Heute dann drei Entscheidungen, die mit Betäunbungsmitteln/Drogen zu tun haben. Zunächst in der Reihe das schon etwas ältere BGH, Urt. v. 12.1.2017 – 1 StR 394/16. Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit BtM verurteilt. Festgestellt worden sind in einem Tresor im Schlafzimmer des Wohnung des Angeklagten 113 g Marihuana und knapp 8,5 g Kokain sowie im Wohnzimmer weitere gut 10 g Haschisch, die überwiegend zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Außerdem hat das LG festgestellt, dass der Angeklagte in einer im Wohnzimmer stehenden Kommode u.a. drei in Plastikkoffern mit Schnappverschlüssen befindliche, ungeladene, aber funktionsfähige „Gas-Alarm-Pistolen“ nebst Munition sowie einen Schlagring – unter den Pistolenkoffenrn – verwahrt hat.
Das LG hat den Angeklagten nicht wegen bewaffneten Handeltreibens (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) verurteilt, weil es sich nicht davon überzeugen konnte, dass der Angeklagte hinsichtlich des Schlagrings das Bewusstsein hatte, diesen in einer Weise bei sich zu haben, die ihm den jederzeitigen Zugriff ermöglichte. Auch die „Gas-Alarm-Pistolen“ habe er nicht so gebrauchsbereit bei sich gehabt, dass er sich ihrer jederzeit hätte bedienen können.
Die StA hat Revision eingelegt. Die hatte Erfolg. Der BGH beanstandet an der Beweiswürdigung des LG, dass dieses sich nicht ausreichend mit der Vielzahl der vorgefunden Waffen auseinander gesetzt habe. Aus der Vielzahl vorhandener Waffen könnten sich nämlich Rückschlüsse auf den Vorsatz des Mitsichführens jeder einzelnen Waffe ergeben. Auch habe das LG nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte neben den BtM auch Bargeld – es waren 5.250 EUR gefunden worden – in seiner Wohnung verwahrte. Dies könne indizielle Bedeutung auch für den Vorsatz hinsichtlich § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG haben, da das Vorhandensein von Bargeld möglicherweise einen eigenständigen und zusätzlichen Anreiz für den Täter biete, seine Interessen bei dem Handeltreiben mit BtM in irgendeiner Phase des gesamten Vorgangs auch unter Zugriff auf vorhandene Waffen durchzusetzen.
Und schließlich: Die räumliche Entfernung zwischen BtM und Waffe habe nur indizielle Bedeutung:
(1) Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann angesichts der Vielgestaltigkeit der in Frage kommenden Lebensverhältnisse lediglich anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (insoweit zutreffend Rahlf aaO BtMG § 30a Rn. 178). Zu diesen Umständen gehört etwa außer den individuellen Fähigkeiten des Täters und den tatsächlichen Möglichkeiten seines Zugriffs einschließlich möglicher Zugangserschwernisse auch die räumliche Nähe des Täters während irgendeines Stadiums der Tatausführung zu der Schusswaffe oder zu dem sonstigen Gegenstand i.S.v. § 30a Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 BtMG.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zur Konkretisierung der räumlichen Komponente des Mitsichführens häufig formuliert worden, es genüge, wenn sich die Schusswaffe bzw. der Gegenstand in Griffweite befinde (etwa BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2010 – 2 StR 203/10, NStZ 2011, 99 f. und vom 10. Februar 2015 – 5 StR 594/14, NStZ 2015, 349; siehe dazu Praxiskommentar Volkmer NStZ 2015, 349 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 21. März 2000 – 1 StR 441/99, NStZ 2000, 433). „Griffweite“ im wörtlichen Sinne, nämlich etwas in greifbarer Nähe zu haben (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 4, 3. Aufl., „Griffnähe“ und „Griffweite“), ist dabei in der Rechtsprechung als stets hinreichende aber nicht als notwendige Bedingung des Mitsichführens verstanden worden. Denn der Bundesgerichtshof hat die Annahme des Merkmals im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Betrachtung auch in Konstellationen für möglich gehalten, in denen sich innerhalb derselben Wohnung das zum Handeltreiben bestimmte Rauschgift und die Waffe bzw. der Gegenstand in unterschiedlichen Räumen befanden (etwa BGH, Urteil vom 21. März 2000 – 1 StR 441/99, NStZ 2000, 433; Beschlüsse vom 23. Juni 2010 – 2 StR 203/10, NStZ 2011, 99 f. und vom 15. Januar 2013 – 2 StR 589/12, NStZ 2013, 663 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 246/16, Rn. 13 und 14; Beschluss vom 10. Februar 2015 – 5 StR 594/14, NStZ 2015, 349). Allerdings ist der Tatrichter bei derartigen Fallgestal-tungen räumlich getrennter Aufbewahrung von Betäubungsmitteln und Waffen gehalten, die konkreten räumlichen Verhältnisse und die Orte, an denen das Rauschgift sowie die Waffen aufbewahrt wurden, näher im Urteil darzulegen (BGH, Urteil vom 21. März 2000 – 1 StR 441/99, NStZ 2000, 433; in der Sache ebenso BGH, Beschluss vom 10. Februar 2015 – 5 StR 594/14, NStZ 2015, 349; Urteil vom 13. August 2009 – 3 StR 224/09 Rn. 41 [insoweit in BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Sichverschaffen 2 nicht abgedruckt]). Bei getrennter Aufbewahrung in verschiedenen Räumen einer Wohnung ist ein Mitsichführen re-gelmäßig dann verneint worden, wenn sich die Waffe in einem seinerseits verschlossenen Behältnis befindet und das Öffnen eine Zeitspanne in Anspruch nimmt, die es ausschließt, von einer Zugriffsmöglichkeit „ohne nennenswerten Zeitaufwand“ und „ohne größere Schwierigkeiten“ sprechen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 StR 203/10, NStZ 2011, 99 f. – Waffe in einem mit Zahlencode gesicherten Tresor).
