Auch mit der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, dem LG Leipzig, Beschl. v. 19.01.2021 – 13 Qs 8/21 – habe ich Probleme. Das Ergebnis ist zwar richtig, ich verstehe allerdings nicht, warum das LG um die nachträögliche Erstreckung so ein Geeiere macht.
„Das als Beschwerde zulässige Rechtsmittel hat auch Erfolg und führt zur Feststellung, dass sich die Beiordnung als Pflichtverteidiger auch auf das Verfahren 4 Ls 108 Js 36754/19 erstreckt.
Zwar ist dem Amtsgericht durchaus recht zu geben, dass die Erstreckung nach Abschluss des Verfahrens nicht nahe liegt, da es sowohl dem Wunsch eines Angeschuldigten als auch des Verteidigers entsprechen kann, dass die Verteidigung im Rahmen eines Wahlmandats ausgeübt wird. Insoweit wird es regelmäßig einen Verteidiger obliegen müssen, einen entsprechenden Beiordnungsantrag zu stellen, da eine nachträgliche Erstreckung jedenfalls kein Regelfall darstellen kann (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 48 RVG, Rdnr. 207).
Dabei wäre grundsätzlich davon auszugehen, dass die Erstreckung auszusprechen ist, wenn eine Beiordnung oder Bestellung unmittelbar bevorgestanden hätte, falls die Verbindung unter-blieben wäre (vgl. u.a. LG Düsseldorf StraFo 2012, 117 m.w.N.). In dem vorliegenden Fall hat der Verteidiger gerade in dem Verfahren unter dem staatsanwaltschaftlichen Aktenzeichen 108 Js 36754/19 trotz nochmaliger Verteidigungsanzeige an das Gericht bzw. gestelltem Antrag auf Akteneinsicht keinen Beiordnungsantrag gestellt.
Insoweit wäre die Beiordnung eines Pflichtverteidigers weiterhin nicht nahe liegend, da – wie bereits ausgeführt – die Vertretung eines Angeklagten auch im Rahmen der Ausübung eines Wahlmandates erfolgen könnte.
Insoweit wäre eine Erstreckung wohl nicht nahe liegend.
c) Allerdings vermag die Kammer in der vorliegenden Konstellation dem Beschwerdeführer die Erstreckung nicht zu versagen, da die amtsgerichtliche Vorgehensweise widersprüchlich ist.
Dem Gericht hat im Rahmen der Verfügung vom 06.11.2019 in dem Verfahren 950 Js 55313/19 den Beschwerdeführer dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet, wobei dem Gericht schon nach der Anklageschrift bewusst gewesen sein muss, dass dieser den Angeklagten auch in diesem Verfahren als (Wahl-)Verteidiger vertritt. Eine Notwendigkeit, den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger für dieses Verfahren beizuordnen, bestand aus der Argumentation des Amtsgerichts heraus nicht. Insbesondere wäre in dem Verfahren 950 Js 55313/19 in weitaus geringerem Umfang als in dem Verfahren 108 Js 36754/19 die Beiordnung eines Pflichtverteidigers geboten, was sich insbesondere auch in den unterschiedlichen Einzelstrafen hinsichtlich der jeweiligen Anklagevorwürfe zeigt.
Aufgrund dieser aus Sicht der Kammer widersprüchlichen Herangehensweise bzw. Sachbehandlung vermag die Kammer kein solches Eigenverschulden des Beschwerdeführers, dass er nicht auch in dem Verfahren 108 Js 36754/19 frühzeitig einen Erstreckungs- und/oder Beiordnungsantrag gestellt hat, zu erkennen, dass einer nachträglichen Erstreckung entgegen-stehen könnte. Eine solche Erstreckung kann auch noch nachträglich beantragt und ausgesprochen werden (vgl. Gerold/Schmidt, a.a.O., § 48 RVG, Rdnr. 209 m.w.N.).
Zumindest im Rahmen dieser Konstellation vermag die Kammer auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass Erstreckungen nur in Ausnahmefällen möglich sein sollen, den Antrag des Beschwerdeführers noch als zulässig und begründet erachten.
Nach alledem war das Rechtsmittel des Beschwerdeführers der Beschluss des Amtsgerichts Torgau aufzuheben, die Erstreckung i.S. des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auszusprechen und die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse aufzuerlegen.2
Vor allem finde ich es immer ganz „reizend“, wenn ich zitiert werde – hier mit dem Gerold/Schmidt – aber dort nicht das steht, was belegt werden soll. So auch hier.