Archiv für den Monat: April 2020

Kreuzungsunfall: Wer ist schuld?, oder: Fallrekonstruktion durch gespeicherte Daten einer LZA?

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Heute „köcheln“ im Kessel Buntes dann mal wieder zwei zivilrechtliche Entscheidungen.

Und zunächst stelle ich das AG Velbert, Urt. v. 19.12.2019 – 11 C 183/18 – vor. Gestritten worden ist in dem Verfahren um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall auf einer Kreuzung. Die Parteien haben darüber gestritten, welcher der Fahrzeugführer der beiden beteiligten Pkw bei einer für ihn Rot anzeigenden Lichtzeichenanlage in den Kreuzungsbereich jeweils aus dem Querverkehr eingefahren ist. Die Angaben der beteiligten Fahrzeugführer haben sich widersprochen.

Es stand aber im Verfahren fest, dass der Verkehrsunfall sich zwischen 19:10 Uhr und 19:30 Uhr ereignet hatte und der vom Gericht eingeschaltete Sachverständige konnte bei der betroffenen modernen Lichtzeichenanlage auf gespeicherte Daten aus dem Rechner der Anlage zurückgreifen. Diese beruhen auf dem Überfahren einer Induktionsschleife bei den jeweiligen Zufahrten zum Kreuzungsbereich und wurden vom Rechner der Anlage erfasst. Anhand der Schäden an den Fahrzeugen konnte ein hinzu gezogener Sachverständige eine Ausgangsgeschwindigkeit für das Klägerfahrzeug in der Größenordnung von ca. 28 km/h und eine Anprallgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges von ca. 18 km/h ermitteln. In der jeweiligen Fahrtrichtung der beteiligten Fahrzeuge konnte mit diesen Geschwindigkeiten nur bei einer einzigen für den Zeitraum des Verkehrsunfalls aufgezeichneten  Konstellation eine entsprechende Einfahrt ohne Anhalten im Kreuzungsbereich ermittelt werden. Bei diesem Geschehen hatte für einen Fahrzeugführer die rote Lichtzeichenanlage bereits 20 Sekunden Rot angezeigt. Dass es sich hierbei um die Unfallkonstellation handelt, wurde auch dadurch bestätigt, dass trotz grüner Lichtzeichenanlage sodann im Bereich der Induktionsschleife andere Fahrzeuge angehalten haben – dies nämlich deshalb, da die Einfahrt in den Kreuzungsbereich aufgrund des Unfalls nicht mehr angezeigt war.

Das AG hat das seiner Entscheidung zugrunde gelegt und die Beklagten verurteilt. Hier die Leitsätzes der Entscheidung, die mir der Kollege M. Nugel geschickt hat:

  1. Bei einem streitigen Unfallhergang, welcher Fahrzeugführer bei Rot in die Kreuzung eingefahren ist, kann eine Unfallrekonstruktion bei einer modernen LZA dadurch erfolgen, dass die hinterlegten Kontaktdaten der Einfahrt der Fahrzeuge, die im Verkehrsrechner der Lichtsignalanlage gespeichert sind, ausgewertet werden.
  2. Wenn innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nur eine einzige Einfahrsituation von Kfz mit diesen gespeicherten Daten mit den Geschwindigkeiten der beteiligten Fahrzeuge vereinbar ist, kann auf dieser Basis das Unfallgeschehen rekonstruiert werden.
  3. Der Fahrzeugführer, der bei Rot in den Kreuzungsbereich einfährt, haftet für diesen Schaden alleine und der andere unfallbeteiligte Fahrzeugführer darf auf sein Vorrangrecht vertrauen.

Ich habe da mal eine Frage: Kann der Mandant nach gerichtlicher Festsetzung meine Gebühren kürzen?

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Und dann zum Abschluss der Berichterstattung in dieser Woche – na ja, nicht ganz 🙂 – hier dann noch das Gebührenrätsel, und zwar:

Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff,

ich habe eine gebührenrechtliche Frage: Bei Bussgeldsachen stelle ich dem Mandanten stets die Mittelgebühren nach dem RVG in Rechnung. weil ich auch nie einen Fall habe, der sehr sehr unterdurchschnittlich ist oder nur paar Minuten in Anspruch nimmt.

