wiedervorlage der Akten um den Zusatz „(Eröffnung verbundene Sache)“ ergänzt hat.
c) Der Eröffnungsbeschluss ist auch nicht im weiteren Verfahren wirksam nachgeholt worden.
Die Verweisung durch die große Strafkammer an die Jugendkammer nach § 270 Abs. 1 StPO kann diesen nicht nach § 270 Abs. 3 StPO ersetzen. Dafür wäre erforderlich gewesen, dass das verweisende Gericht – anders als hier – die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft hat. Denn der Verweisungsbeschluss kann nur an die Stelle eines früheren Eröffnungsbeschlusses treten, einen solchen aber nicht ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 1987 – 3 StR 493/87, NStZ 1988, 236).
Auch der Beschluss der Jugendkammer vom 14. April 2023 stellt keine Eröffnungsentscheidung für Fall II.2 dar. Die Mitteilung der Gerichtsbesetzung, die Anordnung der Aufrechterhaltung des im Zusammenhang mit Fall II.1 ergangenen Untersuchungshaftbefehls und die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO betreffend eine weitere Tat geben keinen Anhalt dafür, dass die Jugendkammer im Fall II.2 eine eigene Eröffnungsentscheidung hat treffen wollen.
2. Es fehlt mithin an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss als Prozessvoraussetzung für das Hauptverfahren. Das Urteil ist daher entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und das Verfahren nach § 354 Abs. 1 StPO mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO einzustellen, soweit es Fall II.2 betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2021 – 3 StR 492/20 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 206a Rn. 6a, § 349 Rn. 29, 29a, § 354 Rn. 6).“
Wie gesagt: Klassiker. Solche Dinge muss man als Verteidiger prüfen und den Finger in die Wunde legen. Zwar muss das Revisionsgericht von Amts wegen prüfen, ob die Eröffnungsvoraussetzung Eröffnungsbeschluss gegeben ist, aber besser man legt ggf. den Finder in der Wunde. Dann wird das Verfahrenshindernis nicht „übersehen“.