BVerfG III: Vollzugslockerungen, oder: “ bloße pauschale Wertungen“ sind nicht erlaubt

Und als dritte und letzte BVerfG-Entscheidung dann der BVerfG, Beschl. v. 18.09.2019 – 2 BvR 1165/19, den ich der Homepage von HRRS entnommen habe. Es geht um Vollzugslockerungen und eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des OLG Hamm. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Der Beschluss ist bie HRRS mit folgenden Leitsätzen des Bearbeiters eingestellt:

1. Eine Strafvollstreckungskammer verkennt Bedeutung und Tragweite des Resozialisierungsanspruchs des Strafgefangenen, wenn sie die Gewährung von Vollzugslockerungen erst dann für geboten erachtet, wenn der Gefangene Anzeichen einer drohenden haftbedingten Depravation aufweist. Dasselbe gilt, wenn das Gericht die Annahme einer Missbrauchs- und Fluchtgefahr ungeprüft von der Justizvollzugsanstalt übernimmt, obwohl es insoweit an aktuellen Erkenntnissen fehlt und die Anstalt überdies bereits die Überstellung des Gefangenen in den offenen Vollzug vorbereitet.

2. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, den Strafvollzug auf eine Resozialisierung des Gefangenen auszurichten. Besonders bei langjährig Inhaftierten ist es erforderlich, aktiv den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken und die Lebenstüchtigkeit des Betroffenen in Freiheit zu erhalten und zu festigen.

3. Die Versagung von Vollzugslockerungen nach mehrjährigem Freiheitsentzug berührt den grundrechtlich geschützten Resozialisierungsanspruch des Strafgefangenen. Sie darf nicht auf lediglich abstrakte Wertungen gestützt werden. Vielmehr sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung konkrete Anhaltspunkte darzulegen, die geeignet sind, eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu begründen.

4. Bei langjährig Inhaftierten können auch ohne Bestehen einer konkreten Entlassungsperspektive zumindest Lockerungen in Form von Ausführungen verfassungsrechtlich geboten sein, bei denen die Justizvollzugsanstalt einer angenommenen Flucht- oder Missbrauchsgefahr durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen entgegenwirkt. Verfassungsrechtlich unzulässig ist dabei die Erwägung, bei entsprechenden Maßnahmen wie etwa einer verdeckten Fesselung entspreche die Ausführung nicht dem realen Erleben und verfehle ihren Zweck.

5. Die Versagungsgründe der Flucht- und Missbrauchsgefahr eröffnen der Vollzugsbehörde bei ihrer Prognoseentscheidung einen Beurteilungsspielraum. Gleichwohl haben die Vollstreckungsgerichte den Sachverhalt umfassend aufzuklären und dabei festzustellen, ob die Vollzugsbehörde eine hinreichende tatsächliche Grundlage für ihre Entscheidung geschaffen hat.

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