Und zwischendruch dann ein Posting zum OWi – Sonder-OWi passt also. Passt ja ganz gut zum verkehrsrechtlichen Thema des heutigen Tages.
Es geht um Messungen mit Leivtex XV 3. Die sind ja seit einiger Zeit in der Diskussion. Dazu gibt es ja auch, wie die Kollegen berichten, inzwischen einige AG-Entscheidungen, in denen die AG Verfahren, denen Leivtex XV3 Messungen zugrunde gelegen haben, eingestellt worden sind. So z.B. mit dem AG Landstuhl, Beschl. v. 17.03.2021 – 2 OWi 4211 js 2050/21, den ich gestern vom AG Landstuhl erhalten habe.
Gerade bin ich dann aber auf die – m.E. erste – OLG-Entscheidung zu der Problematik gestoßen, und zwar auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 16.03.2021 – 2 Ss (OWi) 67/21. Mit dem hat das OLG ein Verfahren eingestellt und führt dazu aus:
„Der Betroffene ist wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt worden.
Die Geschwindigkeitsüberschreitung ist festgestellt worden mit dem Messgerät Leivtec XV 3.
Nachdem eine Gruppe von Sachverständigen in „zahlenmäßig relevanten“ Fällen unzutreffende Geschwindigkeitswerte bei Messungen mit diesem Gerät festgestellt hatte (nachzulesen auf der Internetseite www.i….de), hat die PTB ebenfalls Untersuchungen aufgenommen.
Unter dem Datum vom 27.10.2020 hatte die PTB folgenden Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen veröffentlicht:
„Kürzlich wurde der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) der Verdacht gemeldet, dass das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3 möglicherweise in sehr speziellen Konstellationen für manche aktuelle Fahrzeugtypen geeichte Geschwindigkeitsmesswerte mit unzulässigen Messwertabweichungen ausgeben könne. Die PTB hat daraufhin die Situation an ihrer Referenzanlage nachgestellt.
Bisher konnte die PTB die gemeldeten Effekte nicht reproduzieren. Die Untersuchungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Sobald ein definitives Ergebnis vorliegt, wird die PTB die zuständigen Marktaufsichtsbehörden sowie den Hersteller entsprechend informieren, damit, falls tatsächlich erforderlich, geeignete Maßnahmen eingeleitet werden können.“
Nachdem die PTB die Messfehler im Grundsatz reproduzieren konnte, ist unter dem Datum vom 14.12.2020 eine vom Hersteller vorgelegte Gebrauchsanweisung von der PTB genehmigt worden.
In der Gebrauchsanweisung heißt es nunmehr wie folgt:
„Zur Verwertbarkeit der Beweisbilder muss für alle in Kapitel 5.4 aufgeführten Kriterien zusätzlich folgende Bedingung für das Messung-Start-Bild erfüllt sein:
Sofern sich im Messung-Start-Bild nicht das komplette Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens befindet, muss die innerhalb des Messfeldrahmens abgebildete Breite des Kennzeichens mindestens der zweifachen Höhe des Kennzeichens entsprechen.
Bei Messungen mit Einfahrt des Fahrzeugkennzeichens in den Messfeldrahmen von oben muss im Messung-Start-Bild das gesamte Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens abgebildet sein.“
Der Einzelrichter des Senats hat daraufhin mit Mail vom 03.03.2021 folgende Anfrage an die PTB gerichtet:
„Ist das Messgerät Leivtec XV 3 bei Beachtung der oben genannten Ergänzung der Gebrauchsanweisung aus Sicht der PTB nach wie vor als standardisiertes Messverfahren anzusehen?“ ….
Mit Nachtrag vom 12.3.2021 zur o.g. Veröffentlichung (nachzulesen unter (https://doi.org/10.7795/520.20201215) führt die PTB nunmehr hierzu aus:
Am 09.03.2021 erlangte die PTB nun Kenntnis über weitere Versuche von Sachverständigen [M. K., T. G., L. H., Versuche zum Stufeneffekt beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, März 2021] die zeigen, dass es darüber hinaus spezielle Szenarien gibt, bei denen es auch unter den Regeln der ergänzten Gebrauchsanweisung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann.
