Archiv für den Monat: August 2016

Für Lkw-Fahrer: „Grenzfall“ bei Abstandsverstoß

© digitalstock - Fotolia.com

© digitalstock – Fotolia.com

Für Lkw-Fahrer interessant ist der AG Lüdinghausen, Beschl. v. 20.06.2016 – 19 OWi-89 Js 891/16-87/16 – betreffend den Abstandsverstoß eines Lkw-Fahrers (§ 4 Abs. 3 StVO). Die Regelbuße beträgt in dem Fall nach dem BKat 80 €, was für Lkw-Fahrer wegen der somit erfolgenden Eintragung im FAER von Bedeutung ist. Das LG Lüdinghausen hat nun in einem „Grenzfall“ – m.E. eher ein „Sonderfall“ – die Geldbuße nur auf 50 € festgesetzt. Begründung:

„Es liegt ein Grenzfall des Verstoßes gegen § 4 Abs. 3 StVO vor, wie er bereits von AG Lüdinghausen, Urteil v. 4.2.2013 – 19 OWi 89 Js 1877/12 – 239/12 = NZV 2013, 203 angenommen wurde. Der Betroffene ist mit einer (nach Toleranzabzug) gemessenen Geschwindigkeit von 56 km/h gefahren. Der Abstand zum Vordermann betrug laut VKS-Messung 37 m. Bei einer derart sich an die Untergrenze des § 4 Abs. 3 StVO annähernden Geschwindigkeit und gleichzeitiger Einhaltung des für PKW geltenden „Halben-Tacho-Abstands“ kann bei einem LKW eine Geldbuße unterhalb der Eintragungsgrenze für das FAER festgesetzt werden. „

Gina-Lisa Lohfink – und was kommt jetzt noch?

FragezeichenDas Verfahren um Gina-Lisa Lohfink (GLL) hat in den vergangenen Tagen die Gazetten bewegt. Auch in den Blogs ist dazu Stellung genommen worden. Ich hatte es mir bislang verkniffen, dazu etwas zu schreiben, hatte dann aber gestern über Facebook zwei Beiträge geteilt, und zwar einmal : „Gestern verurteilt – heute im Früh-TV“ und dann noch „Prozess um Gina-Lisa Lohfink: „Alice Schwarzer bezeichnet Urteil als „Skandal“.

Ich wiederhole/teile beide Beiträge dann auch hier, und: Es hat sich bei Facebook eine bemerkenswert umfangreiche Diskussion zu der Problematik entwickelt, die ich dann gerne hier noch einmal aufgreife.

Bei dem „Alice Schwarzer-Beitrag“ waren es die Kommentare, die mich zum Teil dann doch amüsiert haben. Davon dann nur eine kleine Auslese:

Zunächst den einer Frau – zum Glück haben die Damen auch mitdiskutiert -:

„Die, die am wenigsten Ahnung haben, machen ihren Mund immer am weitesten auf. In Bezug auf Frau Schwarzer gilt dieser Erfahrungssatz umso mehr. Ich bin genervt, vor allem als Frau.“
Schön dann auch:

„Naja, sie wird vielleicht ja auch schon bei der Hummel an der Blüte ihrer Blumen laut „Vergewaltigung“ schreien …
Wenn man AS liest und hört, fragt man sich, ob die erlebten und als richtig empfundenen Freisprüche in Vergewaltigungsverfahren nicht doch alles nur Fehlurteile waren ….
Und der „Gipfel“:

