So, Urlaub ist zu Ende, die Themen in eigener Sache (vgl. u.a. hier In eigener Sache: Bezahlmodell bei Burhoff-Online? und Burhoff ist „feige“ und betreibt „öffentliche Zensur“ – wirklich ?) abgearbeitet, jetzt geht es normal weiter. Und dann dann gleich mit folgendem Obersatz: Eine „versteckter“ Entbindungsantrag ist nicht nur nicht rechtzeitig, sondern arglistig. Das ist jedenfalls das Fazit aus dem OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2015 – 21 Ss OWi 45/15 [Z]. Folge: Wenn der Antrag übersehen/nicht beschieden wird, ist eine keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und führt nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG.
Entschieden hat das OLG Rostock das in einem Fall, in dem der Verteidiger einen folgendermaßen gestalteten Schriftsatz nur 53 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung vorgelegt hatte: „Er umfasst insgesamt 5 eng beschriebene (rund 50 Zeilen/Blatt) Seiten. Zwar enthält er eingangs unter „eilt“ die Bitte um sofortige Vorlage an den Abteilungsrichter und einen Hinweis auf die Terminsstunde um 11:30 Uhr desselben Tages; schon hier ist allerdings auffällig, dass – im Unterschied zu anderen Stellen des Schriftsatzes – kein Fettdruck, Vergrößerung o.ä. Verwendung findet. Sodann beginnt das Schreiben – in Fettdruck hervorgehoben – mit einer Beschwerdeeinlegung gegen die nicht erfolgte Terminsverlegung sowie dem Antrag auf umgehende Vorlage der Verfahrensakte an das Beschwerdegericht, und führt hierzu näher aus. In der zweiten Hälfte der 4. Seite münden die Ausführungen allmählich in die Besorgnis der Befangenheit des zuständigen Richters und einen entsprechenden, abgesetzten und durch Fettdruck hervorgehobenen Antrag. Im Zuge dieser Ausführungen, ohne dass dies an dieser Stelle notwendig oder zu erwarten gewesen wäre, ohne jedweden Absatz oder Hervorhebung im Text, wird erstmalig – in etwa 2 1/2 Zeilen – und eher beiläufig erwähnt, dass der Betroffene am Hauptverhandlungstermin berufsbedingt ortsabwesend sei, an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen wolle, einräume, der verantwortliche Fahrzeugführer zu sein (nachdem er zuvor seine Fahrereigenschaft vehement bestritten und sogar die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens beantragt hatte) und beantrage, ohne ihn in der Sache zu verhandeln.“
Nach Auffassung des OLG führt die Kombination „kurze Frist“ und „Aufmachung des Schriftsatzes“ zur Annahme „arglistigen Verteidigungsverhaltens“:
„Ein Entbindungsantrag ist so rechtzeitig und in einer solchen Aufmachung anzubringen, dass das Gericht – angelehnt an den Zugang von Willenserklärungen im Zivilrecht – unter gewöhnlichen Umständen bei üblichem Geschäftsgang und zumutbarer Sorgfalt ihn als solchen erkennen, von ihm Kenntnis nehmen kann und muss und ihn deshalb einer Bearbeitung zuzuführen hat.
bb) Das ist hier nicht geschehen. Vorliegend geht der Senat angesichts der Zusendung des Schriftsatzes am Terminstag per Fax erst 53 Minuten vor dem Termin, der optischen Hervorhebung sowohl der Beschwerdeeinlegung als auch der Richterablehnung, nicht aber des – zudem verklausulierten – Entbindungsantrages, der gewählten Formulierungen sowie des Aufbaus und des hierdurch erzielten optischen Eindrucks davon aus, dem Tatrichter habe die Kenntnisnahme vom Entbindungsantrag des Betroffenen gerade nicht ermöglicht, sondern im Gegenteil – erfolgreich – gezielt erschwert bzw. unmöglich gemacht werden sollen. Der Entbindungsantrag wird in keinster Weise optisch hervorgehoben, gleichsam versteckt in rund 2 1/2 Zeilen eines fünfseitigen, eng beschriebenen Schriftsatzes und eingebettet in Ausführungen zur angeblichen Befangenheit des Vorsitzenden. Es fehlt auch an einer konkreten Antragstellung auf Entbindung; verwendet werden nur die eher schwammigen Formulierungen „ … der Betroffene … will an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen …, räumt ein, der verantwortliche Fahrzeugführer zu sein und beantragt, ohne ihn in der Sache zu verhandeln …Es war dem Tatrichter in vorliegender Sache kaum möglich, jedenfalls aber nicht zuzumuten, den verklausulierten und versteckten Antrag in dem umfangreichen Schriftsatz überhaupt zu finden, zumindest nicht in der kurzen Zeitspanne zwischen Eingang des Schriftsatzes bis zum anberaumten Termin, allzumal bei einer auf 11:30 Uhr anberaumten Hauptverhandlung üblicherweise auch zuvor schon verhandelt wird und der Richter hiermit beschäftigt ist.
