Heftig umstritten ist in Strafverfahren häufig die Frage der Akteneinsicht des Verletzten/Nebenklägers. Verteidiger tendieren – mit guten Gründen – dahin, dies eher restriktiv zu sehen, während „Opferanwälte“ – aus ihrer Sicht verständlich eher für ein „weites Akteneinsichtsrecht“ des Verletzten/Nebenklägers plädieren. Zu den Fragen hatte im vergangegen Jahr das OLG hamburg zwei Entscheidungen gemacht, die große Beachtung gefunden haben. Die Tendenz des OLG war m.E. eher restriktiv (vgl. Beschl. v. 24.10.2014 — 1 Ws 110/14 und v. 24.11. 2014 — 1 Ws 120/14). Und die Tendenz setzt das OLG im OLG Hamburg, Beschl. v. 24.07.2015 – 1 Ws 88/15 – fort:
„aa) Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist (vgl. nur BT-Drucks. 10/5305, S. 18). ….. Eine diesen Maßgaben verpflichtete Entscheidung führt hier wegen einer Reduzierung des gerichtlichen Ermessens auf Null zu einer weitgehenden Versagung der begehrten Akteneinsicht. Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt.
bb) Die Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbar tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien wie Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann (vgl. nur Sander, StV 2000, 45, 46; ders. in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 261 Rn. 83d m.w.N.; Schmandt, StraFo 2010, 446, 448 m.w.N.). Dieselbe Verfahrenskonstellation ist allerdings auch gegeben, wenn der Angeklagte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 — 4 StR 360/12, NStZ, 2013, 180, 181; ferner Sander, a.a.O.; Schmandt, a.a.O., m.w.N.).
cc) So liegt es hier zumindest betreffend das — den mit Blick auf die Spontanäußerungen des Angeklagten (vgl. BI. 3, 5, 6 und 55 d.A.) sowie angesichts von Zeugenaussagen (vgl. nur etwa die Aussage des Zeugen I , BI. 128 ff. d.A.) sowie durch das beim Angeklagten sichergestellte Tatwerkzeug hochwahrscheinlich vorgenommenen versuchten Tötungshandlungen vorangegangene — Tatvorgeschehen. Hierzu gibt es über die Angaben des Beschwerdeführers hinaus keine weiteren Zeugenaussagen oder sonstigen Beweismittel. Der Beschwerdeführer nimmt jeden Anlass für den Angeklagten zu einem körperlichen Übergriff in Abrede. Einen solchen legen allerdings die durch den Angeklagten abgesetzten Notrufe (vgl. BI. 32 d.A.) sowie Zeugenaussagen (vgl. etwa BI. 112 d.A.) und das dokumentierte Verletzungsbild beim Angeklagten nahe. Diesem kommt für die vom Tatgericht zu würdigenden etwaigen Rechtfertigungsgründe aber auch für die Strafbemessung (vgl. § 213 StGB) maßgebliche Bedeutung zu.“
M.E zutreffend.
Eine tendenziell restriktive Herangehensweise an die Akteneinsicht nach § 406e StPO, vor allem in frühen Stadien des Verfahrens, die mit Augenmaß den jeweils konkreten Fall sensibel untersucht, ist sehr zu begrüßen.
Beim schweigenden oder auch simpel ohne widersprechenden Sachvortrag bestreitenden Beschuldigten finde ich die Versagung eher kühn, es sei denn (wie hier) Indizien oder Beweismittel bestätigen den Vorwurf nicht. Zu groß erscheint mir beim Schweigen oder bloßen Bestreiten das Risiko von Nebelkerzen und einer im Spannungsfeld von § 376 StPO zu leichtfertigen Beendigung von Ermittlungen, wenn der sachkundige und wahrheitsverpflichtete Verletzte die Ermittlungen nicht unterstützen kann.
Das sehe ich anders: Was sollte sich dadurch ändern, wenn der Beschuldigte schweigt oder bestreitet? Es geht doch darum herauszufinden, ob die Aussage des Nebenklägers dem tatsächlichen Geschehen entspricht. Dies pauschal zu unterstellen, ginge an der Sache vorbei.
Es gibt zahlreiche Konstellationen, in denen ein Nebenkläger als (vermeintliches) Opfer die Unwahrheit sagen könnte. Dem Nebenkläger würde so außerdem zur Kenntnis gelangen, wenn der Beschuldige „sein Schweigen bricht“. Er könnte seine Aussage dann dem Ergebnis der Ermittlungen anpassen und Erklärungen für den von einem Rechtsmediziner u.U. abweichend festgestellten Tathergang liefern. Dadurch würde der Untersuchungszweck offenkundig gefährdet.