Die PTB hat daraufhin umgehend den Hersteller und die zuständigen Stellen der Markt-und Verwendungsaufsichtsbehörden informiert und mit intensiven eigenen Versuchen begonnen. Die Ergebnisse stehen noch aus.
Der Senat hatte die Amtsgerichte des OLG Bezirk Oldenburg aufgrund einer Vorabinformation bereits am 11.03.2021 über die entsprechende Problematik informiert.
Es kann somit derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass auch bei Einhaltung der Vorgaben der geänderten Gebrauchsanweisung in Einzelfällen unzulässige Messwertabweichungen vorkommen – nach einer Mitteilung der PTB vom 13.3.2021 hat der Hersteller des Gerätes seinen Kunden allerdings geraten, amtliche Messungen mit dem Gerät vorerst auszusetzen- bzw. vorgekommen sind. Andererseits versteht der Einzelrichter die vorgenannte Veröffentlichung so, dass die weiteren Versuche wohl zumindest dann keine Anhaltspunkte für Fehlmessungen geliefert haben, wenn das Fahrzeugkennzeichen vollständig im Auswerterahmen des Messung-Start-Bildes abgebildet ist.
Es ist aber jedenfalls so, dass dann, wenn das Messung-Start-Bild die neuen Anforderungen an die Abbildung des Kennzeichens nicht erfüllt, die Beweisbilder nicht verwertbar sind (vergleiche die Formulierung der geänderten Gebrauchsanweisung).
Hier erfüllt das Messung-Start-Foto nicht die gestellten Anforderungen, da sich allenfalls minimale Teile des Kennzeichens im Messfeldrahmen befinden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Messfehlers zulasten des Betroffenen gering ist, hält der Senat eine Einstellung für sachgerecht, zumal der Betroffene Einwendungen gegen die Richtigkeit des Messergebnisses erhoben hat.“
Es bleiben in der Entscheidung schon erhebliche Fragen offen:
1.) Zunächst urteilt das OLG auf Basis der geänderten Gebrauchsanweisung (das Kennzeichen ist nur minimal im Auswerterahmen und deshalb stellt das OLG ein) – die Gebrauchsanweisung ist jedoch Bestandteil der Zulassung (erteilt vor dem 01.01.2015) und somit nach den Bestimmungen des neuen MessEG unveränderlich – darf also die Gebrauchsanleitung überhaupt geändert werden? oder ist vielmehr die Zulassung zu widerrufen?
2.) Die zweite Sachverständigengruppe hat NACH der Änderung der Gebrauchsanweisung festgestellt, dass die Messfehler auch dann auftreten, wenn die geänderten Auswerteszenarien NICHT vorliegen – also quasi immer! Dies muss dann aus technischer Sicht zwingend zur Aussetzung/Widerruf der Zulassung führen!
3.)Mit der alten Software 1.0, welche teilweise Messinformationen abgespeichert hat, haben sich unterschiedliche Geschwindigkeiten an der Regressionsgeraden aufzeigen lassen. Deshalb ist davon auszugehen, dass die aufgetretenen Abweichungen mit der alten Software festzustellen wären. Daher ist der Sachverhalt schon als Beweis für die Erforderlichkeit der Rohmessdaten zu werten.
4.) Ohne Rohmessdaten wird sich die Ursache (ANGEBLICH Stufenprofilmessung) nicht beweisen lassen, so dass solche Fehler dann künftig auch nie auszuschließen sind. Jeder Versuch der „Rettung“ des Messgerätes muss daher an den fehlenden Rohmessdaten scheitern.
Noch eine Anmerkung: mich als juristischen Laien verwundert es sehr, dass das AG die PTB fragt, ob es sich denn „immer noch um ein standardisiertes Messverfahren“ handele?
Hier werden unter gleichen (da zugelassenen) Bedingungen halt eben nicht mehr immer gleiche Ergebnisse erzielt. Damit ist die Forderung die (richtigerweise) die Rechtsprechung für das standardisierte Verfahren aufgestellt hat nicht mehr erfüllt – so dass für den Techniker die Frage beantwortet ist: Bedingung nicht erfüllt – kein standardisiertes Messverfahren!