Rechtsbeschwerdebegründung von 69 Seiten, oder: Für Überschreiten der Mittelgebühr reicht das nicht

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Das zweite Posting führt wahrscheinlich auch nicht zu einem Lachanfall.

Es geht um den AG Karlsruhe, Beschl. v. 15.06.2020 – 10 OWi 410 Js 43508/18, den mir der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog geschickt hat. Der Beschluss ist in einem Bußgeldverfahren ergangen, über das ich hier auch berichtet habe, und zwar betreffend den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.09.2019 – 1 Rb 10 Ss 531/19 (dazu (Akten)Einsicht II: Nichtüberlassung von Messunterlagen, oder: Beschränkung der Verteidigung).

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben. Später ist dann – so der Kollege Gratz – im Beschlusswege (§ 72 OWiG) eine Geldbuße in Höhe von 55 EUR verhängt wurde, wobei 73/100 der Auslagen im Rechtsbeschwerdeverfahren von der Staatskasse zu tragen waren. Der verteidigende Kollege hatte dann abgerechnet und war von einer Verfahrensgebühr Nr. 5113 VV RVG in Höhe von 416,00 EUR ausgegangen. Davon hatte er 378,87 EUR geltend gemacht. Die Bezirksrevisorin hat sich natürlich gewehrt – wann „wehrt“ sich eine Bezirksrevisor nicht? – und hat lediglich eine Gebühr von 280 EUR für angemessen erachtet. Der Schwierigkeitsgrad sei unterdurchschnittlich. Davon ist der Rechtspfleger ausgegangen:

„Das Gericht schließt sich – auch nach Kenntnisnahme der Stellungnahme vom 10.06.2020 – der Rechtsauffassung der Bezirksrevisorin an; mehrere Bemessungsmerkmale des § 14 RVG, welche ein über dem Durchschnitt liegendes – und daher den Ansatz jenseits der Mittelgebühr (hier 320,00 Euro) rechtfertigendes – Gewicht aufweisen, sind in dem vorliegendem Verfahren nicht ersichtlich.

Diese Einschätzung wird auch von den Feststellungen des Gerichts getragen, dass sich die seitens der Antragstellerin nochmals betont erwähnte 90-seitige Rechtsbeschwerde nach konkreter Durchsicht in nicht zu vernachlässigendem Umfang aus Auszügen oder vollständigen Ablichtungen aus der Akte zusammensetzt. So konnten bei einer kurzen Durchsicht von 69 Seiten der Rechtsbeschwerdeschrift auf circa 30 Seiten lediglich bereits in den Akten vorhandene „Aktenbestandteile“ festgestellt werden.“

Wie gesagt: „Lachanfall“ ausgeschlossen. Denn, wenn man das liest, bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Denn:

    1. mehrere Bemessungsmerkmale des § 14 RVG, welche ein über dem Durchschnitt liegendes – und daher den Ansatz jenseits der Mittelgebühr (hier 320,00 Euro) rechtfertigendes – Gewicht aufweisen, sind in dem vorliegendem Verfahren nicht ersichtlich.“ – Nicht nachvollziehbar bzw. falsch. Der Ansatz verkennt nämlich das Vorgehen bei der Gebührenbemessung. Auszugehen ist von der Mittelgebühr – das ist der Durchschnitt. Und wen die überstiegen werden soll, dann brauche ich über dem Durchschnitt liegende Bemessungsmerkmale. Aber eins kann ausreichen. Es müssen nicht mehrere sein. Das sollte sich auch bis Karlsruhe herum gesprochen haben. Mich erschreckt es, dass das offenbar nicht der Fall ist, wie die Stellungnahme des Bezirksrevisors und die Ausführungen des Rechtspflegers, der sich dem anschließt, zeigen.
    2. Und: Es liegt ein Verfahren vor, in dem die Rechtsbeschwerde zur Aufhebung des AG-Beschlusse geführt hat. Warum dann nicht die erhöhte Mittelgebühr für die Verfahrensgebühr angemessen sein soll, erschließt sich mir nicht. Im Übrigen: Wenn von 69 Seiten 30 Seiten Kopien sind, dann bleiben nach meiner Rechnung 39 Seiten übrig, die nicht kopiert sind. Das reicht dann nicht für die erhöhte Mittelgebühr? Mit Verlaub: Auch das ist nicht nachvollziehbar. Oder will der Rechtspfleger beim AG Karslruhe behaupten, dass man dort immer (noch) längere Rechtsbeschwerdebegründungen hat?

Alles in allem: Wenn man das so sieht/liest: Es macht keinen Spaß mehr.

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