Wiedereinsetzung II: Sofortige Beschwerde statt Berufung, oder: Wiedereinsetzung und „sicherster Weg“

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Im zweiten Beschluss geht es um die Wiedereinsetzung betreffend eine Berufung. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren hatte der Verfügungskläger gegen ein landgerichtliches Schlussurteil sofortige Beschwerde eingelegt. Das richtige Rechtsmittel wäre aber die Berufung gewesen. Das OLG Karlsruhe meint im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.04.2022 – 6 W 39/21: Nicht statthaft, keine Umdeutung und auch keine Wiedereinsetzung:

„b) Im Ergebnis rechtfertigen dessen Darlegungen aber keine andere Beurteilung der Zulässigkeit einer Berufung als bisher, da Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch auf der Grundlage des nunmehr glaubhaft gemachten Sachverhalts nicht vorliegen. Voraussetzung dafür wäre, dass die Partei nach den angegebenen Tatsachen ohne ihr Verschulden verhindert war, die Notfrist nach § 517 ZPO zur Einlegung der Berufung einzuhalten (§ 233 Satz 1, § 236 2 ZPO). Daran fehlt es, weil dem Antragsgegner das diesbezüglich vorliegende Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist (§ 88 Abs. 2 ZPO).

Hier beruht das Versäumnis ersichtlich darauf, dass der Bevollmächtigte die Unstatthaftigkeit der sofortigen Beschwerde entweder nicht ernsthaft in Betracht gezogen oder irrtümlich ausgeschlossen hat. Dies gereicht ihm zum Verschulden. Zwar kann der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ausnahmsweise als unverschuldet angesehen werden, wenn dessen fehlerhafte Rechtsansicht mit der veröffentlichten Entscheidung eines Oberlandesgerichts übereinstimmte, der sich die gängigen Handkommentare angeschlossen hatten (vgl. BGH, NJW 1985, 495, 496; NJW 2011, 386 Rn. 23). Anders liegt es aber, wenn sowohl die Mehrheit der veröffentlichten Literatur als auch erste obergerichtliche Entscheidungen einer vereinzelt gebliebenen Rechtsauffassung, deren Richtigkeit unterstellt das Verhalten des Bevollmächtigten verfahrenskonform wäre, mit überzeugenden Gründen widersprochen haben (BGH, NJW 2011, 386 Rn. 23). Der vorliegende Fall liegt dazwischen. Entscheidend ist hier, dass zumindest ein Blick in die Kommentierung bei Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG (bei Rechtsmitteleinlegung 39. Aufl., § 12 Rn. 2.59) genügen musste, um zu erkennen, dass zumindest nach Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung (nämlich der dort zitierten Entscheidung des OLG Hamm) die Berufung gegen die Entscheidung über die Kosten des Anordnungsverfahrens statthaft ist. Dort heißt es nämlich: „7. Rechtsmittel Berufung; wurde nur über die Kosten entschieden, ist nur sofortige Beschwerde (§ 99 II ZPO analog) möglich (OLG Hamburg WRP 1979, 141 (142); HdBWettbR/Spätgens § 108 Rn. 15; aA OLG Hamm GRUR 1990, 714)“. Der Antragsgegner hat selbst aufgezeigt, dass sein (späterer) Prozessbevollmächtigter ausweislich der Korrespondenz grundsätzlich die Problematik der Frage erkannt hatte, ob hier die sofortige Beschwerde oder die Berufung statthaft ist. Er hat außerdem vorgetragen, dass dieser sich auf eben die oben zitierte Kommentierung verlassen hat. Dieser übersichtlichen Kommentarstelle war aber unmittelbar zu entnehmen, dass es vom letztlich eingenommenen Standpunkt des Antragsgegners, die sofortige Beschwerde sei statthaft, abweichende obergerichtliche Rechtsprechung gab. Daher musste er damit rechnen, dass entsprechend dieser abweichenden obergerichtlichen Rechtsprechung nicht die sofortige Beschwerde, sondern die Berufung statthaft ist (siehe entsprechend bei BGH, NJW 2011, 386 Rn. 22).

