Und dann noch etwas ganz Besonderes zum Tagesschluss, nämlich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.03.2022 – 1 Ws 47/22.
Er enthält die Eröffnung in einem Verfahren, in dem die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last legt, im Zeitraum zwischen dem 20.07.2010 und dem 06.06.2014 als Zahnarzt in 33 Fällen seinen Patienten und Patientinnen Zähne extrahiert zu haben, obwohl es hinreichend aussichtsreiche Behandlungsalternativen gegeben habe. Zuvor habe der Angeklagte die Extraktion bestimmter Zähne als zwingend notwendig empfohlen. Im Vertrauen auf die Angaben des Angeklagten hätten die Patienten den Zahnextraktionen zugestimmt, woraufhin der Angeklagte diese Eingriffe mittels der dafür erforderlichen ärztlichen Instrumente vorgenommen habe. Hätte der Angeklagte seine Patienten über die alternativen Behandlungsmethoden aufgeklärt, hätten diese den Zahnerhalt vorgezogen und die Zahnextraktion abgelehnt. Dem Angeklagten sei es dabei darauf angekommen, seine Patienten im weiteren Verlauf mit für ihn einträglichem Zahnersatz versorgen zu können.
Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens betreffend einiger Tatvorwürfe abgelehnt. Wegen der weiteren Tatvorwürfe hat es die Anklage mit der Maßgabe zugelassen, dass in rechtlicher Hinsicht von 29 tatmehrheitlichen Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230, 53 StGB auszugehen sei und insoweit das Hauptverfahren eröffnet.
Soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde, hat die Strafkammer dies damit begründet, dass bei den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten nur eine rechtliche Würdigung als vorsätzliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230 StGB in Betracht komme. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:
1. Die dem Angeklagten (in tatsächlicher Hinsicht zu Recht) angelasteten Taten sind als gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 53 StGB zu qualifizieren, sodass die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehn Jahre beträgt. Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten begann die Frist am 20.07.2010 (Ziff. 11), 29.10.2010 (Ziff. 16), 22.08.2011 (Ziff. 22) bzw. am 23.08.2011 (Ziff. 23) zu laufen und wurde (u.a.) durch die Anklageerhebung am 24.02.2017 unterbrochen (§ 78c Abs. 1 Ziff. 6 StGB). Verfolgungsverjährung ist mithin nicht eingetreten.
2. Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft K. darauf hin, dass die Einordnung eines gefährlichen Werkzeugs als Mittel der Tatbegehung im Verhältnis zur Waffe durch das 6. StrRG v. 26.01.1998 (BGBl I 164) insoweit eine Änderung erfahren hat, als das gefährliche Werkzeug – anders als bei § 223a StGB a.F. – in der neuen Fassung des § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB nicht mehr als Beispiel für eine Waffe, sondern eine Waffe nunmehr als Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs zu verstehen ist (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 224 Rn. 9). Demzufolge kann eine Abgrenzung, ob ein ärztliches oder zahnärztliches Instrument als gefährliches Werkzeug einzustufen ist oder nicht, nicht mehr danach erfolgen, ob es gleich einer Waffe zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken eingesetzt wird (so noch – zu § 223a StGB a.F. – BGH, Urteil vom 22. Februar 1978 – 2 StR 372/77 -, juris; BGH, Urteil vom 23. Dezember 1986 – 1 StR 598/86 -, juris.). Vielmehr ist auch bei ärztlichen Instrumenten wie der vorliegend vom Angeklagten verwendeten Instrumente zur Zahnextraktion danach zu fragen, ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im konkreten Fall dazu geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 224 Rn. 14; Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 50; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30 Aufl. 2019, § 224 Rn. 8; Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2018, § 224 Rn. 22).
3. Dies ist nach Auffassung des Senats vorliegend der Fall. Zwar werden Schmerzen während der Extraktion eines Zahnes mittels der dafür vorgesehenen zahnärztlichen Instrumente aufgrund einer örtlichen Betäubung nicht oder kaum verspürt. Die vom Angeklagten vorsätzlich ohne medizinische Indikation zur Zahnextraktion verwendeten Instrumente (namentlich die zur Zahnextraktion verwendete Zange) führten unmittelbar nach dem Eingriff aber – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist – nach Trennung der Verbindung zum versorgenden Nerv zu dem unwiederbringlichen Verlust eines Teils des Gebisses sowie zusätzlich zu einer – jedenfalls für die Dauer einiger Tage – offenen Wunde im Mundraum der Patienten. Derartige Eingriffe sind nach Abklingen der lokalen Narkose regelmäßig mit nicht unerheblichen Schmerzen, Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme und der Gefahr von Entzündungen verbunden, welche nur durch Einnahme von Tabletten und oralhygienische Maßnahmen gemindert werden können, und zwar insbesondere dann, wenn wie vorliegend nacheinander mehrere Zähne entfernt werden (im Fall Ziff. 11: drei Zähne, im Fall Ziff. 16: fünf Zähne, im Fall Ziff. 22: sieben Zähne und im Fall Ziff. 23: vier Zähne). Von sowohl nach ihrer Intensität als auch ihrer Dauer gravierenden Verletzungen im Mundraum der Patienten ist daher auszugehen (vgl. auch BeckOK StGB/Eschelbach StGB, 52. Ed. 01.02.2022, § 224 Rn. 28, 28.4), weshalb in den genannten Fällen der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB erfüllt ist (aA bei Extraktion eines Zahnes Schönke/Schröder, aaO, § 224 Rn. 8). Keine Rolle bei der Einordnung der vom Angeklagten verwendeten Instrumente als gefährliche Werkzeuge i.S.v. § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB spielt der Umstand, dass der Angeklagte als (damals) approbierter Zahnarzt zu deren regelgerechter Anwendung grundsätzlich in der Lage war und sie auch regelgerecht angewandt hat.“