Die zweite Entscheidung des Tages behandelt eine Problematik, mit der man es in der Praxis nicht so häufig zu tun hat, nämlich die Frage LG zuständig oder „nur“ das erweiterte Schöffengericht. Hier hatte die Staatsanwaltschaft ein Verfahren mit dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung, das sich gegen sieben Angeklagte richtete, bei der Strafkammer angeklagt. Die hat aber „nur“ vor dem erweiterten Schöffengericht eröffnet. Dagegen die Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 10.12.2019 – III-4 Ws 268 – 274/19 – zurückgewiesen hat:
„In der Sache hat die sofortige Beschwerde aber keinen Erfolg.
Die Strafkammer hat das Hauptverfahren zu Recht und mit zutreffender Begründung gemäß § 209 Abs. 1 StPO in Verbindung mit §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1 Satz 2 GVG vor dem sachlich zuständigen Amtsgericht Schöffengericht — eröffnet.
Eine Zuständigkeit des Landgerichts gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Nr: 3 GVG wurde zu Recht wegen des Fehlens besonderer Umstände des vorliegenden Falles verneint. Besondere Umstände können sich aus unterschiedlichen Kriterien ergeben wie der Schutzbedürftigkeit von Verletzten, dem besonderen Umfang des Verfahrens oder der besonderen Bedeutung der Sache. Dabei unterliegt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang der gerichtlichen Prüfung (BVerG, Urteil vom 19. März 1959, 1 BvR 295/58, juris).
1. Eine Verhandlung vor dem Landgericht ist entgegen der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft nicht wegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Verletzten der Straftat erforderlich. Eine besondere Schutzbedürftigkeit von Verletzten, die als Zeugen in Betracht kommen, ist zu bejahen, wenn zu erwarten ist, dass die Vernehmung für die Verletzten nach dessen individuellen Verhältnissen im konkreten Strafverfahren mit einer besonderen Belastung verbunden sein wird, weshalb mehrfache Vernehmungen vermieden werden sollen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 24 GVG, Rn. 6). Die Belastung für den konkreten Zeugen muss daher deutlich über das normale Maß der Belastung von Opferzeugen durch die Verhandlungssituation hinausgehen (MüKo-Schuster, StPO, 1. Auflage, § 24 GVG, Rn. 19, beck-online). Durch diese Regelung wird der speziellen Situation vor allem von kindlichen Zeugen und Opfern von Sexualdelikten Rechnung getragen (KK-Barthe, StPO, 8. Auflage, § 24 GVG, Rn. 6a). Derartige besondere Belastungen der Opfer-Zeugen sind — woraufhin das Landgericht zu Recht hinweist — vorliegend nicht erkennbar.
2. Eine Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich auch nicht aus einem besonderen Umfang des Verfahrens. Der besondere Umfang einer Sache ist anzunehmen, wenn das Verfahren nach der Zahl der Angeklagten oder der Straftaten, nach dem Umfang der Beweisaufnahme oder der zu erwartenden Verhandlungsdauer von den üblicherweise zu verhandelnden Fällen abweicht und sich deutlich aus der großen Masse der Verfahren, die den gleichen Tatbestand betreffen, heraushebt (KK-Barthe, StPO, 8. Auflage, § 24 GVG, Rn. 6b, beck-online). Allerdings ist zu beachten, dass der besondere Umfang dabei noch über den den Anwendungsbereich des § 29 Abs.2 GVG rechtfertigenden Umfang hinausgehen muss (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Rn. 7). Daher sind Verfahren nur von besonderem Umfang; wenn sie auch unter Beiziehung eines zweiten Richters vom Schöffengericht nicht mit der gebotenen Beschleunigung verhandelt werden können (MüKo-Schuster, StPO, 1. Auflage, § 24 GVG, Rn. 16, beck-online). Die personelle Überlegenheit der Kammer am Landgericht gegenüber dem Schöffengericht ist aufgehoben, wenn dieses nach § 29 Abs. 2 S. 1 GVG mit zwei Berufsrichtern verhandelt und die Kammer nach § 76 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 GVG ebenfalls mit nur zwei Berufsrichtern entscheidet. In diesen Fällen ergibt sich ein Unterschied nur noch im Instanzenzug. Die Vermeidung einer zweiten Tatsacheninstanz kann jedoch nicht aus fiskalischen oder anderen sachfremden Gründen dazu führen, dass der gesetzliche Richter abweichend bestimmt wird: Das ergibt sich auch bei systematischer Auslegung mit der Zuständigkeit des Landgerichts in Fällen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Zeugen. In diesen Fällen ist die Reduzierung auf eine Tatsacheninstanz gesetzlicher Zweck der Bestimmung. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass andere‘ Gründe für eine Reduzierung der Instanzen gerade nicht herangezogen werden dürfen (MüKo¬Schuster, a.a.O.).
