Auch „kleinere“ Wirtschaftsstraftaten erfordern haufig einen größeren Aufwand des Tatrichters bei Aufklärung und Feststellungen. Das gilt vor allem auch für das echte Unterlassungsdelikt des § 266a StGB mit seiner Sozialrechtsakzessorietät. Zudem treten gerade bei diesem Straftatbestand in der Praxis gehäuft „Strohmann“-Konstellation auf. Mit der Frage der Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei diesem Delikt befasst sich der OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.05.2015 – 1 Ss 14/15:
„1. Ein erster Rechtsfehler liegt vor, weil – zumindest bei den Taten Nr. 1 bis Nr. 11 (Einzelfirma) – ausreichende Feststellungen dazu fehlen, ob der Angeklagte überhaupt als Arbeitgeber gemäß § 28 e Abs. 1 SGB IV zur Abführung der Beiträge verpflichtet war. Wer Arbeitgeber im Sinne von § 266a StGB ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das seinerseits auf das Dienstvertragsrecht abstellt. Arbeitgeber ist danach derjenige, demgegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Das Bestehen eines solchen Beschäftigungsverhältnisses bestimmt sich nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalles, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind (BGH, NStZ-RR 2014, 246, 247 f.). An einer solchen Gesamtbetrachtung fehlt es. Die erforderliche Gesamtbetrachtung wird insbesondere – deshalb kommt insoweit derzeit auch kein Freispruch in Betracht – nicht dadurch ersetzt. dass das Unternehmen nach den Urteilsfeststellungen allein von dem Zeugen Y. geführt wurde. Denn das Amtsgericht legt nicht näher dar, auf welche konkreten Feststellungen es diese Bewertung stützt. Sollten die Ausführungen des Amtsgerichts dahingehend zu verstehen sein, dass der Zeuge Y. das operative Geschäft betrieben hat, würde das der Einordnung des Angeklagten als Arbeitgeber jedenfalls nicht zwingend entgegenstehen, wenn er beispielsweise die schriftlichen Arbeitsverträge unterzeichnet sowie im Verkehr mit den Behörden und dem Steuerberater aufgetreten wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 15.03.2012, 5 StR 288/11, juris. Rn. 15 = NJW 2012, 2051). Dies wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Gericht aufzuklären haben.
2. Ein weiterer, gegenüber sämtlichen Straftaten durchgreifender Rechtsfehler des angefochtenen Urteils besteht darin, dass es das Amtsgericht unterlassen hat, für jeden Fälligkeitszeitpunkt (§ 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV) gesondert Feststellungen zu der Anzahl der Arbeitnehmer, deren Beschäftigungszeiten, der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen zu treffen. Solche Feststellungen sind regelmäßig nötig (BGH. Urteil vom 20.03.1996, 2 StR 4/96, juris, Rn. 4; BGH, Beschluss vom 28_02.2007, 5 StR 544/06, juris; BGH, Urteil vom 11.08.2010, 1 StR 199/10, juris, Rn. 13), fehlen hier jedoch.
Die bloße Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkasse sowie der Beitragsmonate genügt demgegenüber nur dann, wenn das Urteil auf Beitragsnachweisen (§ 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV) beruht (BGH, Beschluss vom 07.10.2010, 1 StR 424/10, juris NStZ 2011, 161). Ob dem Urteil solche Beitragsnachweise. also Berechnungen der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber, zugrunde liegen, ergibt sich aus den Feststellungen ebenfalls nicht.
3. Ein dritter Rechtsfehler folgt daraus, dass sich das angefochtene Urteil, obgleich § 266 a StGB ein echtes Unterlassungsdelikt ist (vgl. hierzu: Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266 a Rn. 41), nicht damit auseinandersetzt, ob den handlungspflichtigen Beitragsschuldnern die Erfüllung der Beitragspflicht möglich und zumutbar war. Das Amtsgericht hätte sich unter diesem Gesichtspunkt mit der Zahlungsfähigkeit der Beitragsschuldner auseinandersetzen müssen, weil die finanzielle Situation beider Unternehmen nach den Feststellungen bereits am 17. Januar 2012 (erfolglose Pfändung des Finanzamts in das Vermögen der GmbH), also vor Fälligkeit sämtlicher Beiträge, schlecht gewesen sein soll.
Die Punkte sollte man sich als Tatrichter aber auch als Verteidiger merken.
Die „Beitragssätze der einzelnen Krankenkassen“ sollten jedenfalls für den Zeitraum 2009 bis 2014 entgegen dem OLG nicht mehr zu den erforderlichen Feststellungen gehören. Die vom OLG zitierten Entscheidungen des BGH betreffen Tatzeiträume bis einschließlich 2008, bis dahin haben die Kassen die Krankenkassensätze noch selbst per Satzung festgelegt. Seit 2009 wird der Beitragssatz in der Krankenversicherung durch Rechtsverordnung, seit 2011 in §§ 241, 243 SGB V geregelt. Erst seit 2015 legen die Kassen (nur) den Zusatzbeitrag wieder selbst fest, der allgemeine Beitrag ist nach wie vor gesetzlich geregelt.
D.h. ebenso wie bei Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ergibt sich der Beitragssatz der Krankenkassen von 2009 bis 2014 durch Gesetzesanwendung, die das Revisionsgericht selbst vornehmen kann.
Das folgt auch aus BGH 1 StR 424/10, wo der BGH (eben nur) die Feststellung des Krankenkassen-Beitragssatzes verlangt hat : „….weil sich die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkasse sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung errechnet…“
Hallo, bitte nich (immer) die Email-Adressen ändern. Dann muss ich immer wieder neu frei schalten 🙂