Und als zweite „Dashcam-Entscheidung“ weise ich auf das AG München, Urt. v. 09.08.2017 – 1112 OWi 300 Js 121012/17 – hin. Von dem habe ich leider keinen Volltext, so dass ich nur auf die PM des AG München zurückgreifen kann. In der heißt/hieß es:
Kameras an privatem PKW verstoßen gegen Bundesdatenschutzgesetz
Das AG München hat entschieden, dass der öffentliche Verkehrsraum mit einem privaten PKW nicht zur Ermittlung potentieller Täter einer Sachbeschädigung am PKW gefilmt werden darf und die Aufzeichnungen auch nicht der Polizei übergeben werden dürfen.
Die 52-jährige Geschäftsführerin parkte am 11.08.2016 von ca. 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr ihren PKW BMW X1 in der Mendelssohnstraße in München. Das Fahrzeug war vorne und hinten mit einer Videokamera ausgestattet. Die Kameras fertigten laufend Videoaufzeichnungen des vor und hinter dem Fahrzeug befindlichen öffentlichen Verkehrsraumes. Diese Aufzeichnungen wurden gespeichert. Auf diese Weise wurden mindestens drei andere Fahrzeuge, die sich vor oder hinter dem Straßenraum des geparkten Fahrzeuges befanden, aufgezeichnet. Die Videoaufzeichnungen wurden durch die Betroffene der Polizei übergeben, da ein anderes Fahrzeug ihr geparktes Fahrzeug gestreift und beschädigt hat und sie die Videoaufzeichnungen als Beweismittel vorlegen wollte. Gegen die Betroffene wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet und ein Bußgeldbescheid erlassen wegen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz. Sie legte dagegen Einspruch ein. Sie war der Meinung, dass durch die Aufnahme von Autokennzeichen keine schützenswerten Daten erhoben und gespeichert worden seien. Es sei ihr nur darauf angekommen, potentielle Täter einer Sachbeschädigung am PKW ermitteln zu können. Die einzelnen Fahrer der entsprechenden vor oder hinter dem PKW parkenden Autos seien nicht erkennbar gewesen.
Das AG München hat die Betroffene wegen vorsätzlicher unbefugter Erhebung und Verarbeitung und Bereithaltung von personenbezogenen Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt.
Nach Auffassung des Amtsgerichts ist das Verhalten der Betroffenen als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit zu verurteilen. Es überwiege im vorliegenden Fall das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung. Das Interesse der Betroffenen an der Aufdeckung von einer potentiellen Straftat müsse hierbei zurückstehen. Das permanente anlasslose Filmen des vor und hinter dem geparkten Fahrzeug befindlichen Straßenraumes verletze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und stelle einen schwerwiegenden Eingriff in dieses Recht dar. Es könnten nicht 80 Mio. Bundesbürger mit Kameras herumlaufen, um irgendwelche Situationen aufnehmen zu können, die eine Straftat aufdecken könnten. Eine permanente Überwachung jeglichen öffentlich Raumes durch Privatbürger sei nicht zulässig, da es in das Recht unbeteiligter Personen in schwerwiegender Weise eingreife, selbst bestimmen zu können, wo und wann man sich aufhalte, ohne dass unbeteiligte Personen dies dokumentieren und bei Behörden verwenden würden.
Das Gesetz sehe eine Geldbuße bis zu 300.000 Euro vor. Bei der Höhe habe das Amtsgericht berücksichtigt, dass die Betroffene nur 1.500 Euro netto verdiene. Zu ihren Gunsten habe gewertet werden können, dass offenbar in der Vergangenheit das Fahrzeug schon einmal beschädigt worden sei und die Betroffene subjektiv einen Anlass gehabt habe, die Kameras einzusetzen.
Das Urteil ist – so die PM – „nicht rechtskräftig.“ Vielleicht hören wir zu der Frage ja dann etwas vom OLG Bamberg.
Ich hoffe sehr daß das kassiert wird.
Der Täterschutz geht deutlich zu weit!
Das Urteil folgt dem Buchstaben des Gesetzes und dem weiten Verständnis „personenbezogener Daten“ (zu denen ja sogar IP-Nummern aus einem IP-Nummernpool zählen sollen). Das Ergebnis ist gleichwohl unbefriedigend — und leider auch die Begründung mit der Behauptung eines schlicht dahin geschriebenen „schwerwiegenden Eingriffs“ in die informationelle Selbstbestimmung und dass es nicht angehen könne, 80 Mio. Bundesbürger mit Kameras herumlaufen zu lassen, um irgendwelche ggf. strafrelevanten Situationen aufzunehmen.
Mit diesem Begründungsansatz dürfte auch die ansatzlose Vollzeitüberwachung öffentlicher Plätze durch die öffentliche Hand nicht zu rechtfertigen sein — insbesondere, wenn auch ihr es nur um die Aufklärung eventueller Straftaten und, durch die verbesserte Aufklärungschance, die erhöhte Sicherheit geht. Die den aufgenommenen Bürger treffende angeblich schwere Verletzung ist dieselbe.
Der Schutz des Bürgers vor unangemessener Datenerhebung ist zweifellos wichtig;vor allem aber, wenn der Staat in einem Über-Unterordnungsverhältnis in die Rechte der Bürger eingreifen will. Der launige Kurzschluss der öffentlichen Hand und Justiz — wenn es der Staat nicht darf, dann erst recht kein Privater — geht am Kern des Datenschutzes vorbei. Aber es kann nicht sein, dass Straftäter ein Recht darauf in Anspruch nehmen können sollen, bei der Tat nicht gefilmt zu werden. Hier muss sich, gerade im Punkt Dash-Cams (aber auch bei der Überwachung des eigenen Besitzes) etwas ändern. Und ein Beweisverwertungsverbot geht völlig zu weit (vgl. St 27, 357; 36, 172. NJW 05, 2329 dürfte offenkundig nicht vorliegen); in allen Fällen des staatlichen/justiziellen Vorgehens kann indes der Schutz der Aufrechterhaltung des Rechtsstaates sowie die Effektivität der Strafrechtspflege scheinbar gar nicht genug hoch hängen, um noch so krude Eingriffe zur Beweisgewinnung und -verwertung zu rechtfertigen.
In der Zwischenzeit sollte vielleicht mehr in das Blickfeld gerückt werden, dass „Dash“-Cams Kameras sind (bzw. sein sollten), die eben nicht „laufend“ aufzeichnen und speichern, sondern nach einer Erschütterung (die eine dokumentierte Tatsache für den Anfangsverdacht einer Straftat sein kann) und eventuell ist durch geeignete Aufkleber am Fahrzeug darauf hinzuweisen, dass das Fzg. mit Dash-Cams ausgestattet ist und Videoaufnahmen anlassbezogen gefertigt werden.