AG Passau: Zwar „Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik“, aber nicht „Mutti“ als Strafzumessungskriterium

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Ich hatte gestern über das AG Passau-Urt. zur Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen Einschleusens von Ausländern berichtet (vgl. hier Strafzumessung modern/aktuell (?): Strafzumessungskriterium A.Merkel), und zwar auf der Grundlage eines Presseberichtes. Inzwischen liegt mir der Volltext zu einer Entscheidung des AG Passau betreffend Einschleusen von Ausländern vor, es ist das AG Passau, Urt. v. 04.11.2015 – 4 Ls 14 Js 10843/15 III. Im Bericht Richter straft Schleuser wegen Regierungspolitik milde ist allerdings die Rede von einem Urteil v. 05.11.2015. Ich gehe aber mal davon aus, dass das Urteil, das ich übersandt bekomme habe – ein Aktenzeichen hatte ich bei meiner Anfrage nicht -, dasjenige ist, auf das sich der Pressebericht bezogen hat. Auf das Urteil komme ich dann daher hier – wie angekündigt – zurück.

Das AG hat zur Strafzumessung u.a. mit folgenden allgemeinen Erwägungen ausgeführt:

Darüber hinaus ist zu sehen, dass die Tat nur vor dem Hintergrund der jetzigen Flüchtlingskrise möglich war, da es sich bei den geschleusten Personen bereits um in der EU befindliche Kriegsflüchtlinge gehandelt hat,

Nur aufgrund des Versagens der europäischen Flüchtlingspolitik, die eine europaweite Verteilung der Flüchtlinge bisher nicht zustande gebracht hat, ist die verfahrensgegenständliche Tat möglich geworden.

Dies lässt zwar die Strafbarkeit des Angeklagten nicht entfallen, ist jedoch bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Negativ kann hingegen die Anzahl der geschleusten Personen sowie das von dem Angeklagten für die Flüchtlinge eingegangene erhebliche abstrakte Risiko gewertet werden, zu beachten ist jedoch hierbei, dass die Geschleusten diese Transportbedingungen freiwillig hingenommen haben.

Betreffend der Anzahl der geschleusten Personen sind bei der Strafzumessung auch die inzwischen veränderten Verhältnisse hinsichtlich des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland zu beachten.

Insoweit ist amtsbekannt, dass mittlerweile täglich mehrere tausend Flüchtlinge im Großraum Passau nach Deutschland gelangen, dies unter Beteiligung österreichischer und deutscher Behörden, womit sich die Anzahl der hier geschleusten 26 Personen unter Berücksichtigung des Schutzzweckes des Aufenthaltsgesetztes (§ 1 AufenthG) erheblich relativiert.

Des Weiteren hat das Gericht innerhalb des Strafrahmens des § 96 ll Nr 5 AufenthG zu bewerten, dass auch die zuletzt zeitweilig an den hiesigen Grenzübergängen von den österreichischen und deutschen Behörden geduldeten Zustände für die Flüchtlinge gesundheitsbedrohlich waren, nämlich deren stundenlanges Warten in zum Teil sommerlicher Kleidung bei Temperaturen unter 10 Grad, so dass sich auch insoweit der Schuldgehalt hinsichtlich des Schutzes der Unversehrtheit der Geschleusten zumindest relativiert.

Insgesamt erscheint daher im vorliegenden Falle eine Freiheitsstrafe von 2 Jahr erforderlich aber auch ausreichend, dies auch unter Würdigung der vom Schöffengericht sonst ausgesprochenen Freiheitsstrafen in Strafverfahren mit vergleichbarem Schuldgehalt.

Verwiesen wird insoweit u. a. auf Straftaten nach § 224 StGB und die dort bei identischem Strafrahmen in der Regel bei Ersttätern ausgeworfenen Freiheitsstrafen.“

Liest sich dann m.E. doch etwas anders als in dem Welt-Bericht: „Richter straft Schleuser wegen Regierungspolitik milde„ Abgesehen davon, dass dort von einem Urteil vom 05.11.2015 die Rede ist, fehlt in dem mir vorliegenden Urteil die Passage, die es nach der Welt am Sonntag-Artikel an sich haben müsste, wenn dort ausgeführt wird:

Das Strafmaß wurde nicht voll ausgeschöpft. Der Richter begründete dies so: „Angesichts der Zustände an den Grenzen ist die Rechtsordnung von der deutschen Politik ausgesetzt, deshalb wird keine unbedingte Haftstrafe erteilt. Asylsuchende werden von der deutschen Bundeskanzlerin eingeladen.“

Also doch nicht Strafzumessung modern/aktuell (?): Strafzumessungskriterium A.Merkel, jedenfalls nicht ex pressiv verbis. Für mich im Übrigen mal wieder der Beweis, dass man/ich lieber nicht auf der Grundalge zu Presseberichten bloggt/berichtet.

2 Gedanken zu „AG Passau: Zwar „Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik“, aber nicht „Mutti“ als Strafzumessungskriterium

  1. RA Ullrich

    Ich würde jetzt aufgrund der schriftlichen Urteilsgründe aber auch nicht ausschließen wollen, dass eine derartige Äußerung in der mündlichen Urteilsbegründung gefallen ist. Es gibt so einige Richter, gerade am Amtsgericht, die die mündlichen Urteilsgründe gelegentlich dazu nutzen, ordentlich vom Leder zu ziehen und endlich das auszusprechen, was sie sich wahrscheinlich schon während der ganzen Verhandlung zur Vermeidung eines Befangenheitsantrags verkniffen haben. Die schriftlichen Urteilsgründe sind dann gerne wieder etwas formaljuristischer und weniger provokativ.

  2. Detlef Burhoff

    In der Tat, das ist nicht auszuschließen.
    Aber: Ich weiß jetzt nicht, ob das in der WamS angesprochene Urteil vom 05.11.2015 und das mir vom AG Passau übersandte vom 04.11.2015 dieselben Entscheidungen sind und in der WamS (nur) ein Datumsfehler vorliegt. Ich gehe nämlich davon aus, dass das AG Passau nicht jeden Tag solche Entscheidungen macht. Mich hat bei dem Welt-Bericht auch erstaunt, dass am 08.11.2015 der WamS schon das Urteil vom 05.11.2015 vorgelegen haben soll. Das halte ich bei den Abläufen in der Justiz für unmöglich. 05.11.2015 war Donnerstag und am 08.11.20155 soll das schriftliche Urteil schon vorliegen? M.E. nie, oder?

    Irgendetwas passt da nicht: Entweder hat die WamS das Urteil nicht und schummelt da ein wenig aus der mündlichen Urteilsbegründung oder das AG Passau hat sich „vertan“. Vielleicht sollte ich mal die WamS anschreiben.

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