Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um einen zivilverfahrensrechtlichen Beschluss des BGH. Ergangen ist der BGH, Beschl. v. 19.02.2020 – XII ZB 291/19 in einem Betreuungsverfahren. Die Ausführungen des BGH haben aber auch darüber hinaus Bedeutung.
Hier war für die Betroffene eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Behördenangelegenheiten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post eingerichtet. Das AG hat diese Betreuung durch einen am 18.10.2017 erlassenen Beschluss mit der Begründung aufgehoben, dass eine Fortsetzung der Betreuung zum Wohl der Betroffenen unmöglich sei. Mit Schreiben vom 07.11.2017 – eingegangen bei dem AG per Telefax am 08.11.2017 – hat der Beteiligte zu 1 als „Generalbevollmächtigter“ der Betroffenen in deren Namen Beschwerde eingelegt. Das LG hat die Beschwerde verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, die beim BGH Erfolg hatte.
Der BGH sagt: Die Beschwerde war zwar nicht formgültig – was er näher darlegt -, aber:
„b) Rechtlichen Bedenken begegnet es demgegenüber, dass sich das Beschwerdegericht nicht die Frage vorgelegt hat, ob der Formverstoß durch das am 11. Februar 2018 bei Gericht eingegangene Schreiben des Bevollmächtigten der Betroffenen behoben worden sein könnte.
aa) Das in § 64 Abs. 2 Satz 4 FamFG aufgestellte Unterschriftserfordernis ist kein Selbstzweck, sondern soll die Identifizierung des Urhebers einer Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen unautorisierten Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 424/14 – FamRZ 2015, 919 Rn. 7 mwN). Daraus ergibt sich gleichzeitig, dass das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift beim Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise unschädlich ist, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen. So kann auf die eigenhändige Unterschrift unter dem Original der Rechtsmittelschrift verzichtet werden, wenn vom Verfahrensbevollmächtigten des Rechtsmittelführers der Beglaubigungsvermerk unter den rechtzeitig eingereichten beglaubigten Abschriften handschriftlich vollzogen worden ist (vgl. BGH Beschlüsse vom 26. März 2012 – II ZB 23/11 – NJW 2012, 1738 Rn. 9 und vom 7. Mai 2009 – VII ZB 85/08 – NJW 2009, 2311 Rn. 12; BGHZ 24, 179, 180 = NJW 1957, 990 mwN). Der Mangel der Unterschrift auf der Rechtsmittelschrift kann auch dann als geheilt gelten, wenn ein rechtzeitig eingereichter Begleitschriftsatz, der mit der Rechtsmittelschrift fest verbunden ist (vgl. BGHZ 97, 251, 254 = NJW 1986, 1760, 1761) oder ausdrücklich auf sie Bezug nimmt (vgl. BGH Beschluss vom 10. März 2009 – VIII ZB 55/06 – NJW-RR 2009, 933 Rn. 9), eine eigenhändige Unterschrift des Verfahrensbevollmächtigten trägt.
bb) Gemessen daran war das am 11. Februar 2018 eingegangene Schreiben grundsätzlich geeignet, den Formmangel der Beschwerdeschrift zu beheben. Dieses Schreiben, mit dem der Bevollmächtigte der Betroffenen auf den gerichtlichen Hinweis zu den Bedenken an der Formwirksamkeit der Beschwerde reagierte, besteht inhaltlich zwar weitgehend aus einer Aneinanderreihung beleidigender und unsachlicher sowie neben der Sache liegender Äußerungen, enthält mit seiner abschließenden Aufforderung zur „antragsgemäßen Entscheidung“ allerdings einen hinreichend deutlichen Bezug auf das in der Beschwerdeschrift enthaltene Vorbringen. Feststellungen dazu, ob dieses – ebenfalls per Telefax übermittelte – Schreiben eine eigenhändige Unterschrift des Bevollmächtigten trägt oder per Computerfax versandt worden ist, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen.
cc) Das am 11. Februar 2018 eingegangene Schreiben konnte auch nicht deshalb unberücksichtigt bleiben, weil es etwa nach Ablauf der Beschwerdefrist angebracht worden wäre.
(1) Mit Recht beanstandet die Rechtsbeschwerde, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 18. Oktober 2017 über die Aufhebung der Betreuung der Betroffenen gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG hätte förmlich zugestellt werden müssen, da die Aufhebung der Betreuung nicht dem erklärten Willen der Betroffenen entsprochen hat.
Die letzte aktenkundige persönliche Äußerung der Betroffenen im Rahmen ihrer Anhörung zum Betreuerwechsel durch die Betreuungsrichterin am 26. Oktober 2016 ging dahin, dass sie zwar keine Erweiterung der Betreuung wünsche, die bestehende Betreuung durch ihre Schwiegertochter aber fortgeführt werden solle. Spätere entgegenstehende Willensäußerungen der Betroffenen in Bezug auf den Fortbestand der rechtlichen Betreuung sind nicht ersichtlich. Nachdem die Schwiegertochter um Entlassung aus dem Amt der Betreuerin gebeten hatte, ist die Betroffene zu einem späteren Anhörungstermin betreffend den neuerlichen Betreuerwechsel nicht erschienen. Auf ein Schreiben des Amtsgerichts vom 28. August 2017, wonach im Hinblick auf zwischenzeitlich von der Enkeltochter der Betroffenen bei verschiedenen Gelegenheiten vorgelegte Vollmachten von einem Einverständnis mit der Aufhebung der Betreuung ausgegangen werde, hat die – nach Aktenlage des Lesens nicht kundige – Betroffene nicht reagiert. Aus dem bloßen Schweigen auf eine Äußerung des Gerichts lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass der Beteiligte mit einer angekündigten Entscheidung einverstanden wäre (vgl. Keidel/Meyer-Holz FamFG 20. Aufl. § 41 Rn. 8).
(2) Die vom Amtsgericht verfügte Bekanntgabe der Entscheidung vom 18. Oktober 2017 durch Aufgabe zur Post (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG) war daher verfahrensfehlerhaft. Das Unterbleiben einer gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderlichen förmlichen Zustellung führt zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe, weshalb die einmonatige Beschwerdefrist (§ 63 Abs. 1 FamFG) nicht nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG in Lauf gesetzt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Oktober 2018 – XII ZB 188/18 – FamRZ 2019, 477 Rn. 11 mwN).
Ob und zu welchem Zeitpunkt der angefochtene Beschluss der Betroffenen oder ihrem Bevollmächtigten tatsächlich zugegangen ist, bedarf keiner näheren Aufklärung. Denn die Heilung einer fehlerhaften Zustellung (§ 189 ZPO) kommt nach allgemeiner Ansicht nur beim Vorliegen eines Zustellungswillens in Betracht, mithin dann, wenn eine formgerechte Zustellung von dem Gericht wenigstens angestrebt worden ist (vgl. BGHZ 214, 294 = NJW 2017, 2472 Rn. 35 und BGH Urteil vom 19. Mai 2010 – IV ZR 14/08 – FamRZ 2010, 1328 Rn. 17; Prütting/Helms/Ahn-Roth FamFG 4. Aufl. § 15 Rn. 53). Auch bei weiter Auslegung des von § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG in Bezug genommenen § 189 ZPO kann es für eine Heilung nicht ausreichen, dass das zuzustellende Schriftstück dem Adressaten irgendwie zugeht. Am erforderlichen Zustellungswillen fehlt es indessen, wenn sich das Gericht von vornherein bewusst dafür entscheidet, von einer förmlichen Zustellung der Entscheidung abzusehen und eine schriftliche Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post anordnet.“