Nachdem zu Anfang der Corona-Pandemie bei den gerichtlichen Entscheidungen, die sich mit Corona befasst haben. Entscheidungen betreffend Haftfragen und Fragen der Unterbrechung/Fortsetzung der Hauptverhandlung im Vordergrund gestanden haben, nehmen nun Entscheidungen zu, bei den es um Verstöße gegen Corona-Verordnungen geht. Davon stelle ich heute zwei vor, eine weitere Entscheidung betrifft eine Verfahrensfrage. Alle drei Entscheidungen stammen aus Baden-Württemberg.
Ich beginne mit dem AG Stuttgart, Beschl. v. 08.09.2020 – 4 OWi 177 Js 68534/20. Der Betroffenen war vorgeworfen worden, sie habe gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) verstoßen, indem sie sich am 24.04.2020 um 8:30 in Stuttgart im Heslacher Tunnel in Fahrtrichtung stadteinwärts mit mehr als einer weiteren Person, die nicht zu den Angehörigen ihres eigenen Hausstandes gehörte, im öffentlichen Raum aufgehalten habe. Ausweislich der Snzeige befand sich die Betroffene mit vier anderen Personen, die alle einen unterschiedlichen Wohnsitz hatten, in einem Privat-PKW. Das AG hat von diesem Vorwurf frei gesprochen:
„2. Von diesem Vorwurf war die Betroffene aus rechtlichen Gründen frei zu sprechen, denn der vorgeworfene Sachverhalt stellt keinen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Corona-VO dar.
a) Die Verteidigerin hat sich für die Betroffene dahin eingelassen, sie sei mit ihren Angehörigen zu einem Gerichtstermin ihres Ehemannes auf dem Weg gewesen, den alle Fahrzeuginsassen gemeinsam im Zuschauerraum verfolgt hätten, weshalb die angesetzte Geldbuße jedenfalls zu hoch sei.
b) Die Einlassung der Betroffenen gebietet zwar weder eine Aufhebung des Bußgeldbescheids noch eine Reduzierung der Geldbuße, weil ein späteres rechtmäßiges Zusammenkommen weder die Rechtswidrigkeit eines aktuellen Zusammenkommens ausschließt noch dessen Vorwerfbarkeit reduziert. Im Übrigen gilt für Zuschauer von Gerichtsverhandlungen in Stuttgart jedenfalls seit 20.04.2020 ein regelmäßig sitzungspolizeilich angeordnetes und durchgesetztes Abstandsgebot auch bei Aufenthalt im Gerichtssaal.
c) Der gemeinsame Aufenthalt von fünf Personen in einem Privat-Pkw stellt aber keinen Aufenthalt im öffentlichen Raum dar.
aa) Öffentlicher Raum im Sinne der Corona-VO sind der öffentliche Verkehrsraum i.S.v. § 2 LBO, öffentliche Verkehrsmittel (Bahn, Bus, Taxi) oder öffentliche Gebäude soweit sie öffentlich zugänglich sind, nicht aber private Wohnräume oder andere vom öffentlichen Raum klar abgegrenzte Bereiche (privater Garten, Terrasse o.a.).
bb) Ein Privatfahrzeug wie der in diesem Fall genutzte Pkw ist nicht dem öffentlichen Raum zuzuordnen, denn es ist im Gegensatz zu einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht öffentlich zugänglich. Über den Zugang zu einem Privat-Pkw bestimmen nach dessen Nutzungszweck wie auch nach der Verkehrsanschauung ausschließlich der Pkw-Halter und / oder der Pkw-Führer.
d) Außerhalb des öffentlichen Raumes war am 24.04.2020 indes ein Zusammenkommen von bis zu fünf Personen unabhängig von verwandtschaftlichen Beziehungen oder einer häuslichen Gemeinschaft nach § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 CoronaVO BW in der vom 20.04.2020 bis 26.04.2020 geltenden Fassung erlaubt.