Bei der zweiten Entscheidung, die ein etwas abgelegeneres Rechtsgebiet betrifft, handelt es sich um den OLG Celle, Beschl. v. 21.02.2022 – 2 AR (Ausl) 67/21. Am Aktenzeichen kann man erkennen: Es geht um ein Auslieferungsverfahren. In dem ist die Auslieferung des Verfolgten nach Polen als unzulässig abgelehnt worden. Der Verfolgte beantragt dann, die Kosten des Verfahrens der Landeskasse aufzuerlegen. Der Antrag hat beim OLG keinen Erfolg:
„Der Antrag des Verfolgten war abzulehnen, weil eine Kosten- oder Auslagenentscheidung nicht veranlasst ist. Auch für eine Entschädigungsentscheidung für erlittene Auslieferungshaft fehlt eine Grundlage.
1. Nach ganz herrschender Rechtsprechung kommt in Auslieferungsverfahren eine Erstattung notwendiger Auslagen auf der Grundlage von § 77 IRG i.V.m. §§ 467, 467a StPO in entsprechender Anwendung allenfalls in Betracht, wenn bereits ein Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit der Auslieferung nach § 29 IRG gestellt worden war (BGH, Beschluss vom 17. Januar 1984 – 4 ARs 19/83, BGHSt 32, 221; OLG Celle, Beschluss vom 14.06.2010 – 1 Ausl 7/10, juris; OLG Koblenz, MDR 1983, 691; OLG Köln, NStZ-RR 2000, 29; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 252 und StV 2007, 151; OLG Frankfurt am Main vom 4. Oktober 2007, 2 Ausl A 53/07). Erst dieser hat – wie die Erhebung einer zur unmittelbaren Anwendung von §§ 467, 467a StPO führenden Anklage – zur Folge, dass in einem Auslieferungsverfahren eine gerichtliche Entscheidung in der Sache zu ergehen hat (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1981, 4 ARs 4/81, BGHSt 30, 152 noch zur – im Ergebnis vergleichbaren – Rechtslage nach dem bis zum Erlass des IRG geltenden § 25 DAG).
Zwar hat die Generalstaatsanwaltschaft mit ihrer Zuschrift vom 8. Februar 2022 beim Senat beantragt, über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten zu entscheiden. Dieser Antrag war indes nicht geeignet, die Folge einer Auslagenerstattung auszulösen. So, wie die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft regelmäßig mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeschuldigten erfolgt, muss mit einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach § 29 Abs. 1 IRG, der für den Fall der Ablehnung der Zulässigkeit die Kostenfolge der §§ 467, 467a StPO auslöst, von dieser mit ihrem Antrag vertreten werden, dass die Auslieferung zum Zeitpunkt der Antragstellung weiterhin zulässig ist. Dies folgt schon daraus, dass für die Generalstaatsanwaltschaft regelmäßig, jedenfalls im Rechtshilfeverkehr mit Nicht-EU-Staaten, kein Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung besteht, wenn sie die vom ersuchten Staat begehrte Auslieferung ihrerseits nicht für bewilligungsfähig hält (Schomburg/Lagodny/Riegel, 6. Aufl. 2020, IRG § 29 Rn. 2, 5). Dementsprechend kommt eine Auslagenerstattung nicht in Betracht, wenn die Generalstaatsanwaltschaft ihrerseits wie hier die Auslieferung bereits für unzulässig hält und lediglich – aus welchem Grund auch immer – eine gerichtliche Bestätigung ihrer Rechtsauffassung begehrt.
Vorliegend hat die Generalstaatsanwaltschaft ausweislich der Begründung ihrer Zuschrift vom 8. Februar 2022 ausdrücklich begehrt, die Auslieferung aufgrund eines aus der deutschen Staatsangehörigkeit des Verfolgten gemäß § 9 Nr. 2 IRG folgenden Auslieferungshindernisses für unzulässig zu erklären. Hierzu war sie – unabhängig von der Frage, ob dies verfahrensrechtlich geboten ist – entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift jedenfalls aus behördeninternen Gründen aufgrund eines Erlasses des Niedersächsischen Justizministeriums verpflichtet. Hintergrund hierfür wiederum ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach vollstreckende Justizbehörden im Sinne des Art. 6 Abs. 2 des Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (Rb-EuHB) weisungsunabhängig sein müssen (EuGH, Urteil vom 24 November 2020 – C-510/19), was auf deutsche Staatsanwaltschaften im Lichte der §§ 146, 147 GVG nicht zutrifft (vgl. insoweit bereits EuGH, Urteil vom 27. Mai 2019 – C-508/18). Ob deutsche Staatsanwaltschaften auf Grundlage dieser Rechtsprechung im Auslieferungsverkehr auf Grundlage des Rb-EuHB auch nicht mehr eigenständig entscheiden dürfen, ob eine Auslieferung – wie vorliegend – offenkundig unzulässig ist, ist umstritten und Gegenstand einer bislang nicht entschiedenen Anrufung des Bundesgerichtshofes durch den Senat (Beschluss vom 7. Mai 2021 – 2 AR (Ausl) 26/21). Sofern die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Notwendigkeit der Weisungsunabhängigkeit der vollstreckenden Justizbehörde dazu führen sollte, dass nach nationalem Recht nicht mehr die Generalstaatsanwaltschaften, sondern die Oberlandesgerichte über die Unzulässigkeit einer Auslieferung entscheiden müssen, ist nicht erkennbar, warum dies einen Einfluss auf einen Auslagenerstattungsanspruch des Verfolgten haben könnte. Bei ablehnender Entscheidung bereits durch die Generalstaatsanwaltschaft ist ein solcher Anspruch unzweifelhaft nicht gegeben. Daran kann sich nichts ändern, weil nunmehr – möglicherweise – das Oberlandesgericht entscheiden muss. Die Frage der Unabhängigkeit der Justizbehörden hat mit der Frage der Auslagenerstattung des Verfolgen nichts zu tun.
Unabhängig von der Beantwortung dieser Rechtsfrage war der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ersichtlich nicht darauf gerichtet, die Auslieferung des Verfolgten – entsprechend einer mit dem Ziel der Verurteilung erhobenen Anklage – durch den Senat für zulässig erklären zu lassen. Dementsprechend ist für eine Auslagenerstattung entsprechend der §§ 467, 467a StPO vorliegend kein Raum.“