Die dritte und letzte Entscheidudng, der LG Wuppertal, Beschl. v. 18.08.2020 – 23 Qs 93/20 (10 Js 870/20) -, den mir der Kollege Kujus aus Leipzig geschickt hat, befasst sich dann noch einmal mit der Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen „Schwere der Tat“ in den Fällen der zu erwartenden Gesamtstrafenbildung. Und: Der Beschluss löst die Problematik m.E. falsch:
„Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt insbesondere unter dem Aspekt der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen (§ 140 Abs. 2 StPO) nicht vor.
Die Anklageschrift vom 27.04.2020 legt dem Beschwerdeführer einen versuchten Erwerb von 5,3 Gramm Haschisch zur Last. Im Falle seiner Verurteilung hätte der Beschwerdeführer hiernach eine dem – voraussichtlich gem. § 23 Abs. 2, 49 StGB gemilderten – Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommenen Strafe zu gewärtigen. Strafmildernd wäre im Verurteilungsfall hierbei prognostisch zu berücksichtigen, dass die Tat eine Menge von „nur“ 5,3 Gramm Haschisch zum Gegenstand hat, wobei es sich bei dem vorgenannten Betäubungsmittel um ein Cannabisprodukt und damit um eine sog. weiche Droge handelt. Strafschärfend wird voraussichtlich zu bedenken sein, dass der Beschwerdeführer die angebliche Tat unter laufender Bewährung begangen hat und nicht unerheblich vorbestraft ist, wenngleich die letzte Verurteilung wegen eines Betäubungsmitteldelikts aus dem Jahre 2012 datiert. Letztlich dürfte hiernach noch mit einer Strafe im unteren – wenn auch nicht alleruntersten – Bereich des eröffneten Strafrahmens zu rechnen sein, die deutlich unter der als Richtschnur für die Annahme einer notwendigen Verteidigung in der Regel herangezogenen Straferwartung von etwa einem Jahr Freiheitsstrafe liegt.
Die Beschwerde weist zwar zutreffend darauf hin, dass in die anzustellende Rechtsfolgenbetrachtung auch mittelbare schwerwiegende Nachteile, wie etwa der hier drohende Bewährungswiderruf im Hinblick auf die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr aus dem Gesamtstrafenbeschluss vom 22.02.2018 mit in die Betrachtung einzufließen haben. Ein durch diesen (möglicherweise) zu erwartenden Nachteil drohendes Gesamtstrafübel, welches über die nicht schematisch zu betrachtende „Jahresgrenze“ wesentlich hinausgeht, steht jedoch letztlich nicht zu erwarten. Hiervon geht offenbar auch das Amtsgericht Solingen aus, welches sich in seiner Beschlussbegründung mit diesen durch die Verteidigung dargelegten Umständen freilich nicht äußerlich erkennbar auseinandergesetzt hat.
Sollten sich aus der Hauptverhandlung für das Amtsgericht jedoch weitere schulderhöhende Umstände ergeben, sodass auf Grund einer solchen veränderten Sachlage eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in Betracht zu ziehen ist, die in Zusammenschau mit dem drohenden Bewährungswiderruf die „Jahresgrenze“ wesentlich überschreitet, wird sich das Amtsgericht die Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung erneut – ggf. auch von Amts wegen – zu stellen haben.“
Wie gesagt: M.E. falsch. Die Grenze der Straferwartung liegt auch in den „Gesamtstrafenfällen“ bei einem Jahr. Ich kenne keine Entscheidung, die verlangt, dass die zu erwartende Strafe darüber „wesentlich hinausgehen“ muss. Und die Grenze wird ziemlich starr gesehen. davon kann zwar abgewichen werden, das muss aber begründet werden. Und das tut das LG hier mit keinem Wort.
Das ist in meinen Augen leider mal wieder so eine Entscheidung, bei der man sich fragt, was das soll. Warum gibt man eine gefestigte Rechtsprechung einfach mal so – ohne jede nähere Begründung – auf?