„Die höchste moralische Instanz“
Ich frage mich, was an dem Urteil des AG eigentlich der „Skandal“ sein soll: Das AG ist nach einer Beweisaufnahme zu der Feststellung gekommen, das GLL gelogen hat und hat sie deshalb verurteilt. In meinen Augen nichts anderes als „Tagesgeschäft“, um das nicht so viel Aufhebens gemacht würde, wenn nicht die Verteidigung von GLL so viel Aufhebens gemacht hätte.
Und damit sind wir bei dem zweiten Punkt, vielleicht dem eigentlichen „Skandal“ – wenn man das Wort mit „ein Aufsehen erregendes Ärgernis und die damit zusammenhängenden Ereignisse oder Verhaltensweisen“ übersetzt: Das Verhalten der Verteidigung in (?) und nach dem Verfahren. Zum Verhalten „im Verfahren“ will ich nichts sagen. Wir kennen alle die Akten nicht und wissen nur das, was in der Presse oder im Netz berichtet worden ist. Aber das Verhalten „nach dem Verfahren“. Das ist für mich schon ungewöhnlich – ein Ärgernis. Denn: Warum lässt man die Angeklagte – so ist es wohl im Früh-TV bei Sat I gewesen, wie diejenigen berichten, die es gesehen haben – ihre Vorwürfe noch einmal wiederholen? Ich hatte den von mir bei FB geteilten Beitrag mit der Überschrift versehen:
„Auf in die nächste Instanz – und wenn man nicht aufpasst – in das nächste Verfahren. Allmählich kann man über den Kollegen nur den Kopf schütteln….“
Und dabei bleibe ich. Abgesehen davon, dass man m.E. der Angeklagte mit noch mehr Medienöffentlichkeit nicht hilft, obwohl das Verfahren an sich nach §§ 153, 153a StPO schreit, das „nächste Verfahren“ ist ggf. vorprogammiert. Denn, wenn die Vorwürfe weiter/erneut öffentlich erhoben werden, dann haben wir neue Taten…. also eine Art perpetuum mobile oder ein (Verteidigungs)Abo.
Wenn ich das so schreibe, stellt sich mir aber auch hier/noch einmal die Frage: Will die Angeklagte überhaupt Hilfe und/oder eine geräuschlose Erledigung des Verfahrens. Nun, das wird jetzt kaum noch möglich sein, aber vielleicht wollte sie – und auch ihre Verteidigung – das ja von Anfang an nicht. Promi-Big-Brother und Dschungel-Camp rufen. Was hatte dazu gestern noch ein Kommentator geschrieben:

„GLL macht aus ihren Möglichkeiten das Beste: 20.000 PR-Kosten. 150.000 Dschungel-Fee. Macht einen Deckungsbeitrag von 130.000. Für einen C-Promi ist das echt gut….“
Man fragt sich, was kommt jetzt noch? Nun, zunächst das angekündigte Berufungsverfahren, sicherlich auch gut medial „aufbereitet“. Und dann? Vielleicht ein Auftritt bei Markus Lanz im ZDF – na ja, wahrscheinlich dann doch nicht, ist ja öffentlich-rechtlich -, aber in diversen anderen Talksshows und/oder vielleicht auch in den diversen Rückblicken am Jahresende, u.a. unter dem Titel: „Menschen des Jahres“. Man weiß es nicht.
Ach so: Ein besseres Bild hatte ich nicht. Es gibt zwar eins von GLL bei wikimedia. Aber das lasse ich lieber. Nicht, dass es noch um dieses Bild einen Rechtsstreit gibt 🙂 .

Ich kann es nicht mehr lesen III, oder: Wenn der Verteidiger kein Revisions-Einmal-Eins kann

© Gina Sanders - Fotolia.com

© Gina Sanders – Fotolia.com

Aller „guten“ (?) Dinge sind drei. Nach dem OLG Hamm, Beschl. v. 27.07.2016 – 2 RBs 131/16 und Ich kann es nicht mehr lesen I, oder: Schon wieder Entbindungsantrag und u.a. dem BGH, Beschl. v. 02.08.2016 – 2 StR 454/15 und Ich kann es nicht mehr lesen II, oder: Schon wieder Nebenklägerrevision dann nun der Verteidiger, der sich vielleicht besser sein Lehrgeld wieder geben lassen sollte. Und zwar wegen mal wieder nicht ausreichend begründeter Verfahrensrügen, bei denen – in meinen Augen – kein Revisionsrecht am Hochreck gefordert war, sondern nur revisionsrechtliches Ein-Mal-Eins. Der BGH, Beschl. v.  23.06.2016 – 5 StR 210/16 – spricht da m.E. für sich:

Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Die Angeklagten A. F. und S. machen in Beweisantragsrügen jeweils geltend, dass die Jugendkammer ein aussagepsychologisches Gutachten hinsichtlich der Nebenklägerin hätte einholen müssen. Zur Begründung ihrer Beweisanträge stützen sie sich zentral auf Widersprüche zwischen der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung und ihren Angaben bei den polizeilichen Vernehmungen. Die Rügen genügen auch deswegen den Voraussetzun-gen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht, weil die diesbezüglichen Vernehmungsniederschriften nicht mitgeteilt werden.

