Die zweite Entscheidung zur StPO kommt dann heute auch vom BGH.
Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 06.01.2021 – 5 StR 519/20. Das LG hat die Angeklagte wegen „gewerbsmäßigen Betruges“ in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision hatte mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO Erfolg.
„1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
Bei Eröffnung des damals noch gegen vier Angeklagte geführten Hauptverfahrens beschloss die Strafkammer am 21. Januar 2020 eine Besetzung mit drei Richtern und zwei Schöffen. Als Beginn der Hauptverhandlung wurde anschließend der 13. Februar 2020 bestimmt, zudem wurden 29 weitere Hauptverhandlungstage bis Anfang August 2020 sowie die Hinzuziehung eines Ergänzungsschöffen und eines Ergänzungsrichters angeordnet. Die für den ersten Hauptverhandlungstag zugelosten beiden Hauptschöffinnen und der von der Schöffengeschäftsstelle gemäß der gesetzlichen Reihenfolge zugewiesene Hilfsschöffe S. wurden von ihrem Einsatz benachrichtigt. Am 23. Januar 2020 wurde die Hinzuziehung eines zweiten Ergänzungsschöffen angeordnet. Zugewiesen wurde gemäß der vorgesehenen Reihenfolge die Hilfsschöffin D. . Ende Januar 2020 bat eine der Hauptschöffinnen wegen bereits gebuchten Urlaubs um Entbindung. Dem kam der Vorsitzende nach und bat um Zuweisung des nächstbereiten Hilfsschöffen. Nunmehr wurde die Hilfsschöffin P. als nächstbereite Schöffin bestimmt.
Unter dem 30. Januar 2020 teilte das Gericht den Verfahrensbeteiligten seine Besetzung mit. Danach sollten neben den Berufsrichtern die verbliebene Hauptschöffin O. und als weiterer Schöffe der zunächst zugezogene Hilfsschöffe S. tätig werden, als Ergänzungsschöffinnen hingegen die Hilfsschöffinnen D. und P. .
Nach Ladung bat die auserkorene Hilfsschöffin P. aufgrund einer kollidierenden wichtigen Prüfungsvorbereitung um Entpflichtung. Der Vor- sitzende entband sie daraufhin von ihrer Dienstpflicht und bat um Zuweisung des nächstbereiten Hilfsschöffen. Drei weitere Hilfsschöffen wurden wegen Urlaubs antragsgemäß entpflichtet, schließlich wurde der Hilfsschöffe F. als Ergänzungsschöffe bestimmt.
Zu Beginn der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende mit, dass anstelle der Schöffin P. nunmehr der Schöffe F. an der Hauptverhandlung teilnehme. Welche konkrete Funktion dieser neu benannte Schöffe einnehme, wurde nach dem durch das Protokoll bestätigten Revisionsvortrag nicht gesondert hervorgehoben. Auf Antrag der Verteidigung wurde die Hauptverhandlung bis zum nächsten vorgesehenen Hauptverhandlungstag (27. Februar 2020) unterbrochen. Am 19. Februar 2020 rügte die Angeklagte die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts „hinsichtlich des Hilfsschöffen … F. als Ergänzungsschöffe“ und begründete dies mit einer fehlerhaften Entbindung der Schöffin P. . Dieser Besetzungseinwand wurde schließlich vom Kammergericht am 9. März 2020 verworfen. Am Urteil haben neben den Berufsrichtern die ursprünglich für diesen Tag zugeloste Schöffin O. und der zuletzt zugewiesene Hilfsschöffe F. mitgewirkt. Während der gesamten Hauptverhandlung war aber auch der zuerst bestimmte Hilfsschöffe S. anwesend. Dass an dessen Stelle der Hilfsschöffe F. am Urteil mitgewirkt hat, beanstandet die Angeklagte.
2. Die Rüge fehlerhafter Gerichtsbesetzung greift durch.
a) Die Rüge ist nicht nach § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. b StPO präkludiert.
aa) Eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO über die Hinzuziehung des Hilfsschöffen F. als Schöffen liegt nicht vor. Das Kammergericht hat lediglich darüber entschieden, dass dieser Schöffe zu Recht als Ergänzungsschöffe ausgewählt wurde und insoweit den gesetzlich bestimmten Richter darstellt. Nur darauf bezog sich auch die erhobene Besetzungsrüge. Die Frage, ob dieser Hilfsschöffe an die Stelle des in der ursprünglichen Besetzungsmitteilung noch zutreffend als „Schöffe“ bezeichneten S. treten soll, wird weder von der Besetzungsrüge noch von der Kammergerichtsentscheidung berührt.
bb) Insoweit sind auch die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden. Findet die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht statt, ist nach § 222a Abs. 1 Satz 1 StPO spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung die Besetzung des Gerichts unter Hervorhebung des Vorsitzenden und hinzugezogener Ergänzungsrichter und Ergänzungsschöffen mitzuteilen. Erfolgt – wie hier – vor der Hauptverhandlung eine solche Mitteilung und ändert sich anschließend die mitgeteilte Besetzung, so muss dies nach § 222a Abs. 1 Satz 3 StPO spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt werden. Bei dieser Mitteilung handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO (vgl. KK-StPO/Gmel, 8. Aufl., § 222a Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 222a Rn. 4), deren Beobachtung gemäß § 274 Satz 1 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann.
