Pflichti III: Pflichtverteidiger bei „umstrittener“ Wahllichtbildvorlage, oder: „… der Gesetzgeber das Institut der Pflichtverteidigung stärken will.“

entnommen openclipart.org

So, und nach den beiden nicht so „schönen“ Entscheidungen vom LG Stralsund und vom AG Reutlingen/LG Tübingen nun zum Abschluss des Tages eine „schöne“ Entscheidung. Das Beste kommt eben immer zum Schluss.

„Schön“ nicht, weil mein „Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl.“ zitiert wird – freut mich natürlich und zur ….. 🙂  -, sondern weil das LG mit der Umsetzung der gesetzlichen Neuregelung der §§ 140 ff. StPO ernst macht.

Beigeordnet wird in einem Verfahren, in dem es um die Verwertbarkeit einer Wahllichbildvorlage geht. Die ist umstritten. Das LG Schwerin sagt im LG Schwerin, Beschl. v. 05.03.2020 – 33 Qs 11/20: Dann gibt es einen Pflichtverteidiger wegen „schwieriger Rechtslage“:

„Das Amtsgericht Wismar erließ am 22.10.2019 einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung, unerlaubten Entfernens vom Unfallort und vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges ohne die erforderliche Erlaubnis. Hierin wird dem Angeklagten vorgeworfen, am 03.04.2019 gegen 14:30 Uhr als Führer des PKW VW Sharan mit dem amtlichen Kennzeichen ppp. aus Richtung Lübeck in Richtung Selmsdorf ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gefahren und aus Unachtsamkeit an der LichtzeichenanIage auf den dort verkehrsbedingt haltenden PKW Seat Ibiza der Geschädigten pp. aufgefahren zu sein. Anschließend sei der Angeklagte ausgestiegen, habe sich den Schaden angesehen und habe der Geschädigten gegenüber geäußert, dass kein Schaden entstanden sei. Tatsächlich sei am PKW der Geschädigten ein Schaden von 3.011,54 € entstanden und die Geschädigte habe unfallbedingte Nackenschmerzen erlitten. Sodann habe der Angeklagte in Kenntnis des verursachten Unfallschadens sowie in Kenntnis der nicht vorhandenen Fahrerlaubnis seine Fahrt fortgesetzt, wodurch der Geschädigten die Möglichkeit genommen worden sei, Feststellungen über den Unfallhergang zu treffen. Gegen den Strafbefehl legte der Angeklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 02.01.2020, eingegangen beim Amtsgericht Wismar am selben Tag, Einspruch ein. …..

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde des Angeklagten hat auch in der Sache Erfolg.

Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO aufgrund der schwierigen Rechtslage vor. Diese ist dann gegeben, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, oder wenn die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird (vgl. Meyer-Goßner, Kommentar StPO 62. Auflage, § 140 Rn. 27a). Hiervon umfasst sind auch Fälle, in denen sich Fallgestaltungen aufdrängen, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Januar 2009 —1 Ws 7/09 —, Rn. 2f., juris). Maßgeblich ist insoweit jedoch nicht, ob tatsächlich von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die Annahme eines Verwertungsverbotes ernsthaft in Betracht kommt (LG Hannover, Beschluss vom 23. Januar 2017 – 70 Qs 6/17 – , Rn. 8, juris; LG Köln, Beschluss vom 19. Juli 20169 – 108 Qs 31/16 -, Rn. 7, juris).

Vorliegend besteht die Möglichkeit, dass hinsichtlich der durchgeführten Wahllichtbildvorlage ein Beweisverwertungsverbot greifen könnte. Die Personen auf den Vergleichsbildern müssen in den wesentlichen Vergleichsmerkmalen des äußeren Erscheinungsbildes übereinstimmen, wie z.B. Haar- und Barttracht, Kleidung etc. (Burhoff in: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, G, Rn. 2231). Nach Aktenlage dürfte die Wahllichtbildvorlage diesen Vorgaben nicht entsprechen, da sich die Aufnahme des Angeklagten von den sonst verwendeten Aufnahmen in Bezug auf Haarpracht und Kleidung abhebt.

Eine Darlegung des Sachverhalts und die Berufung auf die beschriebenen eventuellen Beweisverwertungsverbote ist dem rechtsunkundigen Angeklagten kaum möglich. Es bedarf weiterhin der Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Berufen auf ein Beweisverwertungsverbot verfahrenstaktisch sinnvoll ist. Hierfür ist es erforderlich, Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu halten. Zudem können die insofern relevanten Rechtsfragen regelmäßig nur nach vollständiger Aktenkenntnis beurteilt werden.

Überdies wird auch aus der jüngsten Umsetzung der sog. PKH-Richtlinie (EU-RL 201611919) deutlich, dass der Gesetzgeber das Institut der Pflichtverteidigung stärken will.“

Stimmt 🙂 .

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