Rechtsmittel II: Welches Rechtsmittel ist richtig?, oder: Rechtsmittelverwerfung wegen Ausbleibens

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Die zweite Entscheidung behandelt noch einmal die Frage, welches das richtige Rechtsmittel ist, wenn das Rechtsmittel der Berufung des Angeklagten wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist.

Diese „Dauerbrennerfrage“ beantwortet noch einmal der OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.10.2021 – 1 Ws 117/21:

„Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam mit Urteil vom 19. Juli 2021 verworfen, weil der Angeklagte als der Hauptverhandlung unentschuldigt fernbleibend zu behandeln gewesen sei, da dieser sich geweigert habe, eine nach der Corona-Verordnung erforderliche Schutzmaske zu tragen und das Gerichtsgebäude noch vor Beginn der Berufungshauptverhandlung wieder verlassen hatte.

Die gegen das Verwerfungsurteil gerichtete „sofortige Beschwerde“ hat das Landgericht Potsdam entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft Potsdam als Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt und diesen durch den angefochtenen Beschluss verworfen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit Stellungnahme vom 24. September 2021, wie entschieden.

II.

Die sofortige Beschwerde gegen die versagte Wiedereinsetzung – über die vorab zu entscheiden ist, da die Gewährung von Wiedereinsetzung der Revision die Grundlage entzöge (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 342 Rn. 2) – ist gemäß §§ 329 Abs. 7 S. 1, 46 Abs. 3 StPO statthaft und innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt, in der Sache bleibt sie ohne Erfolg. Das Landgericht hat dem Angeklagten die begehrte Wiedereinsetzung mit Recht versagt.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit zutreffender Begründung verworfen. Der Angeklagte hat keinen im Wiedereinsetzungsverfahren zu beachtenden Grund vorgebracht, der seine Terminssäumnis als im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO unverschuldet erscheinen ließe.

Dabei kann im hiesigen Wiedereinsetzungsverfahren dahinstehen, ob der Angeklagte unverschuldet der Hauptverhandlung ferngeblieben war. Denn gegen ein Verwerfungsurteil kommt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn Entschuldigungsgründe geltend gemacht werden, die dem Berufungsgericht nicht bekannt waren und auch nicht bekannt sein mussten, als es die Berufung verwarf (vgl. KG, Beschluss vom 24. August 2016 – 4 Ws 117/16 – m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2020 – 4 Ws 29/20 – [juris]). Daher ist anerkannt, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 329 Abs. 7 StPO jedenfalls nicht auf solche Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht bereits in seinem Verwerfungsurteil als zur Entschuldigung nicht genügend gewürdigt hat (vgl. KG NStZ-RR 2006, 183). Solche Tatsachen sind für das Wiedereinsetzungsverfahren „verbraucht“. Für sie ist die Revision das allein geeignete Rechtsmittel. Diese strikt unterschiedliche Behandlung von Wiedereinsetzungs- und Revisionsgründen rechtfertigt sich schon durch die Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs. 2 GG). Denn die Wiedereinsetzung führt zu demselben Spruchkörper zurück, die Revision zu einem anderen (vgl. KG, Beschlüsse vom 28. Januar 2009 – 2 Ws 647/08 – m. w. N. und vom 24. August 2016 – 4 Ws 117/16 –).

Die durch den Angeklagten im Wiedereinsetzungsverfahren vorgebrachte Tatsache, nämlich, dass ihm der Zutritt zum Gerichtsgebäude ohne Schutzmaske verweigert worden sei, ist im Berufungsurteil bereits ausführlich gewürdigt worden und damit für ein Wiedereinsetzungsverfahren im Rechtssinne verbraucht. Weitere Entschuldigungsgründe hat der Angeklagte nicht vorgebracht.

Der Senat weist darauf hin, dass die „sofortige Beschwerde“ gegen das Verwerfungsurteil der Berufungskammer in Ansehung des Beschwerdevortrages als Revision auszulegen gewesen wäre, die sich indes ebenfalls als unzulässig erweisen dürfte, da sie nicht form- und fristgerecht begründet worden sein dürfte.“

3 Gedanken zu „Rechtsmittel II: Welches Rechtsmittel ist richtig?, oder: Rechtsmittelverwerfung wegen Ausbleibens

  1. Revisionsproblem

    In der Sache ist gegen die Interpretation von § 329 VII StPO nichts einzuwenden.

    Allerdings verbleiben zwei Probleme, die sich aus dem letzten Absatz und dem (hier nicht abgedruckten) Sätzen am Ende der Entscheidung ergeben („Hierüber wird noch zu entscheiden sein; §§ 346, 347 StPO sind zu beachten. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.“):

    1. Diese Revision dürfte nur derzeit unzulässig sein. Denn die Rechtsfragen rund um § 329 StPO dürften wohl von niemandem als einfach bewertet werden, sodass hier (jedenfalls) nach dem Berufsurteil ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen müsste. Insoweit dürfte entweder (erstmalig) ein Pflichtverteidiger zu bestellen sein oder (wenn bereits zuvor verteidigt) ein wesentlicher Mangel der Verteidigung vorliegen, der nicht zugerechnet werden kann. Beides wird zwingend (und mit dem aus dieser Entscheidung ersichtlichen Sachstand bereits von Amts wegen) zur Wiedereinsetzung in der Revisionsbegründungsfrist führen müssen.

    2. Das führt zum zweiten Problem. Das OLG spaltet das Rechtsmittel durch die Auslegung auf. Es schreibt selbst, dass das Rechtsmittel als Revision auszulegen gewesen wäre. Wenn dem so ist, wie kann dann auch als sofortige Beschwerde über das Rechtsmittel entschieden werden, wenn diese sogar erfolglos bleibt? Die Aufspaltung durch das OLG führt dazu, dass aus (vermutlich) einem fehlgeleiteten Satz in der Einlegung zwei Rechtsmittel werden können. Wenn das möglich ist, wird der Angeklagte zwingend mit einer Kostenlast belegt, weil beide Rechtsmittel nie nebeneinander exisiteren können. Das führt dazu, dass der Angeklagte Kosten tragen soll, weil das LG (selbst nach Auffassung des OLG!) die Einlegungserklärung falsch ausgelegt hat. Das kann nicht sein und würde zu vollkommen beliebigen Ergebnissen führen, wenn es so flächendeckend angewandt werden würde.

  2. Revisionsproblem

    Zu 1.: Grundsätzlich stimme ich Ihnen da zu. Bei einer Sache, in der es aber schon die StA anders gesehen hat als die Kammer, bleiben erhebliche Zweifel.

    Zu 2.: Kostenmäßig dürfte das nicht egal sein, weil der Angeklagte nun Kosten für die sof. Beschwerde trägt und danach nochmal eine Entscheidung über die Revision ergeht, für die er – Erfolglosigkeit unterstellt – nochmals Kosten tragen wird. Hätte das LG die Sache gleich als Revision ausgelegt – wie es das OLG meint – hätte ihn im Ergebnis nur eine Kostenentscheidung getroffen. Ob die Spaltung nun auf das LG oder das OLG zurückgeht: Geschenkt.

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