Der OLG Rostock, Beschl. v. 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 zur (zulässigen) Auswertung der Geschwindigkeitsmessung durch einen privaten Dienstleister schlägt Wellen. Es ist bereits in Blogs darüber berichtet worden und ich bin inzwischen von so vielen Lesern meines Blogs auf diesen Beschluss hingewiesen worden, dass ich dann mal eine Planänderung vornehme. An sich hatte ich den Beschluss erst für morgen vorgesehen aber. Aber nun dann jetzt schon.
Aufgehoben hat das OLG Rostock ein Urteil des AG Parchim v. 01.04.2015, das ein Beweisverwertungsverbot angenommen hatte, weil die Verwaltungsbehörde die Auswertung von Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung, deren Ergebnis dann schließlich zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens gegen den Fahrer wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geführt hatte, in vollem Umfang in die Hände eines privaten Unternehmen gegeben hatte (vgl. dazu auch – ein anderes – AG Parchim, Urt. v. 01.04.2015 – 5 OWi 2215/14 und dazu Ring frei II: AG Parchim: Der „Landkreis..“ hat „…. zu vertuschen versucht…“. Der Amstrichter hatte frei gesprochen und dabei die Verwaltungsbehörde nicht geschont. Die Staatsanwaltschaft ist in die Rechtsbeschwerde gegangen. Das OLG hat aufgehoben und zwar auf die Aufklärunsgrüge der Staatsanwaltschaft hin.
Da der Beschluss schon an vielen Stellen veröffentlicht ist, erspare ich mir an dieser Stelle Zitate und beschränke mich zunächst auf die Leitsätze des OLG:
1. Die vertraglich vereinbarte Auswertung der mit standardisierten Messverfahren bei behördlichen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen ordnungsgemäß erhobenen und bei der Verwaltungsbehörde verbliebenen Rohmessdaten durch einen privaten Dienstleister ist zulässig und führt für sich genommenen zu keinem Beweisverwertungsverbot im weiteren Bußgeldverfahren.
2. Hegt der Tatrichter Zweifel an einer den Vorgaben des Geräteherstellers und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt im Zuge der Zulassung des standardisierten Messverfahrens entsprechenden ordnungsgemäßen Auswertung der Messdaten durch den privaten Dienstleister, gebietet es die richterliche Aufklärungspflicht, die Richtigkeit des Auswertungsergebnisses durch andere sachverständige Stellen überprüfen zu lassen.
Und zu dem Beschluss dann einige erste Anmerkungen/Gedanken:
- Das OLG hat durch den Einzelrichter entschieden,weil „das Verfahren keinen Anlass [bietet], zu Fragen der richterlichen Sachaufklärungspflicht oder zur Zulässigkeit der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Aufklärungsrüge zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung grundsätzliche Ausführungen zu machen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG). Alle damit im Zusammenhang stehenden Rechtsprobleme sind durch die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung vielfach und ausreichend geklärt.“ Und was ist mit der Frage des Beweisverwertungsverbotes? Ach so, ja die Frage hat man elegant damit „umschifft“, dass der Einzelrichter darauf die Entscheidung nicht gestützt hat, sondern zu den Fragen nur in einer „Segelanweisung“ Stellung genommen hat.
- Und damit hat der Einzelrichter dann gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Damit ist dann nämlich auch die Frage der Divergenzvorlage auf jeden Fall vom Tisch: „Eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof war aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 12.10.2015 zutreffend aufgeführten Gründen nicht veranlasst, zumal über die Frage eines Beweisverwertungsverbots vom Senats derzeit nicht entschieden werden musste, weil bereits die Aufklärungsrüge durchgreift.“ Und die Frage hätte m.E. im Raum gestanden, da u.a. das OLG Naumburg u.a. auf die „Erlasswidrigkeit“ (s)ein Beweisverwertungsverbot gestützt hatte (vgl. vgl. dazu auch OLG Naumburg, Beschl. v.07.05.2012 – 2 Ss Bz 25/12 und Hilfe von Privaten – Beweisverwertungsverbot für Messergebnisse im Straßenverkehr). Auch andere OLG haben das m.E. anders gesehen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.07.2003 – 2 Ss Owi 388/02).