Eine Mitteilung, aus der sich eindeutig (vgl. nur LR-StPO/Jäger, 27. Aufl., § 222a Rn. 12) ergibt, dass entgegen der ursprünglichen Besetzungsmitteilung F. anstelle von S. von Beginn an als Schöffe mitwirken soll, ist nach dem durch das Protokoll bewiesenen Vortrag der Revisionsführerin nicht erfolgt. Eine Präklusion scheidet bei einer derart defizitären Mitteilung aus. Soweit die richterlichen Mitglieder der erkennenden Kammer demgegenüber in einer „Revisionserklärung“ dargelegt haben, man habe durch Aufruf der Schöffen und deren Handzeichen dem Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung offengelegt, welche Schöffen Ergänzungsschöffen sind und welche als Schöffen mitentscheiden, zudem habe sich die Funktion der Schöffen aus der Reihenfolge ihrer Nennung und den Sitzplätzen sowie dem Gang ins Beratungszimmer zur Zwischenberatung am ersten Hauptverhandlungstag ergeben, kann dies den Revisionsvortrag nicht entkräften. Denn aus dem Protokoll ergibt sich mit negativer Beweiskraft (vgl. § 274 Satz 1 StPO), dass es hinsichtlich der Beteiligung des Hilfsschöffen F. als Schöffe anstelle des bis dahin benannten S. (ohne Hervorhebung der Ergänzungsschöffeneigenschaft) keinen ausreichenden Hinweis nach § 222a Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO gab. Eine Protokollberichtigung ist nicht erfolgt.
Mit dem Vortrag der Revisionsführerin korrespondiert zudem ihr in der Hauptverhandlung erfolgter Besetzungseinwand, der sich ausschließlich mit der Heranziehung des Hilfsschöffen F. „als Ergänzungsschöffe“ befasste (vgl. zu dessen Statthaftigkeit BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 – 4 StR 550/00, NJW 2001, 3062). Spätestens dies hätte dem Vorsitzenden Anlass geben müssen, die bislang defizitäre Mitteilung nach § 222a Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO zu prüfen und durch Bestimmung von Schöffen und Ergänzungsschöffen zu präzisieren. Die von der Strafkammer in ihrer „Revisionserklärung“ angesprochenen Verschuldensfragen sind demgegenüber ohne Belang.
b) Die Verfahrensrüge ist auch zulässig erhoben. Dem Revisionsvortrag kann der Senat sämtliche Tatsachen entnehmen, die für die Frage der Begründetheit der Rüge relevant sind (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Soweit die Revisionsführerin bezüglich nicht entscheidungserheblicher Nebenfragen unzutreffend vorgetragen haben sollte (vgl. Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft), wäre dies unbeachtlich. Nach § 352 Abs. 2 StPO ist eine weitere Begründung der Revisionsanträge als die in § 344 Abs. 2 StPO vorgeschriebene nicht erforderlich und, wenn sie unrichtig ist, unschädlich.
c) Die Verfahrensrüge hat in der Sache Erfolg, denn das Gericht war bei seiner Entscheidung nicht richtig besetzt.
Wie bereits das Landgericht in seiner „Revisionserklärung“ zugestanden hat, ist die Hinzuziehung des zuletzt bestimmten Hilfsschöffen F. zur Beratung und Entscheidung rechtsfehlerhaft erfolgt. Denn nach § 48 Abs. 2 GVG tritt im Fall der Verhinderung eines Hauptschöffen der zunächst zugewiesene Ergänzungsschöffe auch dann an seine Stelle, wenn die Verhinderung vor Beginn der Sitzung bekannt wird. Zur Mitwirkung an der Entscheidung war – wie die Revision zutreffend rügt – der zuerst als Ergänzungsschöffe bestimmte Hilfsschöffe S. berufen. Umstände, die dem Einsatz dieses Schöffen entgegenstanden, sind nicht ersichtlich; der Ergänzungsfall ist nicht eingetreten. Durch das Vorgehen der Strafkammer wurde der Angeklagten mithin ihr gesetzlicher Richter entzogen (vgl. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 16 Satz 2 GVG). Das Urteil muss deshalb – dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend – mit den Feststellungen aufgehoben werden.“