Den Wochenauftakt mache ich heute mit zwei verfahrensrechtlichen Entscheidungen zu § 265 StPO. Den Anfang mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 08.05.2018 – 5 StR 65/18 – zur Hinweispflicht nach dem durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 3202) erweiterten § 265 Abs. 2 StPO. Es geht um die neue Nr. 3.
Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt. Ferner hat es Adhäsionsentscheidungen getroffen und die Einziehung eines Mobiltelefons sowie eines Laptops des Angeklagten angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt hatte, hatte nur hinsichtlich der Einziehungsentscheidungen Erfolg.
Mit der seiner Verfahrensrüge hatte der Angeklagte eine Verletzung des neuen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO geltend gemacht und zur Begründung vorgetragen, dass seine Unterrichtung darüber unterbliesen sei, dass die Jugendschutzkammer nach Erhebung eines Entlastungsbeweises zu Abwesenheitszeiten der Mutter der Nebenklägerin lediglich von einer geringeren Anzahl an Taten, nicht aber von einer Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin ausgehen werde. Damit hatte er beim BGH keinen Erfolg:
„a) Durch § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO in der seit 24. August 2017 geltenden Fassung (Gesetz vom 17. August 2017, BGBl. I S. 3202) ist die Hinweispflicht des § 265 Abs. 1 StPO auf Fälle erweitert worden, in denen sich in der Hauptverhandlung die Sachlage gegenüber der Schilderung des Sachverhalts in der zugelassenen Anklage ändert und dies zur genügenden Verteidigung vor dem Hintergrund des Gebots rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und des rechtsstaatlichen Grundsatzes des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1769/04) einen Hinweis erforderlich macht (vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 37).
aa) Der Gesetzgeber hat in § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO an die ständige Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht (BT-Drucks. 18/11277 S. 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14, NStZ 2015, 233). Die durch den Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Grundsätze (vgl. MüKo-StPO/Norouzi, § 265 Rn. 48 ff. mwN) wollte der Gesetzgeber kodifizieren, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht einführen (vgl. SSW-StPO/Rosenau, 3. Aufl., § 265 Rn. 31). Danach bestehen Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, das Tatopfer, die Tatrichtung, eine Person des Beteiligten oder bei der Konkretisierung einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung des Anklagesatzes (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2011 – 1 StR 582/10, BGHSt 56, 121, 123 ff., und Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14, aaO; Norouzi, aaO, Rn. 51; BeckOK-StPO/Eschelbach, Stand 1. Januar 2018, § 265 Rn. 36). Hingegen sind Hinweise etwa hinsichtlich der Bewertung von Indiztatsachen (vgl. Eschelbach, aaO, Rn. 39 ff.) nach dem Willen des Gesetzgebers auch künftig nicht erforderlich. Ebenso wenig muss das Gericht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens vor der Urteilsberatung seine Beweiswürdigung offenlegen oder sich zum Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen erklären (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 1997 – 5 StR 237/97, BGHSt 43, 212, 215).
bb) Ein – protokollierungsbedürftiger – Hinweis gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO muss ferner nur gegeben werden, wenn er zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist. Er ist dementsprechend entbehrlich, wenn die Änderung der Sachlage durch den Gang der Hauptverhandlung für die Verfahrensbeteiligten ohne weiteres ersichtlich ist (zur st. Rspr. nach überkommener Gesetzeslage vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2015 – 4 StR 332/15 mwN; siehe auch Eschelbach, aaO, Rn. 44). Veränderungen der Sachlage hinsichtlich unwesentlicher Umstände, etwa solcher aus dem Randgeschehen, lösen die Hinweispflicht nicht aus (vgl. Eschelbach, aaO, Rn. 38).
b) Um dem Revisionsgericht die Prüfung eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO zu ermöglichen, muss der Revisionsführer gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO – wie schon bisher – zu allen genannten Voraussetzungen vollständig vortragen. Für die Prüfung der Erforderlichkeit des Hinweises ist namentlich darzulegen, ob der Revident durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage bereits zuverlässig unterrichtet war und ein ausdrücklicher Hinweis deshalb unterbleiben konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2015 – 4 StR 332/15 mwN). Schließlich muss – wenn sich dies nicht von selbst versteht – ausgeführt werden, inwieweit der Hinweis für die genügende Verteidigung des Angeklagten erforderlich war. Denn nur unter dieser Voraussetzung besteht für das Gericht überhaupt die Rechtspflicht, einen Hinweis zu erteilen. Deshalb ist in ausreichender Weise vorzutragen, warum der Angeklagte durch das Unterlassen des Hinweises in seiner Verteidigung beschränkt war und wie er sein Verteidigungsverhalten nach erfolgtem Hinweis anders hätte einrichten können (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1992 – 3 StR 519/91, BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 9 mwN).
c) Diesen Vortragspflichten ist nicht genügt. Entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts lässt das Revisionsvorbringen nicht erkennen, inwieweit der Angeklagte sein Verteidigungsverhalten anders eingerichtet hätte, wenn er förmlich darauf hingewiesen worden wäre, dass das Gericht den von der Verteidigung initiierten Entlastungsbeweis für einen mehrmonatigen Abschnitt des Tatzeitraums (teilweise) als gelungen betrachtete und deshalb bei einigen Anklagefällen zum Freispruch neigte. Die insoweit eingetretene Entlastung des Angeklagten hat die Strafkammer in gebotenem Umfang auch in ihre sorgfältige Beweiswürdigung eingestellt.
Durch die Erweiterung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 3202)“ habe der Gesetzgeber an die ständige Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht (BT-Drucks. 18/11277 S. 37 unter Hinweis auf BGH NStZ 2015, 233). Die durch den BGH hierzu entwickelten Grundsätze (vgl. MüKo-StPO/Norouzi, § 265 Rn. 48 ff. m.w.N.) habe der Gesetzgeber kodifizieren, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht einführen wollen (vgl. SSW-StPO/Rosenau, 3. Aufl., § 265 Rn. 31). Danach bestehen Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, das Tatopfer, die Tatrichtung, eine Person des Beteiligten oder bei der Konkretisierung einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung des Anklagesatzes (vgl. BGHSt 56, 121, 123 ff., BeckOK-StPO/Eschelbach, Stand 1. 1. 2018, § 265 Rn. 36). Hingegen sind Hinweise etwa hinsichtlich der Bewertung von Indiztatsachen (vgl. Eschelbach, a.a.O., Rn. 39 ff.) nach dem Willen des Gesetzgebers auch künftig nicht erforderlich. Ebenso wenig müsse das Gericht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens vor der Urteilsberatung seine Beweiswürdigung offenlegen oder sich zum Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen erklären (vgl. BGHSt 43, 212, 215).
Kurzes Fazit: Es handelt sich bei der Entscheidung um die – soweit ersichtlich – erste Entscheidung zum neuen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO. Die Entscheidung entspricht der Intention und den Vorgaben des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien zum neuen Recht. Dazu hatte ich ja auch bereits in meinem Ebook zu den Änderungen der StPO 2017 Stellung genommen (zur Bestellung geht es dann noch einmal hier). Man merkt, dass die Änderungen allmählich in der Rechtsprechung angekommen sind.