Und im letzten Posting dann zwei Entscheidungen, die ich auch an einem Pflichti-Tag hätte bringen können. In beiden geht es nämlich um die Frage, wie lange eine nach § 408b StPO erfolgte Pflichtverteidigerbestellung dauert. Nur bis zur Einlegung des Einspruchs oder ggf. auch darüber hinaus? Dazu gibt es ja bereits den LG Oldenburg, Beschl. v. 26.10.2021 – 4 Qs 424/21 -, über den ich hier auch berichtet habe.
Die Frage war nach altem Recht streitig, war aber schon „damals“ zutreffend dahin zu beantworten, dass die Bestellung über die Einlegung des Einspruchs hinaus andauert. Das gilt nach neuem Recht der Pflichtverteidigung erst recht – so hat es auch das LG Oldenburg gesehen. Und so sehen es auch die beiden Entscheidungen, die ich hier vorstelle, nämlich der LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.07.2022 – 16 Qs 59/22 – und der LG Stade, Beschl. v. 05.08.2022 – 102 Qs 2575 Js 37782/21 (26/22).
Ich stelle hier dann mal die Begründung aus dem LG Karlsruhe, Beschluss ein, die des LG Stade (a.a.O.) ist ähnlich:
„Das als sofortige Beschwerde (§ 143 Abs. 3 StPO) zu behandelnde Rechtsmittel des Angeklagten ist zulässig und begründet.
Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 408b StPO ist nicht auf das schriftliche Verfahren bis zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl beschränkt, sondern gilt bis zur Einlegung des Rechtsmittels gegen das auf den Einspruch hin ergangene amtsgerichtliche Urteil fort (OLG Oldenburg StV 2018, 152; OLG Köln NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle StraFo 2011, 291; LR-Gössel, StPO, § 408b Rn 12, 13; KK-StPO-Maur, StPO, § 408b Rn 8; a.A. OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390; KG Berlin, Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12, bei juris; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 17.09.2014, 1 Ws 126/14, bei juris).
Der Wortlaut des § 408b StPO enthält keine Beschränkung auf das schriftliche Strafbefehlsverfahren. Die besondere prozessuale Situation, die durch die Beiordnung nach § 408b StPO kompensiert werden soll, besteht zudem in veränderter Form auch nach Erlass des Strafbefehls fort.
Nach § 411 Abs. 2 S. 2 StPO gelten für das weitere Verfahren die Regeln des § 420 StPO. Im beschleunigten Verfahren werden diese erleichterten Regeln der Beweisaufnahme dadurch ausgeglichen, dass nach § 418 Abs. 4 StPO dem Angeklagten, der eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zu erwarten hat, ein Verteidiger beizuordnen ist. Die Parallele spricht in systematischer Hinsicht für eine Geltung der Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 408b StPO auch für das Hauptverfahren (OLG Celle StraFo 2011, 291 m.w.N.).
Wie sich aus § 143 Abs. 2 S. 1 StPO ergibt, kann die Beiordnung allerdings aufgehoben werden. Das ist vorliegend geschehen.
Die Aufhebungsmöglichkeit steht im Ermessen des Gerichts. Allerdings sind insoweit Vertrauensgrundsätze zu beachten. Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes grundsätzlich, hieran weiter festzuhalten (BeckOK StPO/Krawczyk StPO § 143 Rn. 7, 8 m.w.N.). eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung kommt dann in Betracht, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat oder sich die für die Bestellung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben (BeckOK StPO/Krawczyk a.a.O.).
Zwar weicht das Urteil hinsichtlich rechtlicher Würdigung und Rechtsfolgen von dem ursprünglichen Strafbefehl erheblich ab, es lässt sich aber weder den Urteilsgründen noch dem Hauptverhandlungsprotokoll entnehmen, dass bereits zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Beschlusses eine solche wesentliche Änderung der Umstände vorlag.
Der Übergang vom Strafbefehlsverfahren in das Hauptverfahren als solcher ist nach obigen Ausführungen kein solcher Umstand.“
Da die Frage, wie man an den Entscheidungen sieht, aber immer noch nicht einhellig gesehen wird, sollte man als Verteidiger – wegen der gebührenrechtlichen Auswirkungen – auf Klarstellung beim AG drängen und Bestätigung der Bestellung beantragen. Kostet ja nichts.