Die „Ampel“, oder: „Wir machen Strafprozesse noch effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher“

Vor dem Tagesprogramm ein paar Gedanken zum gestrigen Tag und zu dem, was da offenbar kommt oder kommen soll (wirklich?).

Gestern war er nun, der Tag der Tage für die „Ampelkoaltion“. Wir haben gehört: „Die Ampel steht“ – das haben Ampeln übrigens i.d.R. so an sich – fragt sich nur, wie lange. Und als Beweis haben wir den „Koaltitionsvertrag 2021 -2025“ unter dem Titel: „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ vorgelegt bekommen. 178 Seiten Fortschritt (hier der Link zum Koalitionsvertrag – nur zufällig auf die Seite der SPD).

Ich frage mich: Wirklich Fortschritt? Und da mich natürlich das Strafverfahren und der Strafprozess am meisten interessieren, habe ich dann mal gesucht, was man auf den 178 Seiten zum Strafverfahren – ich lasse das Strafrecht mal außen vor – mitteilt, was man sich also so als „Ampelkoalition“ für die nächsten vier Jahre vorgenommen hat.

Um das zu finden, muss man sich bis auf Seite 106 unten des Vertrages durchkämpfen. Und da liest man dann:

„Wir machen Strafprozesse noch effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher, ohne die Rechte der Beschuldigten und deren Verteidigung zu beschneiden. Vernehmungen und Hauptverhandlung müssen in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Unter anderem regeln wir die Verständigung im Strafverfahren einschließlich möglicher Gespräche über die Verfahrensgestaltung und das grundsätzliche Verbot der Tatprovokation. Gerichtsentscheidungen sollen grundsätzlich in anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar sein. Wir stellen die Verteidigung der Beschuldigten mit Beginn der ersten Vernehmung sicher.“

Als ich das gelesen habe, habe ich nur gedacht: Ich hätte nicht vorauszusagen gewagt, dass mich meine Ausführungen in meiner Dankesrede zum „Pro reo 2020“ so schnell einholen werden. Da sind sie nämlich wieder die Begriffe: „Strafprozesse noch effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher“ machen. Das hatten wir doch alles schon, oder, wie ich am 13.11.2021 in Leipzig ausgeführt habe:

„….. Im Übrigen: Gesetze, die z.B. die StPO „effektiver und praxistauglicher“ gestalten, muss man sich genauer ansehen. Denn meist werden unter diesem Deckmantel oder auch unter dem Motto: „Modernisierung“ oder „Fortentwicklung“ die Rechte des Angeklagten und seiner Verteidigung beschnitten. Der Gesetzgeber erhört gerne und m.E. zu oft die Rufe aus der Justiz und opfert Rechte des Angeklagten auf dem Altar der Verfahrensbeschleunigung, die von der Justiz immer wieder – und auch noch weiter – gefordert wird. …..“

Natürlich habe ich nicht überlesen: „…. ohne die Rechte der Beschuldigten und deren Verteidigung zu beschneiden…..“ Aber das haben früher auch schon immer alle gesagt und davon übrig geblieben ist nichts bzw. die Rechte der Beschuldigten und der Verteidigung sind beschnitten worden. Und das droht also auch jetzt von dem „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. In meinen Augen nur Worthülsen.

Um Einwänden vorzubeugen: Ich habe nicht überlesen, dass Vernehmungen und Hauptverhandlung in Bild und Ton aufgezeichnet werden „müssen“ und man „die Verteidigung der Beschuldigten mit Beginn der ersten Vernehmung „sicherstellen will. Beides ist schon in der abgelaufenen Legislaturperiodes nicht gelungen – wo übrigens die SPD die Justizministerin gestellt hat -, warum sollte es nun gelingen?. Mit einem – wie man hört BMJ Marco Buschmann? Ich bin gespannt auf den Kampf mit den Ländern. Denn die werden *kämpfen, da die Maßnahmen Geld kosten werden, das man nicht hat oder nicht hergeben will.

Und dann „regeln wir die Verständigung im Strafverfahren einschließlich möglicher Gespräche über die Verfahrensgestaltung und das grundsätzliche Verbot der Tatprovokation“. Auch das m.E. nichts Neues. Denn das „Verbot der Tatprovokation“ hat man ja schon mal versucht und es ist nicht gelungen. Und in meiner StPO ist die Verständigung geregelt – § 257c StPO lässt grüßen. Die Verständigung ist vielleicht nicht gut geregelt, aber geregelt ist sie. Und § 213 Abs. 2 StPO ermöglicht auch Gespräche über die Verfahrensgestaltung.

Alles in allem: Mich überzeugen die den „Strafprozess“ betreffenden Ankündigungen nicht. Sie mahnen eher große Vorsicht an und, dass man das, was die „Ampelkoalition“ mit dem Strafverfahren vor hat, sehr genau unter die Lupe nehmen und im Auge behalten muss. Also: Vorsicht.

Ach so: Wie gesagt. Justizminister soll offenbar Marco Buschmann, FDP, werden. Erst wollte ich schreiben: Kreisch, kreisch, kreisch, denn dem traue ich das Ministerium nicht. Aber ok. Er kann ja noch an seinen Aufgaben wachsen. Ich lasse mich gern davon überzeugen, dass er es kann. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Übrigens: Wer wissen will, wer in der Koalition das Sagen hat, der muss sich nur das Logo auf dem Deckblatt des Koalitionsvertrages ansehen. Welche Farbe steht oben? Richtig: Gelb. Mich überrascht das nicht 🙂 .

3 Gedanken zu „Die „Ampel“, oder: „Wir machen Strafprozesse noch effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher“

  1. Dante

    Zusammengefasst: Sie fürchten Dinge, die in keiner Weise konkret angekündigt sind und glauben, dass die konkret angekündigten Dinge, die sie begrüßen würden, nicht umgesetzt werden.

    Wie nennt man eigentlich das Gegenteil von Vertrauensvorschuss?

    Ich bin zwar kein FDP-Wähler, es gibt aber sicherlich Parteien, denen ich in Sachen Freiheitsrechte weniger traue.

  2. Volker Böger

    Lieber Dante,
    da haben Sie natürlich recht. Es gibt diese anderen Parteien, die sie als weniger freiheitsliebend beschreiben: Zwei davon leuchten an der selben Ampel …;-)
    Im Übrigen stimme ich Herrn Burhoff zu: Bei Beschleunigung im Strafprozess ist immer Vorsicht geboten, denn meistens geht sie zu Lasten der Beschuldigten/Betroffenen und Ihrer Verteidigung.

  3. Derek

    Ich denke auch, dass man dem BJM in spe einen gewissen Vertrauensvorschuss zubilligen kann. Wer sich ein Bild von ihm machen möchte, dem sei sein jüngstes Buch (vorgestellt von einem gewissen Herrn Schäuble) mit dem Titel „Die sterbliche Seele der Freiheit“ zur Lektüre anempfohlen.
    Was die Vorsicht bei solchen Ankündigungen wie „Modernisierung“ oder gar „Entbürokratisierung“, die in der Vergangenheit stets zu einer Verkomplizierung und „noch mehr Paragraphen“ führte angeht, ist diese höchst angebracht. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

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