Das Gericht hat den Gebührenanspruch nach Freispruch natürlich gekürzt (wie immer: zu einfach, unterdurchschnittlich etc., Mandant hat auf Vorschlag, Beschwerde einzulegen nicht reagiert).

Hat der Mandant nun einen Anspruch seine an mich geleisteten RVG „Mittelhohe“-Gebühren mit dem Argument des Gerichtes zu kürzen? Das versucht nämlich gerade ein Mandant. Oder sollte man über die Mittelgebühr immer eine Vergütungsvereinbarung schließen (ich denke da an den gerichtlichen Kostenfestsetzungsantrag gegen den Mandanten, da sagt das Gericht ja auch immer, dass nur die Mindestgebühren gefordert werden sollen).

Oder stehe ich da auf dem Schlauch?….“

VerfGH Rheinland-Pfalz: Gegenstandswert beim standardisierten Messverfahren, oder: „Flächenwirkung“

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Und als zweite Entscheidung dann die gebührenrechtliche Nachbereitung zum VerfGH Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.01.2020 – VGH B 19/19 ( vgl. Außer der Reihe: Sondermeldung – Da ist die Entscheidung des VerfGH Rheinland-Pfalz), nämlich die Gegenstandswertfestsetzung durch den VerfGH für die ggf. gem. § 37 RVG anfallenden Gebühren.

Der VerfGH hat im VerfGH, Beschl. v. 16.04.2020 – VGH B 19/19 – auf 10.000 EUR festgesetzt, und zwar mit folgender Begründung:

1. Nach § 37 Abs. 2 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG – ist der Gegenstandswert in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien – Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers – nach billigem Ermessen zu bestimmten; er beträgt mindestens 5.000,00 €.

In der verfassungsgerichtlichen Praxis ist für das Verfassungsbeschwerdeverfahren anerkannt, dass sich Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bewertungskriterien sowie deren Verhältnis zueinander und damit der Gegenstandswert vorrangig nach der subjektiven Bedeutung des Verfahrens für den Beschwerdeführer richten, einschließlich der weiteren Auswirkungen auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse, seine Stellung und sein Ansehen. Zu berücksichtigen ist auch die objektive Bedeutung der Sache, wobei diese, wenn sie neben dem subjektiven Interesse eigenständiges Gewicht hat, zu einer Erhöhung und Vervielfachung des Ausgangswertes führt. Je stärker die Flächenwirkung der angestrebten Entscheidung und je größer die Zahl denkbarer Anwendungsfälle ist, desto höher ist ihr Wert zu veranschlagen. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wirken sich nur dann werterhöhend aus, wenn sie über den Aufwand hinausgehen, welcher der Bedeutung der Sache entspricht. Die Vermögens- und Einkommensverhältnisse dienen nur der Korrektur des danach gefundenen Ergebnisses unter sozialen Aspekten (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 20. August 2014 – VGH B 16/14 –, AS 43, 45 f.; Beschluss vom 20. Oktober 2014 – VGH A 17/14 –, AS 43, 92 f.; Beschluss vom 27. Oktober 2017 – VGH N 2/15 –, juris Rn. 3; vgl. auch entsprechend BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 1989 – 1 BvR 1291/85 –, BVerfGE 79, 365 [366 ff.]).

2. Nach diesen Maßstäben, ist der Gegenstandswert der Tätigkeit der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers mit 10.000,00 € zu bemessen. Das subjektive Interesse des Beschwerdeführers an dem Verfassungsbeschwerdeverfahren ist angesichts der gegen ihn im Bußgeldverfahren verhängten Geldbuße in Höhe von 120,00 € mit dem Auffangwert von 5.000,00 € ausreichend erfasst.

