Verfahren ruht zwei Jahre, dennoch keine Erledigung, auch nicht beim statistischen Austragen

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt mit dem OVG Thüringen, Beschl. v. 17.12.2018 – 4 VO 812/18 – dann ebenfalls aus dem Verwaltungsverfahren. Er behandelt eine Problematik in Zusammenhnag mit § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG, nämlich die Frage, ob nach einer mehr als zweijähriger Verfahrensunterbrechung die Gebühren für den Rechtsanwalt, wenn er dann ggf. wieder tätig wird, neu entstehen.

Das ist eine Problematik, die ja z.B. auch im Strafverfahren auftreten kann. Die Antwort hängt davon ab, wie man den Begriff „Erledigung des Auftrags“ in “ 15 Abs. 5 Satz 2 RVG versteht. Dazu das OVG:

„Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG liegen nicht vor. Nach der vorgenannten Bestimmung gilt eine weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit, wenn ein früherer Auftrag seit mehr als zwei Jahren erledigt ist. Eine Erledigung des Auftrags im Sinne des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG (und auch des § 8 Abs. 1 Satz 1 RVG) tritt erst ein, wenn der Anwalt seine Verpflichtungen aus dem Anwaltsdienstvertrag vollständig erfüllt hat (BGH, Beschluss vom 11. August 2010 – XII ZB 60/08MDR 2010, 1218 = juris Rn. 14). Das ist bei einer Ruhensanordnung und einer daran anknüpfenden Austragung des Verfahrens als statistisch erledigt nicht der Fall. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens führt lediglich zu einer (vorübergehenden) Unterbrechung des Verfahrens. Der Rechtsanwalt muss jederzeit mit einer Fortführung des Verfahrens rechnen, auch wenn seit der Unterbrechung mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Dies trifft auch auf den vorliegenden Fall zu. Bereits im Zeitpunkt der Anordnung des Ruhens des Verfahrens war die Fortführung des Verfahrens bei Vorliegen einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (bzw. Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils) in dem gleichgelagerten Verfahren beabsichtigt. Ein neuer Auftrag ist bei einer Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht erforderlich, da der Prozessbevollmächtigte weiterhin beauftragt bleibt (BGH, Beschluss vom 30. März 2006 – VII ZB 69/05NJW 2006, 1525 = juris Rn. 5; Beschluss vom 11. August 2010 – XII ZB 60/08MDR 2010, 1218 = juris Rn. 26; BayVGH, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – 15 M 14.2529).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6. November 2017 (Az. V ZB 152/16). Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Beklagtenseite mehr als vier Jahre nach öffentlicher Zustellung eines Versäumnisurteils Einspruch einlegte und Widerklage sowie Eventualwiderklage erhob. Diese Fallkonstellation gibt schon allein deshalb für den Verwaltungsprozess nichts her, weil die Verwaltungsprozessordnung kein Versäumnisurteil vorsieht.

Auch kommt ungeachtet dessen unter Berücksichtigung der vom BGH in der vorgenannten Entscheidung entwickelten Grundsätze keine analoge Anwendung des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG auf den Fall der Ruhensanordnung in Betracht. Es fehlt an einer interessengleichen Lage. Der BGH hat in der o.g. Entscheidung eine Erledigung des von der Klägerseite erteilten Anwaltsauftrags mit der Begründung angenommen, dass die Beklagtenseite nicht innerhalb der vom Gericht nach § 339 Abs. 2 ZPO bestimmten Einspruchsfrist Einspruch eingelegt habe und dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerseite mit einem Einspruch, ggf. in Verbindung mit einem Wiedereinsetzungsantrag jedenfalls nicht mehr nach Ablauf der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO hätten rechnen müssen (BGH, Beschluss vom 6. November 2017 – V ZB 152/16 – juris Rn. 10). Daraus hat der BGH geschlussfolgert, dass es zumindest zu einer „scheinbaren“ Erledigung des Verfahrens gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2017 – V ZB 152/16 – juris Rn. 15). Dies lässt sich auf den Fall der statistischen Erledigung eines Verfahrens sechs Monate nach der Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht übertragen. Dabei handelt es sich weder um eine echte oder eine scheinbare Erledigung, sondern nur um eine statistischen Zwecken dienende Erledigungsfiktion. Soweit in der Thüringer Verwaltungsgerichtsbarkeit bei Wiederaufnahme des Verfahrens ein neues Aktenzeichen vergeben werden muss, ist dies nur auf den Umstand zurückzuführen, dass es (noch) keine technische Möglichkeit gibt, ein als statistisch erledigt ausgetragenes Verfahren unter dem bisherigen Aktenzeichen fortzuführen. Keiner der Beteiligten kann ungeachtet dessen, ob ihm die statistische Austragung mitgeteilt wird oder nicht, daraus schlussfolgern, dass das Verfahren und damit der Auftrag sich erledigt hat. Anknüpfungspunkt für die Bewertung dieser Frage bleibt die Ruhensanordnung, die hier im konkreten Fall darauf zurückzuführen war, dass die Rechtskraft der Entscheidung in einem Parallelverfahren abzuwarten war, die erst durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2017 (Az. 6 C 43.16) eintrat. Von Anfang an stand fest, dass das nur unterbrochene Verfahren nach Abschluss des Parallelverfahrens fortgeführt werden sollte. Das Verfahren nach der Wiederaufnahme bildet zusammen mit dem unterbrochenen Verfahren eine einheitliche Instanz (vgl. Mayer in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2019, Rn. 34 zu § 15 RVG).

Allein der Umstand, dass sich ein Rechtsanwalt in ein Verfahren wieder neu einarbeiten muss, wenn ein längerer Zeitraum vergangen ist, ohne dass es betrieben wurde, zwingt nicht zu der Schlussfolgerung, dass § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG in allen Fällen analog anzuwenden ist, wenn dieser Zeitraum zwei Jahre erreicht. Ungeachtet dessen, dass dies ein Beweggrund für die Einführung des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG gewesen sein mag, ändert es nichts daran, dass die Erledigung eines (früheren) Auftrags und damit schon die Entstehung (hier) einer Verfahrensgebühr Voraussetzung für die Anwendung dieser Ausnahmebestimmung ist. Dies ist bei Unterbrechung eines noch nicht erledigten Verfahrens nicht der Fall.“

Entspricht im Wesentlichen der herrschenden Meinung. Ob es richtig ist, ist eine andere Frage 🙂 .

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