Wie die Strafkammer in ihrem angefochtenen Beschluss, zutreffend ausgeführt hat, ist das grundsätzlich zuständige Schöffengericht mit der Durchführung des Verfahrens angesichts der Zahl der angeklagten Taten und der zu vernehmenden Zeugen nicht überfordert. Angeklagt ist lediglich eine Tat, das Verfahren umfasst insgesamt nur drei Aktenbände und als Tatzeuge steht neben den beiden Geschädigten lediglich der unbeteiligte Tatzeuge pp. zur Verfügung, der jedoch Einzelheiten zu den Tätern im Rahmen der polizeilichen Vernehmung nicht angeben konnte. Darüber hinaus dürften noch die vier Polizeibeamten, die Bekundungen zu Angaben der Geschädigten vor Ort und im Krankenhaus, dem. Antreffen eines Teils der Angeklagten in der Nähe des Tatorts bzw. deren Identifizierung auf Lichtbildern machen können, der Geschädigte der Sachbeschädigung sowie die drei benannten Alibizeugen zu vernehmen sein.
Einzig im Hinblick auf die Anzahl der Angeklagten weicht das Verfahren im Hinblick auf die üblicherweise vor dem Amtsgericht -Schöffengericht- zu verhandelnden Fälle ab. Allein die Zahl der Angeklagten rechtfertigt aber für sich genommen nicht die Annahme eines besonderen Umfangs dieser Sache mit der Folge der Zuständigkeit der großen Strafkammer. Räumliche Schwierigkeiten können nicht zuständigkeitsbestimmend sein. Dem mit der Anzahl der Angeklagten ggf. verbundene Mehraufwand kann – worauf die Kammer zu Recht hingewiesen hat — durch Hinzuziehung eines weiteren Richters beim Amtsgericht Rechnung getragen werden, was die Kammer gemäß § 29 Abs. 2 GVG entsprechend angeordnet hat.
3. Eine besondere Bedeutung des Falles lässt sich auch nicht aus dem Umstand, -dass sowohl ein besonderes- Interesse der Medien als auch -der Öffentlichkeit im Westmünsterland an der Sache zu erwarten ist, herleiten. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die besondere Bedeutung der Sache im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG auch aus einem großen Interesse der Medien und Öffentlichkeit allgemein an der einschlägigen Strafsache ergeben (BGH, Urteil. vom 10. Mai 2001,1 StR 504/00, juris). Vor dem Hintergrund des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) vermag aber ein großes Medien-und Öffentlichkeitsinteresse die „besondere Bedeutung“ einer Strafsache allenfalls ausnahmsweise bei Konstellationen eines überragenden oder bundesweiten Interesses zu stützen. Die besondere Bedeutung kann nur dann angenommen werden, wenn das Medieninteresse eine ohnehin vorhandene besondere Bedeutung für die Allgemeinheit widerspiegelt, nicht lediglich regionaler Art ist und die Erregung dieses Interesses gerade das Ziel der Straftat war (KK-Barthe, a.a.O., Rn. 9 m.w.N.).
Von dem Vorliegen eines derartigen Medieninteresses geht die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft bereits selbst nicht aus.“