Für das Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners bei der Beurteilung der Rechtslage kommt es daher nicht darauf an, ob er bei seinen Recherchen (insbesondere unmittelbar) gerade auch das Urteil des Senats vom 27. September 2017 (6 U 42/17, BeckRS 2017, 151252, bei juris nicht veröffentlicht) auffinden musste, wo der Senat eine Berufung für zulässig erachtet hat. Umgekehrt ist das Verschulden auch nicht zu verneinen, weil der Senat (mit bloßem knappen Hinweis auf § 99 Abs. 2 Satz 1 und § 577 Abs. 2 ZPO aF und ohne Befassung mit der Möglichkeit einer Berufung gegen die Entscheidung über die Kosten des Anordnungsverfahrens) die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde im Beschluss vom 21. August 1995 (6 W 27/95, WRP 1996, 120, 121) bejaht hat. Auf die letztgenannte, bereits länger zurückliegende Sachbehandlung konnte sich der Rechtsanwalt aufgrund der – ihm wie ausgeführt ersichtlichen – abweichenden Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte nicht verlassen. Das gilt im Übrigen erst Recht mit Blick darauf, dass die Nachweise zum Streitstand in Köhler/Bornkamm/Feddersen (aaO) dem Prozessbevollmächtigten mindestens Anlass zu weiteren Recherchen geben mussten, spätestens bei denen u.a. jüngere, ausführlich die Statthaftigkeit der Berufung begründende obergerichtliche Rechtsprechung (OLG Stuttgart, JurBüro 2015, 308 [juris Rn. 4 ff]); Schleswig, SchlHA 2016, 355) auffindbar gewesen wäre. Auch deshalb musste offen erscheinen, ob der Senat (weiterhin) in Fällen wie dem vorliegenden die sofortige Beschwerde für statthaft erachten würde.

Die danach einem Rechtsanwalt ohne Verschulden gebotene Erkenntnis, dass die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde zweifelhaft ist, insbesondere von obergerichtlicher Rechtsprechung zu Gunsten der Statthaftigkeit der Berufung in Abrede gestellt wird, hätte mindestens dazu veranlassen müssen, das (vom Antragsteller ohnehin innerhalb der Berufungsfrist, nämlich innerhalb der kürzeren Beschwerdefrist gewählte) Rechtsmittel innerhalb von zwei Wochen beim Oberlandesgericht einzulegen, um sicher zu gehen, dass das Rechtsmittel – ob als sofortige Beschwerde oder als Berufung (ggf. nach Umdeutung) – zulässig ist. Denn in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist sogar anerkannt, dass bei Zweifeln über die Statthaftigkeit mehrere Rechtsmittel eingelegt werden müssen. Ergibt sich, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines anderen Rechtsbehelfs als des von dem Prozessbevollmächtigten ins Auge gefassten erfüllt sein könnten, hat der Rechtsanwalt danach nämlich jedenfalls auch diesen anderen Rechtsbehelf zu ergreifen. Denn der Rechtsanwalt hat im Interesse seines Mandanten den sicheren Weg zu gehen. Besteht Unsicherheit, welcher Rechtsbehelf zulässig ist, hat der Rechtsanwalt jeden ernsthaft in Betracht zu ziehenden Rechtsbehelf zu ergreifen (vgl. BGH, NJW 2012, 2523 Rn. 10 mwN; siehe BGH, NJW 2011, 386 Rn. 20). Diese Anforderung an die Sorgfalt des Rechtsanwalts ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, NJW 2008, 2167). Erst Recht und zumindest ist vom Rechtsanwalt zu verlangen, dass er die – hier gegebene und anders als die Einlegung mehrerer Rechtsmittel nicht einmal mit Kostennachteilen verbundene – zumutbare Möglichkeit nutzt, ein einziges Rechtsmittel vorsorglich dort einzulegen, wo es die Frist jedes aufgrund zweifelhafter Rechtslage als statthaft in Betracht zu ziehenden Rechtsmittels wahrt (siehe auch BVerfG, NJW 2003, 575). Auch im Fall der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde hätte die Einlegung ohne Nachteil für den Antragsgegner beim (auch für eine Berufung zuständigen) Oberlandesgericht als Beschwerdegericht erfolgen können (§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ein Abhilfeverfahren vor dem Ausgangsgericht, das im Übrigen erforderlichenfalls auch vom Beschwerdegericht noch hätte veranlasst werden können, konnte hier ohnehin nicht stattfinden, da das Ausgangsgericht gemäß § 572 Abs. 1 Satz 2, § 318 ZPO keine Befugnis hatte, einer (hypothetisch statthaften) sofortigen Beschwerde gegen die durch Endurteil ergangene angefochtene Entscheidung abzuhelfen.

2 Gedanken zu „Wiedereinsetzung II: Sofortige Beschwerde statt Berufung, oder: Wiedereinsetzung und „sicherster Weg“

  1. VRiOLG

    Wichtiges Detail ist: Die Beschwerde wurde beim Landgericht eingelegt! Deshalb lautet der Leitsatz: „Die einem Rechtsanwalt ohne Verschulden gebotene Erkenntnis, dass die Statthaftigkeit der beabsichtigten sofortigen Beschwerde zweifelhaft ist, weil sie von obergerichtlicher Rechtsprechung zu Gunsten der Statthaftigkeit der Berufung in Abrede gestellt wird, muss diesen dazu veranlassen, das Rechtsmittel innerhalb von zwei Wochen (auch) beim Rechtsmittelgericht einzulegen, um sicher zu gehen, dass es – ob als sofortige Beschwerde oder als Berufung (ggf. nach Umdeutung) – die Frist wahrt.

  2. Detlef Burhoff

    Ich verstehe nicht ganz, warum Sie den Leitsatz wiederholen. Steht doch so auch als gerichtlicher LS im Volltext.

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