- Ob die Auffassung des OLG so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Das OLG argumentiert zum „Erlass“: „Darauf, ob die Verwaltungsbehörde „erlasswidrig“ handelte, als sie die Datenaufbereitung und -auswertung einem privaten Dienstleister übertrug, kommt es entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht an. Selbst wenn diese Einschätzung zutreffen sollte, würde dies für sich genommen nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen, weil dieser Erlass, der allein dem öffentlichen Interesse der Organisation des Messvorgangs und seiner Auswertung dient, ausschließlich im Binnenverhältnis zwischen Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde Bindungswirkung entfaltet, nicht jedoch eine mit der Begründung subjektiver Rechte verbundene Außenwirkung, auf die sich ein Betroffener im Falle der Nichtbeachtung zu seinen Gunsten berufen könnte.“ Dazu würde man gerne man was „von ganz oben hören“, aber: Divergenzvorlage haben wir ja nicht.
- Mich persönlich stört dann das „Abwatschen“ des Amtsrichters in der Begründung, warum man an eine andere Abteilung zurückverweist: „Der Senat hat es angesichts der auch im schriftlichen Urteil (dort insbesondere Seite 4) geäußerten harschen und in den Vorwurf bewusst rechtsstaatswidrigen Verhaltens gipfelnden Kritik des Tatrichters an den verwaltungsbehördlichen Verfahrens- und Verhaltensweisen, die auch über die Presse gezielt an die Öffentlichkeit getragen wurden, für erforderlich gehalten, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des nunmehr örtlich zuständigen Amtsgerichts Ludwigslust – Zweigstelle Parchim – zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).“ Nun, wenn ich die Schilderung des Verfahrensgangs und des Verhaltens des Verwaltungsbehörde so lese, dann habe ich schon den Eindruck, dass die Verwaltungsbehörde versucht hat, das AG zu „ver……schen“. Und da soll er dann fröhlich bleiben? Wie hatte mir dann auch ein „richterlicher Hinweisgeber“ geschrieben: „So eine Klugscheißerei und dann noch auf den zuvor von der Behörde nach Strich und Faden verarschten Richter draufhauen, das ist unglaublich. Was lernt man daraus? Lieber 47 statt Freispruch…..,
- Schließlich: Man muss sich als Verteidiger ja immer auch fragen, welche Lehren man aus solchen Entscheidungen zieht. Dem AG sind durch das OLG (weitere) Kontrollaufgaben übertragen/aufgegeben worden: „Ob die Tätigkeit der für derartige Aufgaben herangezogenen Sachverständigen, deren Sachkunde und Verfahrensweisen im konkreten Fall den jeweiligen wissenschaftlichen und technischen Anforderungen genügt, und ob deren Feststellungen und Bewertungen als richtig erscheinen und im weiteren Verfahren verwertbar sind, unterliegt der eigenverantwortlichen Prüfung und Kontrolle des Gerichts ….“ und „Wird die Auswertung von Rohdaten eines Verkehrsüberwachungsvorgangs – wie vorliegend – einem privaten Dienstleister überlassen, wird sich das Gericht und zuvor die Verfolgungsbehörde deshalb im Zweifelsfall davon zu überzeugen haben, dass diese Tätigkeit dort von ausreichend dafür geschulten und regelmäßig hinsichtlich ihrer ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung überwachten Mitarbeitern unter Einhaltung der dafür vorgeschriebenen Verfahrensweisen und mittels der im Zuge der Zulassung eines standardisierten Messverfahrens von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt genehmigten Software erfolgt.“ Damit hat der Verteidiger in solchen Fällen m.E. gar keine andere Wahl als durch Beweisanträge zu hinterfragen, ob diese Kontrollen erfolgt sind. Und wenn die Beweisanträge kommen, dann bin ich ja mal gespannt, wie die OLG reagieren, wenn die Amtsrichter die ablehnen und das in der Rechtsbeschwerde dann gerügt wird. Dann war im Zweifel die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Und damit schließt sich dann der Kreis.
Alles in allem: Unschön.
Bei Ihnen gibt es diese Woche aber reichlich harten Tobak zu lesen. Da wird einem ja ganz anders.
Die juristische Welt ist kein Sanatorium 🙂
Das OLG hat dennoch Recht.
Hat das OLG mittlerweile nach Ihrer Kenntnis eigentlich etwas zur AG Rostock-Entscheidung von 2013 gesagt, wonach Poliscan Speed mangels Nachprüfbarkeit (weder Hersteller noch PTB geben ja detaillierte Prüfunterlagen für SV heraus) kein standardisiertes Messverfahren sein soll?
Die StA ist ja damals wohl in die Rechtsbeschwerde gegangen.