Äußerung: „Verpisst Euch“, oder: Beleidigung ja oder nein?

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Zu der heute morgen vorgestellten Entscheidung des OLG Hamm zum „frechen Juden“ passt ganz gut das AG Dortmund, Urt. v. 04.02.2020 – 767 Ls-600 Js 445/19 -5/20. Mit ihm hat das AG den Angeklagten vom Vorwurf der Beleidigung (§ 185 StGB) frei gesprochen. Zum Tatvorwurf u.a. heißt es im Urteil:

Dem im Umfeld der Partei „X“ zugehörigen Angeklagten wurde durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund (Az.: 600 Js 445/19) vorgeworfen, am 20.05.2019 in Dortmund andere Personen beleidigt zu haben.

Zu dem Tatvorwurf heißt es in der Anklageschrift:

„Am Tattag sagte der Angeklagte B an der Haltestelle Wittener Straße in Dortmund-Dorstfeld gegen 22:50 Uhr in Richtung der Zeugen C, D und E die Worte: „Verpisst euch ihr Fotzen! Das ist nicht euer Kiez!“. Zu dem Zuegen D sagte er zudem: „Wir können das auch hier und jetzt klären oder bist du eine Schwuchtel?“. Sodann trat der Angeklagte A hinzu und sagte zu der Gruppe der Zeugen die Worte: „Verpisst euch!“. Die Angeklagten handelten jeweils, um ihrer Nichtachtung den Zeugen gegenüber Ausdruck zu verleihen.“

Das Gericht konnte insoweit feststellen, dass der in Rede stehende Vorfall so stattgefunden hat. Die Äußerung „Verpisst euch“ war unter Umständen in einer geringfügig abweichenden Form ausgesprochen worden, nämlich als: „Habt Ihr nicht gehört, Ihr sollt euch verpissen!“.

Insbesondere war es zur Tatzeit so, dass die drei genannten Zeugen, die nicht etwa dem „linken Spektrum“ zuzuordnen sind, am Tatabend vom Schwimmen kamen und rein zufällig Opfer des gesondert verfolgten B wurden. Es trat dann eine zweite Person hinzu, möglicherweise tatsächlich der Angeklagte. Diese hinzukommende Person gab die oben genannte Äußerung in einer der dargestellten möglichen Formen ab.

Der Angeklagte hat sich zur Sache nicht eingelassen…..“

Das AG hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es macht dann aber dennoch Ausführungen zur Frage der möglichen Strafbarkeit wegen der Äußerung „verpisst Euch“ oder ähnlich:

„Auf die Frage, ob die Äußerung „Verpisst euch“ oder ähnlich bereits eine Beleidigung darstellt, kam es insoweit nicht an.

Das Gericht hat sich insoweit – vom Vorsitzenden bekannt gegeben –  mit der Wortbedeutung und mit der tatsächlichen Nutzung der Formulierung „Verpisst euch“ befasst. Hierfür hat es allgemein zugängliche Quellen einer Internetrecherche genutzt und das Ergebnis als gerichtsbekannt bekannt gegeben. Die Bedeutung der Formulierung „Verpisst euch“ geht in erster Linie dahin, dass sich die angesprochenen Personen von einem Ort entfernen sollen. Die Äußerung ist also etwa als: „Verschwindet! Geht weg! Haut ab!“ zu verstehen.

Das Gericht hat etwa im Rahmen der Internet-Recherche als einen der vorderen Suchbegriffe einen Udo Lindenberg-Satz aus dem Song „Panik Panther“ aus dem Jahre 1992 gefunden, in dem Lindenberg singt: „Faschos verpisst euch“. Auch die Berliner CDU hat in den vergangenen Jahren gegenüber Drogendealern „Verpisst euch! Wir klauen euren Scheiß aus euren Verstecken! Haut ab!“ plakatiert. Möglicherweise wird dementsprechend in weiten Teilen der Bevölkerung und der die Republik tragenden Parteien eine derartige Wortwahl für tragbares Umgangsdeutsch erachtet und nicht als Beleidigung aufgefasst.

Schließlich gab es zu den G20-Protesten auf der Seite www.Stern.de einen Kommentar überschrieben mit den Worten: „An den schwarzen Block: Verpisst euch aus unserer Stadt!“. Derartige Umgangstöne sind aus Sicht des Gerichtes höchst unerfreulich, offensichtlich derzeit aber deutschlandweit im Umgang miteinander üblich und gesellschaftlich gebilligt oder gar erwünscht.

Möglicherweise wäre daher auch bei Feststellungen der Äußerung durch den Angeklagten ein Freispruch aus rechtlichen Gründen notwendig geworden.“

Nun ja, ob man ein solches „obiter dictum“ macht, ist sicherlich Geschmacksache. In der Sache bringt es letztlich nichts. Dann wäre es „mutiger“ aus Rechtsgründen frei zu sprechen und dann ggf. zu sehen, was das OLG zu der Äußerung meint. Denn über die Frage, ob es sich bei dieser Äußerung um „tragbares Umgangsdeutsch“ handelt oder nicht, kann man m.E. trefflich streiten. Ich würde die Frage eher verneinen.

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