Die Flächenwirkung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, die vorliegend über das Land Rheinland-Pfalz hinausreicht, und damit die erhebliche objektive Bedeutung der Angelegenheit, rechtfertigen es, den Auffangstreitwert nicht nur auf das 1,5-fache zu erhöhen (vgl. so in vergleichbaren Fällen SaarlVerfGH, Beschluss vom 27. April 2018 – Lv 1/18 –, juris vor Rn. 1 und Urteil vom 5. Juli 2019 – Lv 7/17 –, juris vor Rn. 1: 7.500,00 €), sondern auf 10.000,00 € zu verdoppeln (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 20. August 2014 – VGH B 16/14 –, AS 43, 45 [47]; Beschluss vom 20. Oktober 2014 – VGH A 17/14 –, AS 43, 92 [94].“

Reichtümer kann man damit aber immer noch nicht erwerben 🙂 .

Aktenversendungspauschale?, oder: Einsicht in die elektronische Akte

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Heute in der Kategorie zwei Beschlüsse, die sich zu Erstattungsfragen äußern, beide haben ihren Ausgangspunkt in OWi-Verfahren.

Und ich beginne mit einem AG-Beschluss, nämlich dem AG Daun, Beschl. v. 15.04.2020 – 4c OWi 141/20, den mir der Kollege Anger aus Bergisch-Gladbach geschickt hat. Problematik: Noch einmal Anfall der Aktenversendungspauschalge gemäß § 107 Abs. 5 Satz 2 OWiG in den Fällen der Übersendung von Ausdrucken aus einer elektronisch geführten Bußgeldakte. Die war von der Bußgeldstelle festgesetzt worden. Das AG hat die Pauschale auf den vom Betroeffenen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Pauschale wieder abgesetzt:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 62, 68 OWiG zulässig und begründet.

Nach § 107 Abs. 5 Satz 1 OWiG können von demjenigen, der die Versendung von Akten bean-tragt, je durchgeführte Sendung einschließlich der Rücksendung durch Behörden pauschal 12 Euro als Auslagen erhoben werden.

Wird die Akte elektronisch geführt und erfolgt ihre Übermittlung elektronisch, wird eine Pauschale nicht erhoben, § 107 Abs. 5 Satz 2 OWiG.

Die Voraussetzungen von § 107 Abs. 5 Satz 1 OWiG sind vorliegend nicht erfüllt. Der Verteidiger hat zwar Akteneinsicht beantragt. Akteneinsicht ist jedoch grundsätzlich in die Originalakte zu gewähren. Diese wird durch die Zentrale Bußgeldstelle in elektronischer Form geführt, sodass grundsätzlich auch Akteneinsicht in diese nach Maßgabe der §§ 110 c OWiG, 32f StPO zu gewähren ist. Die Übersendung von Ausdrucken aus der elektronischen Akte erfolgt nur unter bestimmten Voraussetzungen, vgl. § 32 f Abs. 1 Satz 3 und 4 StPO. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist vorliegend nicht dargetan.

Entscheidet sich die Zentrale Bußgeldstelle letztlich dennoch für diese Form der Akteneinsicht, kann dies indes nicht zur Folge haben, dass dadurch die Kostenfolge des § 107 Abs. 5 Satz 1 OWiG ausgelöst wird. Insbesondere im Hinblick darauf, dass eine Pauschale gerade nicht erhoben wird, wenn die Akte elektronisch geführt und die Übermittlung elektronisch erfolgt.“

Nicht viel, aber Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist.

OWi III: Zusatzzeichen „Mo – Fr, 7 – 16.00 h, oder: Die „Beschränkung“ gilt auch an Feiertagen

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Und dann haben wir noch OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.09.2019 – (2 Z) 53 Ss-OWi 488/19 (174/19), über den ja auch u.a. schon der Kollege Gratz berichtet hat. Das OLG hat noch einmal zu der Frage Stellung genommen, ob Geschwindigkeitsbeschränkungen mit dem Zusatzzeichen „Mo – Fr, 7 – 16.00 h“ auch an gesetzlichen Feiertagen gelten. Die Frage hat es (erneut) bejaht:

„Das Amtsgericht hat auf Grundlage der getroffenen Feststellungen insbesondere zutreffend eine für den Tatort geltende Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h zu Grunde gelegt, die aufgrund der Regelung durch Verkehrszeichen 274 (Nr. 49 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) in Verbindung mit dem Zusatzzeichen „Mo – Fr, 7 – 16.00 h“ (§ 39 Abs. 3 StVO, § 41 Abs. 2 Satz 3 StVO, Nr. 1042-33 VzKat) zur Tatzeit auch am Karfreitag, einem gesetzlichen Feiertag, galt und zu beachten war.

Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, dass für Montag bis Freitag getroffene Anordnungen von Geschwindigkeitsbegrenzungen auch an gesetzlichen Feiertagen gelten, die auf einen Wochentag fallen. Die hiervon abweichende Auffassung (vgl. Janker NZV 2004, 120, 121; Hentschel/König/Dauer, StVG 44. Aufl. § 39 Rdnr. 31a; Metz NZV 2018, 60, 62) vermag nicht zu überzeugen, da Erwägungen zum Schutzzweck der Anordnung – jedenfalls bei Geschwindigkeitsbeschränkungen – eine einschränkende, fallbezogene Auslegung nicht zulassen und es im Interesse der Verkehrssicherheit nicht dem einzelnen Verkehrsteilnehmer überlassen bleiben darf, nach einer differenzierten Betrachtung selbst zu beurteilen, ob die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung aufgrund der örtlichen Besonderheiten auch für auf Wochentage fallende gesetzliche Feiertage sinnvoll ist und gelten soll (vgl. Senat, aaO; ebenso OLG Saarbrücken, Beschl. v. 26. Juni 2018 – Ss Rs 13/2018 [28/18 OWi]).

Abweichendes gilt – entgegen der vom Amtsgericht Wuppertal (NStZ-RR 2014, 257) vertretenen Ansicht – auch nicht mit Rücksicht darauf, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung zusätzlich mit dem Zusatzzeichen „Schule“ (Nr. 1012-50 VzKat) beschildert war. Wie das Amtsgericht Königs Wusterhausen im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich insoweit um eine Zusatzzeichen ohne konstitutive Bedeutung und ohne eigenständigen Regelungsgehalt, das lediglich einen – entbehrlichen – Hinweis zur Information der Verkehrsteilnehmer über das Motiv der Straßenverkehrsbehörde für die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung verlautbart und nichts an der Allgemeinverbindlichkeit der übrigen Regelung ändert, auch wenn das konkrete Regelungsmotiv im Einzelfall verfehlt wird (vgl. hierzu OLG Stuttgart NZV 1998, 422, 423 zum Anwendungsbereich von Geschwindigkeitsbeschränkungen zur „Luftreinhaltung“). Die Zusatzbeschilderung zu streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Tempo 30 dient lediglich dazu, „bei den am Straßenverkehr Teilnehmenden die Akzeptanz (…) zu erhöhen“ und „den Grund für diese Beschränkung zu verdeutlichen“ (vgl. Beschl. zur Änderung der VwV-StVO vom 10. März 2017, BR-Drucksache 85/17, S. 8). Eine sachliche Einschränkung der ausgeschilderten Geschwindigkeitsbegrenzung ergibt sich daraus nicht. Die Beurteilung, ob Schulen an einzelnen Wochentagen wegen Ferien, gesetzlicher Feiertage oder sonstiger Besonderheiten geschlossen oder für Sonderveranstaltungen geöffnet haben und ein Schutzbedürfnis für eine Geschwindigkeitsbeschränkung besteht oder nicht, obliegt auch in diesen Fällen nicht den einzelnen Verkehrsteilnehmern, sondern der die Verkehrsanordnung treffenden Behörde. Da der Straßenverkehr einfache und klare Regeln erfordert, müssen Unbequemlichkeiten, die sich aus einem der Regel entsprechenden Verhalten ergeben und wie hier auch zumutbar sind, im Interesse der Verkehrssicherheit in Kauf genommen werden (Senat, aaO.; BGH NJW 1970, 2033; BGHSt 22, 137, 140f.).“