Die zweite Entscheidung kommt dann mit dem LG Saarbrücken, Urt. v. 05.06.2020 – 13 S 181/19 – aus dem Saarland. Thematik: Anscheinsbeweis beim Vorfahrtsverstoß (§ 8 Abs. 2 Satz 2 StVO) .
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
„Der Kläger befuhr am Tag des Unfallereignisses die L mit seinem Motorrad aus Richtung pp. kommend in Fahrtrichtung pp.. Als er in einem Bereich, in dem die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h galt, eine Straßenkuppe überfuhr, kam es zu einer Kollision mit dem Erstbeklagten, als dieser mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug von rechts kommend aus einem Feldweg, der etwa 60 m hinter der vom Kläger überfahrenen Kuppe in die L einmündet, nach links in die L einbog. Die Verantwortlichkeit für das Unfallereignis steht zwischen den Parteien im Streit. Der Kläger hat geltend gemacht, sein Vorfahrtsrecht sei durch den Erstbeklagten missachtet worden. Er selbst habe den Zusammenstoß trotz einer Geschwindigkeit von nur 80 km/h nicht vermeiden können, weil ein Bremsvorgang aufgrund der Kürze des Sichtkontakts nicht mehr ausgereicht habe und für ein Ausweichen nicht genügend Raum vorhanden gewesen sei. Die Beklagten haben einen Vorfahrtsverstoß unter Hinweis darauf in Abrede gestellt, dass der Erstbeklagte den Kläger aufgrund der Straßenführung nicht habe sehen können, als er nach ordnungsgemäßem Halt in die L eingefahren sei. Der Kläger habe den Zusammenstoß jedenfalls durch ein Ausweichmanöver vermeiden können, weil der Erstbeklagte sein Fahrzeug auf dem rechten Fahrbahnteil der L zum Stehen gebracht habe, sodass der linke Fahrstreifen, auf dem kein Gegenverkehr herrschte, frei geblieben sei.“
Das AG hat u.a. ein verkehrstechnisches Sachverständigengutachten eingeholt. Auf der Grundlage dessen hat es eine alleinige Haftung der Beklagten angenommen und der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat aufgrund Anscheinsbeweises einen Verstoß des Erstbeklagten gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO bejaht, dem gegenüber ein geringfügiger Verstoß des Klägers gegen § 1 Abs. 1 StVO und die Betriebsgefahr des klägerischen Motorrads zurückträten.
Dagegen die Berufung, die keinen Erfolg hat.
Der Leitsatz der Entscheidung:
Der Anscheinsbeweis eines Vorfahrtsverstoßes (§ 8 Abs. 2 Satz 2 StVO) ist erst dann erschüttert, wenn eine Geschwindigkeit des Vorfahrtberechtigten feststeht, bei der zumindest die Möglichkeit besteht, dass er für den Wartepflichtigen im Zeitpunkt seines Anfahrentschlusses nicht erkennbar war. Der Nachweis einer solchen Geschwindigkeit obliegt dem Wartepflichtigen, weil er Umstände zu beweisen hat, die dem Unfallgeschehen die für einen Vorfahrtsverstoß sprechende Typizität nehmen.