Die zweite Entscheidung kommt heute vom OLG Saarbrücken. Das hat im OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.05.2023 – 1 Ss (OWi) 8/23 – u.a. zur Frage der Erforderlichkeit von näheren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen bei Verhängung einer Regelgeldbuße Stellung genommen.
Vom AG war wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG eine Geldbuße in Höhe von 600,- EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt worden, ohne Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen.
Das hat das OLG nicht – mehr – beanstandet. Es hat abweichende frühere Rechtsprechung aufgegeben:
„Soweit der Senat in früheren Entscheidungen verlangt hat, dass der Tatrichter bei der Bemessung der Geldbuße grundsätzlich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen aufzuklären und zu diesen im Urteil in nachprüfbarer Weise Feststellungen zu treffen hat, soweit es sich nicht um geringfügige Ordnungswidrigkeiten im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG handelt – eine solche geringfügige Ordnungswidrigkeit lag – auch im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten – nach der Rechtsprechung des Senats nur in den Fällen vor, in denen das Tatgericht eine Geldbuße von nicht mehr als 250,- Euro verhängt hatte – (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Juni 2013 – Ss (B) 58/2013 (51/13 OWi) –, 24. Oktober 2013 – Ss (B) 101/2013 (83/13 OWi) –, 30. Juni 2014 – Ss (B) 44/2014 (34/14 OWi) –, 16. Oktober 2014 – Ss (B) 69/2014 (54/14 OWi) –, 21. März 2017 – Ss BS 11/2017 (6/17 OWi) – und 25. Oktober 2018 – Ss (BS) 77/2018 (54/18 OWi) – jew. m.w.N.), hält der Senat daran nicht länger fest. Dies jedenfalls für die Fälle, in denen – wie hier – keine die Regelgeldbuße nach dem Bußgeldkatalog übersteigende Geldbuße festgesetzt wird und weder aufgrund der Angaben des Betroffenen selbst noch sonst Anhaltspunkte für vom Regelfall abweichende finanzielle Verhältnisse vorliegen, die ausnahmsweise Anlass zu weiterer Sachaufklärung geben.
a) Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 OWiG kommen für die Bemessung der Geldbuße – neben der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und dem Vorwurf, der den Täter trifft (§ 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG) – auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen in Betracht. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung macht deutlich, dass den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen für die Bemessung der Geldbuße nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Dies findet in den Bußgeldregelsätzen, die der Verordnungsgeber aus Gründen der Vereinfachung und Anwendungsgleichheit im Bußgeldkatalog festgelegt hat, dadurch Ausdruck, dass sich ihre Höhe in Übereinstimmung mit § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG an der Bedeutung des Verkehrsverstoßes und dem Tatvorwurf orientiert. Die Regelsätze gehen von gewöhnlichen Tatumständen und durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen aus. Systematisch stellen sie Zumessungsrichtlinien dar, die der Tatrichter bei der Ausübung seines Rechtsfolgeermessens nicht unbeachtet lassen darf. Andernfalls wird er dem Prinzip des Bußgeldkatalogs mit dem Ziel der größtmöglichen Gleichbehandlung gleichartiger Fälle nicht gerecht. Besondere Umstände, die zum Abweichen vom Regelsatz nach oben oder unten führen und die auch in der Person des Betroffenen liegen können, hat der Tatrichter im Einzelfall erst zu erwägen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben. Dies gilt auch für die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen. Die tatrichterliche Aufklärungspflicht setzt demnach erst ein, wenn der Betroffene konkrete Tatsachen vorträgt, die ein Abweichen von der Regel nahelegen, oder solche Anhaltspunkte sonst vorliegen. Andernfalls sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen aufgrund der Regel-Ausnahme-Systematik der Bußgeldkatalogverordnung nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärung. Demnach obliegt es dem Betroffenen unter der Geltung der Bußgeldkatalogverordnung durch eigenen Sachvortrag die Aufklärungspflicht des Tatrichters auszulösen. Erst dann hat das Tatgericht im Rahmen der Einzelfallabwägung getroffene Feststellungen zum Abweichen vom Regelfall in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzustellen, so dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung ermöglicht wird, ob das Tatgericht rechtsfehlerfrei von dem Regelsatz des Bußgeldkatalogs abgewichen ist. Dies bedeutet indes nicht, dass das Tatgericht einseitige und wenig aussagekräftige Angaben des Betroffenen zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen ungeprüft hinzunehmen hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27. April 2020 – 3 Ws (B) 49/20 –, juris mit zahlreichen weiteren Nachweisen; OLG Bremen, Beschluss vom 27. Oktober 2020 – 1 SsBs 43/20 –; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. April 2021 – 1 Ss (OWi) 103/20 –, BeckRS 2021, 7676; OLG Köln, Beschluss vom 15. Juli 2022 – III-1 RBs 198/22 –, juris; Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Aufl., § 17 Rn. 22b, m.w.N.).
Hierfür spricht auch, dass eine unbedingte Aufklärungspflicht das Tatgericht bei einem zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen schweigenden Betroffenen zu – ggf. mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen einhergehenden – Maßnahmen wie der Durchsuchung der Wohn- oder Geschäftsräume nach Einkommensnachweisen des Betroffenen anhalten dürfte, die zur Bedeutung des Vorwurfs und der Höhe der Geldbuße außer Verhältnis stünden (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O.; KG Berlin, Beschluss vom 12. März 2019 – 3 Ws (B) 53/19 –, Rn. 14, juris).
Eine über die bloße Darlegungslast hinausgehende Beweislast wird dem Betroffenen hierdurch nicht auferlegt. Denn bei Vorliegen eines hinreichend konkreten Vortrages des Betroffenen zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen hat der Tatrichter diesem wiederum von Amts wegen nachzugehen und sich von dessen Richtigkeit zu überzeugen (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O., m.w.N.).
b) Ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn der Tatrichter eine den Regelsatz des Bußgeldkatalogs übersteigende Geldbuße festlegt (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O.), braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden. Ein Fall der Erhöhung einer Regelgeldbuße liegt nicht vor. Zwar legen die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil nahe, dass das Amtsgericht wegen der einschlägigen Voreintragung im Fahreignungsregister lediglich die für einen (erstmaligen) Verstoß gegen § 24 a StVG vorgesehene Regelgeldbuße nach Nr. 242 BKat von 500,- EUR angemessen auf 600,- EUR erhöhen wollte. Tatsächlich hat es die nach der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehene Regelgeldbuße indes verringert. Nr. 242.1 BKat normiert – sowohl in der im Tatzeitpunkt als auch in der heute geltenden Fassung – für den hier vorliegenden Fall der Eintragung einer – gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2b i.V.m. Nr. 2.2.2 der Anlage 13 zu § 40 FeV bislang weder getilgten noch tilgungsreifen – Entscheidung nach § 24a StVG im Fahreignungsregister, deren Vorliegen das Amtsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, eine Regelsanktion von 1000,- EUR Geldbuße und drei Monaten Fahrverbot. Da sich dieser Fehler nicht zu Lasten des Betroffenen auswirkt, berührt er den Bestand der ausschließlich vom Betroffenen angefochtenen Entscheidung auch im Übrigen nicht.
c) Gemessen an den vorstehend dargestellten Maßstäben bestand im vorliegenden Fall keine Pflicht des Amtsgerichts, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen von Amts wegen weiter aufzuklären. Der Senat vermag den Urteilsgründen noch hinreichend zu entnehmen, dass der auf eigenen Antrag vom persönlichen Erscheinen entbundene Betroffene weder im Vorfeld noch in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht hatte, die Anlass zu weiterer Sachaufklärung gaben.“