U-Haft: Haftgrund „Wiederholungsgefahr“, oder: Wenn die „einschlägige Tat“ mehr als 5 Jahre zurückliegt

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Die 31. KW des Jahres 2021 beginne ich mit zwei Entscheidungen zum Ermittlungsverfahren.

Als erste Entscheidung stelle ich den LG Halle, Beschl. v. 11.06.2021 – 3 Qs 58/21– vor. Das LG nimmt in einem Verfahren wegen eines BtM-Verstoßes zu den Haftgründen Stellung. Das AG war zunächstvon Flucht- und Wiederholungsgefahr ausgegangen, dann im Haftprüfungstermin aber nur noch von Widerholungsgefahr. Das LG hat auf die Haftbeschwerde des Kollegen Funck, der mir den Beschluss geschickt hat, den Haftbefehl aufgehoben:

„Die Kammer geht zunächst wie das Amtsgericht davon aus, dass keine Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht. Der Beschuldigte hat einen festen Wohnsitz, eine Arbeitsstelle und lebt zwar von der Mutter seines Kindes getrennt, praktiziert aber das Wechselmodell, bei dem das Kind in jeder zweiten Woche bei ihm wohnt, Zwar hat der Beschuldigte aufgrund seiner auch einschlägigen Vorstrafen und seines Bewährungsversagens bei einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe sicherlich eine unbedingte Freiheitsstrafe zu erwarten. Diese dürfte sich aber, da der Beschuldigte zum ersten Mal wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (die frühere Verurteilung bezog sich lediglich auf den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) aufgefallen ist und es sich um die weiche Droge Marihuana handelt, bei der hier festgestellten etwa 18-fachen Überschreitung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge dennoch noch im unteren Bereich des Strafrahmens bewegen. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch unter Berücksichtigung des drohenden Bewährungswiderrufs, der eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten betrifft, die familiären und sozialen Bindungen des Beschuldigten ausreichend, um dem sich aus der Straferwartung ergebenden Fluchtanreiz entgegenzuwirken.

Die Kammer hält aber auch den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht für gegeben. Dringenden Tatverdacht unterstellt, wäre der Beschuldigte dringend verdächtig, wiederholt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Tat nach § 29a Abs. 1 BtMG begangen zu haben, wobei sich die wiederholte Tatbegehung aus dem Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 15. 06. 2018 ergibt, mit dem der Beschuldigte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Jedoch sind für die Kammer keine bestimmten Tatsachen ersichtlich, die die Gefahr begründen, dass der Beschuldigte vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen werde. Die dem Urteil vom 15. 06. 2018 zu Grunde liegende Tat wurde am 31. 08. 2016 begangen, liegt also fast fünf Jahre zurück. Mit einem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, wie es ihm hier vorgeworfen wird, ist der Beschuldigte noch nie aufgefallen. Seit der Verurteilung vom 15. 06. 2018 ist er strafrechtlich nicht mehr anderweitig in Erscheinung getreten. Eine so starke Innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Taten, die die Besorgnis begründen könnte, er werde die Serie gleichartiger Straftaten noch vor der Verurteilung wegen der Anlasstat fortsetzen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 112a Rn. 14) vermag die Kammer bei dem Beschuldigten bei der gebotenen engen Auslegung des § 112a StPO (vgl. Böhm in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage, § 112a Rn. 14) vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen.

Soweit der Beschuldigte vom Amtsgericht Halle (Saale) am 08. 04. 2010 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und diverser anderer Straftaten verurteilt wurde, kann dies zur Begründung der Wiederholungsgefahr nicht herangezogen werden, da sich daraus nicht ergibt, dass es sich bei dem (bloßen) Besitz von Betäubungsmitteln um eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat handelt und die Tat im Übrigen mittlerweile mindestens zwölfeinhalb Jahre zurückliegt. Weitere Straftaten nach dem BtMG sind nicht aktenkundig.“

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