Im Moment gibt es einige Entscheidungen des BVerfG zu Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 GG). Nach der „durchgeknallten Staatsanwältin (vgl. dazu den BVerfG, Beschl. v. 29.06.2016 – 1 BvR 2646/15 und Die „dahergelaufene, durchgeknallte, widerwärtige, boshafte, dümmliche, geisteskranke Staatsanwältin“, oder: Was bringt es?) haben wir dann jetzt noch den Polizeibeamten als „Spanner“ im BVerfG, Beschl. v. 29.06.2016 – 1 BvR 2372/15.
Die entschiedene Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen übler Nachrede gem. § 186 StGB. Gegenstand des zugrunde liegenden Strafverfahrens war ein Facebook-Eintrag des (späteren) Angeklagten über das Verhalten eines ihm persönlich bekannten Polizeibeamten, der ihn in der Vergangenheit mehrfach anlasslosen Kontrollen ohne Ergebnis unterzogen hatte. An einem Abend im November 2013 bermerkte der Angeklagte in der Einfahrt gegenüber dem von ihm bewohnten Haus das Polizeifahrzeug dieses Polizeibeamten, der gerade wendete und hierbei das vom Angeklagten bewohnte Gebäude anleuchtete. Der Angeklagte entzog sich der geplanten Kontrolle und bemerkte dasselbe Fahrzeug im späteren Verlauf des Abends nochmals. Dies nahm er zum Anlass, am frühen Morgen des Folgetags folgenden Eintrag auf seiner Facebook-Seite „…“ zu veröffentlichen:
„Da hat der [Name des Polizeibeamten ] nix besseres zu tun, als in K. und Co in irgendwelchen Einfahrten mit Auf- und Abblendlicht zu stehen und in die gegenüberliegenden Häuser in den Hausplatz zu leuchten!!! Der [Vorname ] Spanner [Nachname ] (PI …).“
Der Polizeibeamte stellte Strafantrag. Das AG verurteilte wegen übler Nachrede gemäß § 186 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 EUR. Das OLG Naumburg Jena hat die Sprungrevison verworfen. Die Verfassungsbeschwerde hatte dann Erfolg:
„…. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Die Gerichte verkürzen den Schutzgehalt des Grundrechts hinsichtlich der gegenständlichen Äußerungen bereits insofern, als sie in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Art und Weise annehmen, dass es sich um eine nicht erweislich wahre, ehrverletzende Tatsachenbehauptung im Sinne von § 186 StGB handelt und nicht um ein durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägtes Werturteil und damit um eine Meinung im engeren Sinne (vgl. BVerfGE 61, 1 <7 ff.>; 90, 241 <247 ff.>).
aa) Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtzusammenhang dieser Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>). Auch ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 61, 1 <9>; 90, 241 <248>). Denn anders als bei Meinungen im engeren Sinne, bei denen insbesondere im öffentlichen Meinungskampf im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut, in deren Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz wie den §§ 185 ff. StGB eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zugunsten der freien Rede gilt, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (vgl. BVerfGE 54, 208 <219>; 61, 1 <8 f.>, 90, 241 <248>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind deshalb auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>; 93, 266 <294>).
bb) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Gerichte gehen zu Unrecht vom Vorliegen einer Tatsachenbehauptung aus und verkürzen damit den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit. Der Beschwerdeführer schildert zwar ein tatsächliches Geschehen, nämlich den Wendevorgang des Polizeibeamten. Die Äußerung „Spanner“ ist aber keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Bewertung des Beobachteten, die dem Beweis nicht zugänglich ist.
b) Bereits die falsche Einordnung der Äußerung als Tatsache führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen, da nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht, wenn es zutreffend vom Vorliegen einer von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinung ausgeht, zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
c) Bei der erneuten Befassung wird das Amtsgericht zu berücksichtigen haben, dass es bei der Auslegung der Äußerung maßgeblich auf den Gesamtzusammenhang ankommt. Das Amtsgericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass der Beschwerdeführer sich von dem Polizeibeamten beobachtet fühlte und dies durch die Verwendung des Wortes „Spanner“ zum Ausdruck bringen wollte. Die Deutung der Äußerung dergestalt, dass es dem Polizeibeamten darum gegangen sei, Befriedigung als Zuschauer bei sexuellen Handlungen anderer zu erfahren, liegt angesichts des Gesamtkontextes nicht nahe.“
Also: Auf eine Neues. Aber auch deutlicher Hinweis des BVerfG an den Angeklagten:
„d) Damit ist nicht entschieden, dass die Bezeichnung des Polizeibeamten als „Spanner“ im Ergebnis von der Meinungsfreiheit gedeckt war, und schon gar nicht, dass der Beschwerdeführer den Polizeibeamten künftig beliebig als „Spanner“ bezeichnen könnte. Soweit es sich bei der Äußerung nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern naheliegender Weise um ein Werturteil handeln sollte, läge hierin jedenfalls eine Herabsetzung des Polizeibeamten und damit eine Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die nicht ohne weiteres zulässig ist. Wieweit diese Äußerung durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein kann, entscheidet sich grundsätzlich nach Maßgabe einer Abwägung, die freilich nicht Gegenstand vorliegenden Verfahrens ist, das sich mit der Verbreitung von Tatsachenbehauptungen (Üble Nachrede nach § 186 StGB), nicht aber mit dem Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB befasst.“
Nachtrag: Ein Leser weist mich gerade darauf hiN: „Das nach dem Inhalt des Artikels vom BVerfG aufgehobene OLG Naumburg ist (ausnahmsweise mal) „unschuldig“: Sonneberg gehört zu Thüringen, da war’s dann mal das OLG in Jena, das kassiert wurde. “ Wenn er Recht hat, hat er Recht 🙂 .
Mh, mit welchem Wort sollte man den sonst seinem Frust in Form eines Werturteils Luft machen können? Spanner wurde in meiner Sozialisation in der Tat nicht zwangsläufig aufs sexuelle bezogen, sondern allgemein auf einen … wie nenne ich es jetzt … sagen wir mal „Glotzer“ (man sieht, es fällt mir schwer, ein anderes Wort zu finden). Stalker fällt mir da noch ein, aber der Begriff wird einem dann evtl. auch um die Ohren gehauen, weil der Begriff ja mittlerweile auch in die juristische Praxis Einzug gehalten hat.