2. Der Angeklagte A. F. hat ferner bei seiner Rüge der Verletzung des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO die Anforderungen an das Rügevorbringen verfehlt. Er trägt zwar vor, die Entlassverhandlung in Bezug auf die Nebenklägerin und Hauptbelastungszeugin habe in seiner Abwesenheit (§ 247 StPO) stattgefunden. Jedoch ergibt sich aus dem Protokoll über die Sit-zung vom 9. März 2015 (Sachakten Bl. 3305), dass nach Unterrichtung des Angeklagten über den wesentlichen Inhalt der Vernehmung der Zeugin und unmittelbar vor deren Entlassung in seiner Anwesenheit zweimal „die weitere Verfahrensweise besprochen“ worden ist. Die Revision hätte sich dazu verhalten müssen, ob – was naheliegt – in diesem Rahmen die Frage der Entlassung und ein Verzicht des Angeklagten auf weitere Fragen an die Zeugin erörtert worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 1998 – 3 StR 643/97, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18 mwN).

3. Die Inbegriffsrügen des Angeklagten S. hinsichtlich der „Chats“ zwischen ihm und dem Angeklagten A. sowie Fotos auf dem Mobiltelefon des Zeugen M. versagen schon deswegen, weil der Angeklagte weder die gesamte Verschriftung des „Chatverlaufs“ noch die fraglichen Fotos vorgelegt hat. Oh-ne deren Kenntnis vermag der Senat die Begründetheit des Vorbringens nicht zu prüfen.

4. Die durch den Angeklagten H. F. erhobene Beweisantragsrüge betreffend ein ärztliches Attest kann nicht durchdringen. In seinem Antrag hat der Angeklagte durch Zeugnis der behandelnden Ärztin unter Beweis gestellt, dass der Zeuge H. „in der Hauptverhandlung vom 9. April 2015 gelogen hat, als er bekundete, seine Ärztin hätte ihm für sein Nichterscheinen in der hiesigen Hauptverhandlung am 26. März 2015 ein Gefälligkeitsattest ausgestellt“. Damit ist keine bestimmte Tatsache unter Beweis gestellt, die der eigenen Wahrnehmung der benannten Zeugin unterliegt, sondern lediglich ein Beweisziel benannt; zudem weist der Begriff des „Gefälligkeitsgutachtens“ wertenden Charakter auf (dazu etwa KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 74 f. mwN). Durch die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) war die Jugendkammer nicht gehalten, der durch den Angeklagten aufgeworfenen, in der Sache peripheren Frage näher nachzugehen.

Also: Lieber lassen, wenn man es nicht kann.

In dem Beschluss bekommt dann aber auch die Staatsanwaltschaft einen mit/ihr Fett ab:

„Im Hinblick auf die Vielzahl der Verfahrensrügen hätte eine Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft die Prüfung durch das Revisionsgericht wesentlich erleichtert (Nr. 162 Abs. 2 Satz 1 RiStBV).“

Ich kann es nicht mehr lesen II, oder: Schon wieder Nebenklägerrevision

© J.J.Brown - Fotolia.com

© J.J.Brown – Fotolia.com

Nun, es sind nicht nur die Amtsrichter, über die ich mich ärgere (vgl. dazu den OLG Hamm, Beschl. v. 27.07.2016 – 2 RBs 131/16 und Ich kann es nicht mehr lesen I, oder: Schon wieder Entbindungsantrag). Nein, es sind auch Verteidiger (die kommen nachher auch noch 🙂 ) und/oder Vertreter von Nebenklägern. Für letztere gilt ebenso: Ich kann es nicht mekr lesen, bzw. ko…. es mich ebenso an, immer wieder lesen zu müssen, dass die Nebenklägerrevision unzulässig war, weil nicht ausreichend im Hinblick auf § 400 StPO begründet. Leute, das kann doch nicht so schwer sein und steht in jedem Anleitungsbuch zur Revision: Die Sachrüge des Nebenklägers muss ausgeführt werden. Dazu dann auch noch einmal – zum gefühlten 1.000 mal – der BGH im BGH, Beschl. v. 02.08.2016 – 2 StR 454/15:

„Das Rechtsmittel erweist sich als unzulässig (§ 349 Abs. 1, § 400 Abs. 1 StPO).

