Schon etwas älter ist der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des BGH betreffend Strafrahmeverschiebung nach §§ 21, 49 StGB, der auf eine Vorlage des 3. Strafsenats des BGG zurückgeht. In dem beim 3. Strafsenat anhängigen Verfahren hatte das LG den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte mit bedingtem Vorsatz einen Mitbewohner durch Gewalteinwirkung auf den Brust- und Bauchbereich sowie gegen den Kopf, nachdem beide gemeinsam Alkohol konsumiert hatten. Das LG hat weder den Anlass der Tat noch den Grad der Alkoholisierung des Angeklagten festzustellen vermocht. Es ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht nicht ausschließbar auf Grund einer mittelgradigen Berauschung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Die Strafkammer hat die Strafe dem Strafrahmen des 212 Abs. 1 StGB entnommen. Für einen benannten minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 Alternative 1 StGB) hat sie keinen Anhaltspunkt gefunden. Einen sonstigen minder schweren Fall (§ 213 Alternative 2 StGB) hat sie sowohl unter Berücksichtigung allein der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte als auch unter Hinzuziehung des wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt angenommenen vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB abgelehnt. Von einer Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hatte das LG ebenfalls abgesehen. Es ist davon ausgegangen, dass dies im Fall einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit möglich sei, wenn diese auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Eine Alkoholkrankheit oder -überempfindlichkeit des Angeklagten, die ein Verschulden hinsichtlich der Trunkenheit ausgeschlossen hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
Der 3. Strafsenat hat die Entscheidung des LG für rechtsfehlerfrei gehalten und wollte die Revision des Angeklagten zu verwerfen. Wegen ggf. entgegenstehender Rechtsprechung anderer Strafsenatehat es dort emäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG angefragt, ob diese an (gegebenenfalls) entgegenstehender Rechtsprechung festhalten (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2015 – 3 StR 63/15, NStZ 2016, 203). Nach den erhaltenen Antworten hat er dann vorgelegt.
Der Große Senat hat dann dem BGH, Beschl. v. 24.07.2017 – GSSt 3/17 -geantwortet:
Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände kann eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist.
Und jetzt hat dann der 3. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 08.03.2018 – 3 StR 63/15 – die Revision verworfen:
„….bb) Nach diesem Maßstab durfte das Landgericht, obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen des 21 StGB vorlagen, in Ausübung seines Ermessens wegen der Vorwerfbarkeit der Alkoholisierung eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB ablehnen. Anders als der Beschwerdeführer meint, hing die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht von Feststellungen zur Vorhersehbarkeit der Tat im Zeitpunkt des Sich-Berauschens ab; dazu, ob der Angeklagte erkennbar zu Gewalttaten in alkoholisiertem Zustand neigte, brauchten sich die Urteilsgründe nicht zu verhalten…..“
Man darf gespannt sein, wie sich die Fragen jetzt weiter entwickeln. Wie hat Jahn in der Anmerkung zu dem Beschluss des Großen Senats in der NJW so schön geschrieben: Ein weiterer Schritt zur Abkehr vom Tat- und Schuldstrafrecht hin zu einem gesellschaftlichen Steuerungsinstrument.
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