Im zweiten Posting komme ich dann noch einmal auf einen Beschluss des OLG zurück, den ich bereits einmal vorgestellt habe, und zwar den OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2022 – 4 RVs 2/22 (vgl. hier: Auto I: Viermonatiges StGB-Fahrverbot als Nebenstrafe, oder: Auch noch nach Zeitablauf von zwei Jahren?).
In dem heutigen Posting geht es um die „materielle Frage“, und zwar: Das AG hat den Angeklagten u.a. verurteilt wegen Widerstands gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen. Bei einem Unfall war eine ältere Radfahrerin gestürzt und hatte sich verletzt. Ein Ersthelfer sowie Polizeibeamte stellten ihre Fahrzeuge so ab, dass zwischen den Fahrzeugen eine hinreichende Lücke bestand, durch die der Verkehr hindurchfließen konnte. Gleichwohl kam es zu kleinen Rückstaus. Den sich mit seinem Kfz nähernden Angeklagten störte offensichtlich das Fahrzeug des Ersthelfers. Er fuhr neben dieses Fahrzeug und hielt an. Hierdurch kam es in allen Richtungen zu einem weiteren Rückstau. Dem nunmehr am Unfallort eintreffenden Rettungswagen war die Zufahrt zum Opfer versperrt. Der Angeklagte beschwerte sich darüber, dass am rechten Fahrbahnrand das Fahrzeug des Ersthelfers abgestellt sei und verlangte, dass es weggefahren werde. Erst nach mehreren Aufforderungen fuhr er langsam an dem Fahrzeug des Ersthelfers vorbei und hielt davor an. Das Rettungsfahrzeug musste wegen des Fahrzeugs des Angeklagten abgebremst und zum Stillstand gebracht werden. Nachdem der Angeklagte den Weg mit seinem Fahrzeug freigemacht hatte, fuhr der Rettungswagen an, musste jedoch sofort wieder stoppen, da der Angeklagte nunmehr die Fahrertür öffnete, um aus dem Fahrzeug auszusteigen. Der Angeklagte schloss die Fahrertür nach Betätigung des Martinshorns des Rettungswagens, so dass der Rettungswagen zu der verletzten Frau vorfahren konnte. Nach Überzeugung des AG verzögerte der Angeklagte die Ankunft der Rettungskräfte so um mindestens eine Minute.
Die Sprungrevision des Angeklagten ist beim OLG erfolglos geblieben:
“ 2. Die vom Angeklagten erhobene Sachrüge hat keinen Erfolg.
a) Die Verurteilung wegen Widerstands gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, in Tatmehrheit mit Beleidigung und in Tatmehrheit mit falscher Verdächtigung hält einer sachlichrechtlichen Nachprüfung stand.
Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht insbesondere auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Widerstands gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, §§ 115 Abs. 3, 113 StGB.
Der Sturz der Radfahrerin war ein Unglücksfall. Die Radfahrerin hat infolge der bei dem Sturz erlittenen Verletzungen stark am Kopf geblutet und musste notärztlich versorgt werden. Die Besatzung des herannahenden Rettungswagens zählte zu den Hilfeleistenden eines Rettungsdienstes. Denn bereits das Hinbewegen der Hilfeleistenden zum Ort der Gefahr ist Teil der Hilfeleistung dazu (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 115 Rn. 8; MüKo /Bosch, StGB, 4. Aufl., § 115 Rn. 11). Der Angeklagte hat diese mit Gewalt behindert. Behindern ist das Erschweren des Hilfeleistens in jeder Form. Der Gewaltbegriff in § 115 StGB entspricht jenem in § 240 StGB und § 113 StGB. Daher genügt auch die Gewalt gegen Sachen, wenn sie sich – wie im vorliegenden Fall – mittelbar physisch auf die Person des Genötigten auswirkt, dieser also einem körperlich vermittelten Zwang unterliegt (vgl. Schönke/Schröder/Eser, StGB, 30. Aufl., § 113 Rn. 44). Gewalt liegt zudem schon dann vor, wenn nur der Weg zum Unfallort versperrt wird oder wenn die Hilfeleistenden einen nicht unerheblichen Umweg nehmen müssen (vgl. Fischer, a.a.O., § 115 Rn. 10). So ist es hier, weil der Angeklagte ausweislich der getroffenen Feststellungen zum einen mit seinem Fahrzeug den Engpass zwischen den bereits abgestellten Fahrzeugen blockiert und zum anderen durch das nachfolgende Öffnen der Autotür die Weiterfahrt des Rettungswagens zum Unglücksort verhindert hat. Für die Tatbestandsverwirklichung ist unerheblich, dass der Angeklagte den Rettungsweg letztlich doch noch frei gegeben hat. Denn § 115 Abs. 3 StGB setzt eine endgültige oder auch zeitweise gänzliche Verhinderung der Hilfeleistung nicht voraus. Es genügt eine nicht ganz unerhebliche Erschwernis, die gerade auf den spezifischen Wirkungen des eingesetzten Tatmittels zurückzuführen ist (so Fischer, a.a.O., § 115 Rn. 10). Ausweislich der Beweiswürdigung des Tatrichters hat der Zeuge P, der Fahrer des Rettungswagens, bekundet, die durch den Angeklagten verursachte Verzögerung habe „mindestens eine Minute“ gedauert. Aufgrund der eingehenden Würdigung der Zeugenaussage, die das Amtsgericht als plausibel und insgesamt glaubhaft eingestuft hat, kann diese Zeitangabe als Feststellung zur Sache gewertet und der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt werden. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob eine solche 1-minütige Verzögerung grundsätzlich als ausreichend anzusehen ist. Im vorliegenden Fall reicht sie unzweifelhaft aus, um von einer tatbestandsmäßigen Behinderung im Sinne des § 115 Abs. 3 StGB auszugehen. Denn gerade im vorliegenden Fall eines schwerwiegenden Verkehrsunfalls – das Opfer hatte eine stark blutende Kopfverletzung erlitten – können bereits denkbar geringfügige Verzögerungen von Rettungsmaßnahmen um nur wenige Sekunden schwerwiegende Folgen bis hin zum Tod des Opfers nach sich ziehen. Dem Urteil des Amtsgerichts ist ebenfalls zu entnehmen, dass dem Angeklagten die Schwere des Unglücksfalls bewusst gewesen ist. Ausweislich einer – wiederum im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung – getroffenen Feststellung hatte der Angeklagte einen freien Blick auf das stark blutende Unfallopfer, deren Kopf der Zeuge L auf seinem Schoß gehalten hat. Vor diesem Hintergrund ist das Amtsgericht mit Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte hinsichtlich einer erheblichen Behinderung der Rettungskräfte, die er als solche erkannt hatte, zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Auf Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe kann er sich ohnehin nicht berufen.“