Nach § 400 Abs. 1 StPO ist ein Nebenkläger nicht befugt, das Urteil mit dem Ziel anzufechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum An-schluss als Nebenkläger berechtigt. Ist der Angeklagte – wie hier – wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilt worden, dann bedarf die Revision des Ne-benklägers eines genauen Antrages oder einer Begründung, die deutlich macht, dass er eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich des Nebenklagedelikts verfolgt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 445/15; Beschluss vom 25. November 2015 – 1 StR 349/15). Diese Voraussetzungen hat der Nebenkläger hier nicht erfüllt. Er hat seine Revision vielmehr allein mit der nicht ausgeführten Formalrüge und mit der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge begründet. Weitere Ausführungen, aus denen sich das Ziel des Rechtsmittels entnehmen ließe, sind bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht eingegangen, so dass die Revision zu verwerfen ist.“

Also einen „Schönheitspreis“ gibt es für die Revision nicht……………

Und für die im Verfahren 2 StR 588/15 mit dem BGH, Beschl. v. 29.06.2016 auch nicht. Derselbe unverständliche Fehler. Zweimal am selben Tag auf der Homepage des BGh. Alle Achtung.

Ich kann es nicht mehr lesen I, oder: Schon wieder Entbindungsantrag

© Alex White - Fotolia.com

© Alex White – Fotolia.com

Ich kann es nicht mehr lesen, oder ich könnte auch schreiben: Es k…. mich an, immer wieder zu lesen, wie die AG offenbar versuchen, über die Ablehnung von Entbindungsanträgen der Betroffenen (§ 73 Abs. 2 OWiG) für eine schnelle und einfache Erledigung von Bußgeldsachen zu sorgen. Und das hat dann auch (mal wieder) ein Amtsrichter beim AG Schwerte getan/versucht. Der Betroffene hatte beantragt, entbunden zu werden. Zugleich hatte er seine Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt, keine weiteren Angaben zur Sache machen. Damit war der Weg zur Entbindung frei. Eine andere Möglichkeit gibt es nach h.M. in der Rechtsprechung der OLG nur noch in Ausnahmefällen. Anders aber das AG: Das weist den Entbindungsantrag zurück, „da die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung zur Aufklärung der Sach- und Rechtslage erforderlich sei, da nach den Erfahrungen des Gerichts zu erwarten stehe, dass das Erinnerungsvermögen der Zeugen, die als Polizeibeamte eine Vielzahl ähnlicher oder gleichgelagerter Sachverhalte zur Kenntnis nähmen, deutlich erhöht sei, wenn der Betroffene in der Hauptverhandlung anwesend sei.“

Das OLG Hamm sieht das zu Recht anders und hebt im OLG Hamm, Beschl. v. 27.07.2016 – 2 RBs 131/16 – das ergangene Verwerfungsurteil auf. Denn – wie gesagt: Ich kann es nicht mehr lesen….:

„Der Betroffene wäre vorliegend nach § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu entbinden gewesen. Nach dieser Vorschrift entbindet das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, sondern dieses vielmehr verpflichtet ist, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (OLG Hamm, Beschluss vom 20.09.2005 – 3 Ss OWi 626/05 -, juris; KG VRS 111, 146 und 113, 63; OLG Dresden DAR 2005, 460).

Der Betroffene hat in dem Entbindungsantrag mitgeteilt, er werde sich zur Sache nicht einlassen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass durch die persönliche Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts zu erwarten gewesen wäre, sind nicht erkennbar. Allein die rein theoretische, durch keine einzelfallbezogenen konkreten Tatsachen gestützte Möglichkeit, polizeiliche Zeugen könnten sich nach längerer Zeit an ein von ihnen beobachtetes Fehlverhalten eines Betroffenen im Straßenverkehr besser oder überhaupt erst erinnern, wenn sie den Betroffenen in der Hauptverhandlung sehen, reicht zur Ablehnung eines Entbindungsantrages nicht aus. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass im vorliegenden Fall eine Videoaufzeichnung des inkriminierten Verhaltens des Betroffenen vorliegt.“

Besonders schön/nett (?): Da gibt es eine Videoaufzeichnung und das AG macht sich offenbar keine Gedanken, ob es die nicht ggf. in der Hauptverhandlung vorführt.