Die räumliche Entfernung zwischen dem Aufbewahrungsort der Betäubungsmittel und dem der Waffe bzw. des Gegenstandes zu einem bestimmten Zeitpunkt – etwa dem der Durchsuchung einer Wohnung – hat allerdings lediglich indizielle Bedeutung für die Beurteilung einer jederzeitigen ohne nennens-werten Zeitaufwand und ohne größere Schwierigkeiten zu realisierenden Zugriffsmöglichkeit des Täters (Volkmer NStZ 2015, 349, 350). Denn für das Mit-sichführen ist angesichts des Zwecks der Qualifikation (dazu näher BGH, Beschluss vom 5. April 2016 – 1 StR 38/16, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichfüh-ren 13 sowie bereits Urteil vom 28. Februar 1997 – 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 11-13) die Zugriffsmöglichkeit des Täters des Betäubungsmitteldelikts auf Waffen oder sonstige Gegenstände gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 BtMG wäh-rend irgendeines, aber näher zu bestimmenden Zeitpunkts im gesamten Tat-verlauf ausschlaggebend (zutreffend Volkmer aaO). Beim Handeltreiben aus einer Wohnung heraus erstreckt sich die Tat bis zum Verlassen der Wohnung durch den Käufer mit der Ware (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2007 – 3 StR 127/07, NStZ 2007, 533). Besteht im Verlauf des gesamten Tatvor-gangs, hinsichtlich dessen die Aufbewahrung der Betäubungsmittel zum späteren Verkauf nur ein Teilakt ist, zu irgendeinem Zeitpunkt eine Zugriffsmöglich-keit in dem dargelegten Sinn, liegen die Voraussetzungen des Mitsichführens vor; maßgeblich ist deshalb, dass die Waffe bzw. der Gegenstand jedenfalls bei einem Teilakt griffbereit zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 246/16, Rn. 13).“
Also: Nebenan ist ggf. nicht weit genug weg.
Nach dem ersten Durchlesen finde ich das Urteil etwas überzogen. Die Schreckschusswaffen lagen ja wohl ungeladen und in Koffern verpackt im Schrank.
Nach dieser weiten Auslegung ist Handeltreiben aus einer Wohnung heraus dann immer bewaffnetes handeltreiben, da in Wohnungen immer Messerblöcke mit Küchenmessern, Schraubenzieher, Hämmer o.ä. herumliegen.
Wenn man hier nicht wenigstens korrigierend auf das Bewußtsein des Täters abstellt, mit solchen Dingen möglicherweise dem Deal eine wie auch immer geartete andere Richtung zu geben, halte ich die Annahme eines bewaffneten Handeltreibens für eher fernliegend, da der Tatbestand ins Uferlose ausgeweitet wird.
@ Elmar:
Dieser Überlegung steht der -eigentlich eindeutige- Wortlaut des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG entgegen, welcher neben der Schusswaffe den zweigliedrigen Waffenbegriff des WaffG übernimmt: Eignung und Bestimmung (= Widmung des Herstellers) zur Verletzung von Personen. Dies ist bei Küchenmessern und sonstigen Werkzeugen i.d.R. nicht der Fall.
Der BGH ist zwar u.U. in der hier ebenfalls vorgestellten Pfefferspray-Entscheidung von diesem Grundsatz abgerückt, das ist meines Wissens aber bisher eine Einzelfallentscheidung.
Jaaa… Ich erliege soeben meinem anwaltlichen Diskussionsreflex…;-)
Das WaffG benennt als Waffe in § 1 Abs.2 Nummer 2b „Tragbare Gegenstände…die in diesem Gesetz genannt sind“.
In § 42a Abs. 3 WaffG werden „feststehende Messer mit einer Klingenlänge über 12 cm“ genannt (auch wenn sie nach Anl.1 Punkt 2.1 ff WaffG ausdrücklich nicht vom Waffengesetz umfasst werden – aber das ist eine andere Geschichte).
Ergo wäre zumindest ein bewaffnetes Handeltreiben nach der o.a. Rechtsauffassung immer dann anzunehmen, wenn ein Messerblock in dre Küche steht.
Der Punkt mit den Werkzeugen geht an Sie.. 😉
Ergänzung: es muss Anlage 1 Unterabschnitt 2 Punkt 2.1 ff WaffG heissen.
Ungeladen und in einem Koffer verpackt ist gemäß dem Waffengesetz gerade NICHT ZUGRIFFSBEREIT. Das Urteil ist maßlos überzogen und juristisch falsch.
@ Elmar (11:59):
1. Touché, Sie haben natürlich recht mit der Waffenliste 😉 obgleich sich § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG m.E. auf § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2a WaffG beschränkt und gerade nicht auf Nr. 2b erstreckt.
2. Merci