Den – „richtigen“ – Wochenauftakt will ich heute mit zwei OWi-Entscheidungen machen, die mir der Kollege Brunow aus Berlin in der vergangenen Woche geschickt hat. Seine „Trefferquote“: 50 : 50, also eine Aufhebung und eine Verwerfung. Anfangen will ich mit der Verwerfung, nämlich mit dem OLG Saarbrücken, Beschl. v. 02.06.2016 – Ss (BS) 8/2016 (7/16 OWi). Es ging um die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Amtsrichters bei einer Messung mit Provida. Das Messsystem lässt ja verschiedene Einsatzmöglichkeiten zu, nämlich Messung aus einem stehenden Fahrzeug, Messung aus einem fahrenden Fahrzeug durch Nachfahren oder Vorwegfahren mit gleichbleibendem Abstand, Weg-Zeit-Messung. Und da stellt sich die Frage, ob im Urteil zusätzlich zur Mitteilung des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes auch mitgeteilt werden muss, welche der verschiedenen Betriebsarten zum Einsatz gekommen ist. Die ganz h.M. in Rechtsprechung und Literatur sagt: Ja. Das OLG Saarbrücken sagt (jetzt): Nein, und gibt vorsorglich Rechtsprechung, aus der man das Gegenteil ableiten könnte, auf:
„c) Der Annahme, dass der Tatrichter durch die Mitteilung des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes den Darlegungsanforderungen vorliegend genügt hat, steht auch nicht entgegen, dass in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich mitgeteilt wird, welche der bei diesem Messgerät möglichen Betriebsarten konkret zum Einsatz gekommen ist, und sich dies auch nicht aus dem Zusammenhang der Darlegungen in dem angefochtenen Urteil entnehmen lässt (zu letzterer Fallgesta-tung vgl. Senatsbeschluss vom 21. März 2016 – Ss (B) 12/2016 [8/16 OWi] -).
Allerdings wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick darauf, dass das Messsystem ProViDa verschiedene Einsatzmöglichkeiten — Messung aus einem stehenden Fahrzeug, Messung aus einem fahrenden Fahrzeug durch Nachfahren oder Vorwegfahren mit gleichbleibendem Abstand, Weg-Zeit-Messung (vgl. Thüring. OLG VRS 111, 211 ff.; Schleswig-Holsteinisches OLG, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 9. Dezember 2009 – 3 Ss OWi 948/09 -, juris; Löhle/Beck, Fehlerquellen bei Geschwindigkeitsmessungen, DAR 1994, 465, 475 ff.; Cierniak, a.a.O., S. 667) — zu-lässt, gefordert, dass der Tatrichter — zusätzlich zur Mitteilung des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes — in den Urteilsgründen auch mitteilen muss, welche der verschiedenen Betriebsarten zum Einsatz gekommen ist (vgl. Thü-ring. OLG, a.a.O. sowie Beschluss vom 22. August 2011 – 1 Ss Rs 68/11 -, juris; Schleswig-Holsteinisches OLG, OLG Hamm, jew. a.a.O.; OLG Bamberg DAR 2012, 154 ff.; DAR 2014, 334 f.; Burhoff, a.a.O., Rn. 2377 m.w.N. aus der Rechtsprechung; a.A. OLG Frankfurt, a.a.O.). Auch ist der Generalstaatsanwaltschaft zuzugeben, dass der Beschluss des Senats vom 27. Dezember 2007 (Ss (B) 88/2007 [98/07]) ebenfalls in diesem Sinne verstanden werden könnte.
Diese Auffassung vermag der Senat jedoch nicht zu teilen; eine eventuell entgegenstehende Rechtsprechung gibt er (vorsorglich) auf. Dabei ist Folgendes zu berück-sichtigen: Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach es für sich allein genommen keinen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils darstellt, wenn sich die Verurteilung eines nicht geständigen Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei Verwendung eines standardisierten Messverfahrens auf die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit stützt (vgl. BGHSt 39, 291 ff.; 43, 277, 282), liegt die Überlegung zugrunde, dass die amtliche Zulassung technischer Messgeräte und -methoden durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt — und mithin auch die Anerkennung eines Messsystems als standardisiertes Messverfahren — ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen — die systemimmanenten Messfehler erfassenden — Toleranzwert gerade den Zweck verfolgt, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls frei-zustellen (vgl. BGHSt 39, 291, 297). Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in den genannten Entscheidungen festgestellt, dass Zweifel an der Funktionstüchtigkeit und der sachgerechten Handhabung von Geschwindigkeitsmessgeräten, deren tatsächliche Grundlagen in den Urteilsfeststellungen keinen Niederschlag gefunden haben, im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht aufgrund einer Sachrüge berücksichtigt werden können (BGHSt 39 291 LS 2; 43, 277, 282). Das bedeutet nach Auffassung des Senats aber, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten, sofern aus dem Urteil keine (erörterungsbedürftigen) Besonderheiten ersichtlich sind, in allen Fällen, in denen der Nachweis des Verkehrsverstoßes auf dem Einsatz standardisierter Messverfahren beruht, die Mitteilung des zum Einsatz gekommenen Messverfahrens und die Höhe des von der gemessenen Geschwindigkeit in Abzug gebrachten Toleranzwertes genügt (vgl. Cierniak, a.a.O., S. 666) und weitergehende Ausführungen zur angewandten Betriebsart nicht erforderlich sind. Dies gilt auch mit Blick auf den in Ansatz zu bringenden Toleranzabzug. Denn es ist insoweit anerkannt, dass zum Ausgleich systemimmanenter Messungenauigkeiten im Regelfall jedenfalls ein Toleranzabzug von 5 Prozent der gemessenen Geschwindigkeit ausreichend ist (vgl. H.-P. Grün/Eichler/D. Schäfer/M. Grün/Böttger in: Burhoff, a.a.O., Rn. 2101 m.w.N.; s.a. Beck/Löhle, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 9. Aufl., S. 151).
Zu einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG sieht sich der Senat nicht veranlasst, da er sich seiner Auffassung nach in Übereinstimmung mit der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs befindet (vgl. BGHSt 43, 277, 282).“
Ich sehe es nach wie vor anders – so wie die h.M. Schön auch der „Trick“ mit der Nichtvorlage an den BGH, denn die Vertreter der Gegenauffassung sehen sich ja auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH. So kann man die Vorlagepflicht abschaffen.
Interessanter Artikel, danke fürs Teilen!
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