OWi I: Qualifizierter Rotlichtverstoß, oder: Tatsächliche Feststellungen und Beweiswürdigung

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So, bevor mir wieder andere Entscheidungen dazwischen kommen: Heute starte ich in die nachösterliche Zeit mit drei OWi-Entscheidungen. Wird auch mal wieder Zeit.

Und den Reigen eröffnet der OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.02.2020 – 1 Ss-OWi 1508/19, der zu den Anforderungen an tatsächlichen Feststellungen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß äußert. Das AG hatte verurteilt, das OLG hebt wegen nicht ausreichender Feststellungen bzw. einer fehlerhaften Beweiswürdigung auf:

„1. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht. Sie sind lückenhaft und ermöglichen keine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht.

a) In Massenverfahren wie den Bußgeldsachen sind an die Feststellungen des Urteils nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen (OLG Bamberg, Beschl. v. 1.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, § 71 Rn. 106b). Die Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe sind dennoch mit denen des Strafverfahrens zu vergleichen, da auch im Bußgeldverfahren dem Rechtsbeschwerdegericht nur das Urteil und nicht der gesamte Akteninhalt als Prüfungsgrundlage zur Verfügung steht. Aus diesem heraus muss sich die Überprüfbarkeit auf sachlich-rechtliche Mängel für das Rechtsbeschwerdegericht ergeben. Maßstab der Überprüfung ist damit§ 46 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 1 StPO. Die den Tatbestand erfüllenden Tatsachen müssen danach jedenfalls in dem Umfang angegeben werden, dass eine Prüfung des Rechtsmittelgerichts auf die Klarheit, Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Freiheit von Verstößen gegen Denk- und Erfahrungssätze ermöglicht wird (KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 120).

b) Eine solche lückenlose Darstellung der Feststellungen in den Urteilsgründen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß erfordert die Wiedergabe der näheren Umstände des Verstoßes. Die Feststellungen müssen die Unterscheidung treffen, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattfand, da sich daran orientiert, ob weitere Ausführungen zu den örtlichen Gegebenheiten zu machen sind. Bei einem innerörtlichen Verstoß darf das Gericht von Ausführungen zu der Dauer der Gelbphase und der zulässigen Höchstgeschwindigkeit absehen. Bei einem Verstoß außerorts hingegen, muss neben diesen Angaben auch die Entfernung des Betroffenen vom durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich angegeben werden, da der Betroffene nur verurteilt werden kann, wenn er die Möglichkeit des Anhaltens vor der Lichtzeichenanlage hatte (OLG Hamm, Beschl. v. 2.11.2010 – III-4 RBs 374/10; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.3.2014 – 3 Ss OWi 228/14; Freymann/Wellner/Wern, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 37 StVO Rn. 93).

c) Gemessen hieran sind die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft. Insbesondere sind keine Angaben zur Dauer der Gelbphase, der Geschwindigkeit des Betroffenen und dem Abstand seines Fahrzeuges zur Lichtzeichenanlage vorhanden. Die bloße Feststellung, dass es dem Betroffenen möglich gewesen wäre, die Verkehrsordnungswidrigkeit zu vermeiden, lässt sich aufgrund dieser fehlenden Informationen zu den weiteren Umständen der Verkehrssituation nicht durch das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfen. Zudem kann den Feststellungen des Amtsgerichts nicht eindeutig entnommen werden, ob der Verstoß außerorts oder innerorts stattgefunden hat, mithin also letztlich offenbleiben muss, welche Anforderungen die Urteilsfeststellungen unterliegen.

2. Neben den Feststellungen ermöglicht auch die Beweiswürdigung nicht die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht, da sie ebenfalls lückenhaft ist.

a) Die Beweiswürdigung ist nach § 46 1 OWiG, § 261 StPO die Aufgabe des Tatrichters und durch das Rechtsbeschwerdegericht nur eingeschränkt zu überprüfen. Die Beweiswürdigung muss sich allerdings innerhalb der Gesetze der Logik und der allgemeinen Erfahrungssätze halten und in sich widerspruchslos und lückenlos sein (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 204; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 125). Die Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen muss dem Rechtsbeschwerdegericht diese Überprüfung ermöglichen (statt Vieler BGH, Beschl. v. 25. 9. 2012 – 5 StR 372/12, NStZ-RR 2012, 381).

b) Nach diesen Maßstäben weist das Urteil des Amtsgerichts in Bezug auf die Beweisgrundlage für die Annahme der Nettorotlichtzeit, die für einen qualifizierten Rotlichtverstoß erforderlich ist, einen weiteren Darstellungsmangel auf. Das Amtsgericht stützt in nicht hinreichender Weise die Annahme eines qualifizierten Verstoßes von 1,5 Sekunden auf Lichtbilder der Akte und die Aussage des Zeugen pp.

c) Der bloße Hinweis auf die Inaugenscheinnahme der Lichtbilder Bl. 13 und Bl. 14 der Akte in der Hauptverhandlung ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen der § 46 1 OWiG, § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zu erfüllen. Danach ist die Bezugnahme für Abbildungen auf Bestandteile der Akte gestattet, um auf Einzelheiten und Details der Bezugsobjekte nicht weiter eingehen zu müssen. Mit der Ausführung, dass eine Inaugenscheinnahme der Lichtbilder stattgefunden hat, wird hingegen nur der Beweiserhebungsvorgang wiedergegeben, der für sich genommen ohne Aussagekraft ist (OLG Hamm, Besch. v. 19.5.1998 – 2 Ss OWi 553/98). Der wesentliche Inhalt der in Bezug genommenen Abbildungen darf nicht wie hier unerwähnt bleiben, da eine Überprüfung des Aussagegehalts der in Augenschein genommenen Lichtbilder durch das Rechtsbeschwerdegericht dann nicht möglich ist (Jahn/Brodowski, FS Rengier, 2018, S. 409, 416 f.; KK-StPO/Kuckein/Bartel aaO., § 267 Rn. 19).

d) Auch die Darstellung der Zeugenaussage des Zeugen … erfüllt nicht die an die Beweiswürdigung in den Urteilsgründen nach § 46 1 OWiG § 261, § 267 StPO gestellten Anforderungen. Die nach § 261 StPO vorzunehmende Gesamtwürdigung der Beweismittel fordert vom Tatrichter zwar nicht, alle Einzelheiten darzulegen, wie er zu den Feststellungen gelangt ist (BGH, Beschl. v. 17.2.2009 – 3 StR 490/08, NStZ 2009, 403). Einer Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ist die Beweiswürdigung aber nur dann zugänglich, wenn nicht nur der bloße Inhalt von Zeugenaussagen angegeben wird, sondern auch eine eigene Auseinandersetzung des Tatrichters mit dieser Beweisgrundlage (BGH, Beschl. v. 15.1.1.1984 – 4 StR 675/84, NStZ 1985, 184; KK-OWiG/Hadamitzky aaO., § 79 Rn. 126). Andernfalls liegt nur eine Beweisdokumentation vor und keine Beweiswürdigung (Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 267 Rn. 12).

Das amtsgerichtliche Urteil gibt lediglich die Aussage des Zeugen pp. als Ergebnismitteilung wieder, ohne dass eine für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Inhalt vollzogen wird. Die Fragen der Glaubhaftigkeit der Aussage und der Glaubwürdigkeit des Zeugen bleiben offen.“

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