Nach alledem liegt für den Senat ein Fall arglistigen Verteidigungsverhaltens vor, bei dem ein Entbindungsantrag ohne ersichtlichen Anlass erst ganz kurz vor der Terminsstunde in unlauterer Art und Weise angebracht wird in der (begründeten) Erwartung, dieser werde deshalb dem Tatrichter nicht rechtzeitig vorgelegt werden oder ihm nicht auffallen, um dann auf diesem Versehen eine Verfahrensbeanstandung aufzubauen. Das kann hier nicht zum Erfolg führen. Insoweit unterscheidet sich diese Sache einerseits von der von der Verteidigung vorgelegten Entscheidung im Verfahren 2 Ss (OWi) 50/11I 63/11 (Senatsbeschluss vom 27.04.2011), in dem immerhin frühzeitig und mehrfach eine als Entpflichtungsantrag auszulegende Erklärung abgegeben worden ist, andererseits ist hier wie dort ein verklausuliertes, auf Irreführung der Gerichte angelegtes Verteidigungsverhalten zu konstatieren.“
Na ja, überzeugt mich nicht so ganz. Warum es dem Amtsrichter nicht möglich sein soll, den Antrag zu finden, erschließt sich mir nicht. Erst recht nicht, warum es ihm nicht „zuzumuten“ sein soll, zumal der Amtsrichter nach Aufruf ja eh mindestens 15 Minuten warten muss, bis er den Einspruch verwerfen kann. In der Zeit wird er den Antrag dann doch wohl lesen können. Zudem besteht ein gewisser Widerspruch zur h.M., wonach ein Entbindungsantrag auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden kann. Dann ist er allerdings „offen“.
Wer will, dass Anträge beschieden werden, kann diese doch entsprechend kennzeichnen. Wo ist das Problem?
@ Purist:
Wie muss man denn einen Antrag Ihrer Ansicht nach „entsprechend kennzeichnen“?
Ist das Wort „Antrag“ zu verwenden? Oder genügt auch ein „ich beantrage“?
Ist Fettdruck genügend oder auch eine Einrückung erforderlich?
@n.n.:
Alle von Ihnen genannten Varianten sind möglich und gebräuchlich, und keine von ihnen hat der obige Verteidiger für den Entbindungsantrag gewählt. Erschwerend kam hinzu, dass er diverse andere Anträge in seinen Schriftsatz gepackt hat, die alle hervorgehoben waren.
Da fällt mir ein alter Spruch aus Studienzeiten ein: „Hättest du zu Ende gelesen, wärst du dabei gewesen“
@ egal:
Tja, bloß dass diesmal der Anwalt auf die Nase gefallen ist. In Zukunft wird sich sicherlich jeder zweimal überlegen, ob er Anträge mit Schriftgröße 10 ins Kleingedruckte setzt oder doch unter Hervorhebung deutlich markiert.
Na ja, man könnte ja auch mal die Frage stellen, ob die Gerichte nicht vielleicht doch verpflichtet sind, Schriftsätze, die eingegangen sind, auch zu lesen. Und zwar vollständig. Aber: Mit „Arglist“ schlägt man alles tot.
(vgl. dazu auch Müssen Strafrichter keine Schriftsätze mehr lesen? http://www.jurablogs.com/2015/05/26/muessen-strafrichter-keine-schriftsaetze-mehr-lesen).
Der am Amtsgericht tätige Richter hat unsbesondere am Sitzungstag nur begrenzt Zeit zur Verfügung. Bei strammer Terminierung, ggf. inklusive unerwarteter Haftbefehlsverkündung, kann ich mich nicht ohne Weiteres fünf Seiten Schriftsatz widmen. Mich wundert es nicht, dass derart versteckte Anträge übersehen werden können. Das sollte selbstverständlich nicht geschehen; wer gleichwohl sein Anliegen unübersichtlich vorbringt, muss damit rechnen, dass es übersehen wird. Richter sind auch nur Menschen.
das stimmt, aber er hat 15 Minuten unerwartet Zeit, die Spanne muss er nämlich einhalten, bevor er den Einspruch verwirft.
@Purist:
„der Betroffene (…) beantragt, ohne ihn in der Sache zu verhandeln“
Dass der Vorsitzende 15 Minuten Zeit gehabt hätte, ist zunächst nur eine Vermutung. Wir wissen weder wann der Schriftsatz von der Geschäftsstelle vorgelegt wurde, noch wann die Sache aufgerufen wurde. Gut möglich, dass die vorherige Sache erst um 12.30 Uhr zu Ende war, draußen 10 Beteiligte der in Verzug geratenen Folgetermine warteten und der Schriftsatz ebenfalls erst um 12.30 Uhr vorgelegt wurde. Das ist natürlich ebenfalls Spekulation. Man muß aber festhalten, dass man sich selbst einen Gefallen tut, wenn man sein Rechtsschutzziel klar und deutlich vorbringt. Das war hier ersichtlich nicht der Fall. Es ging gerde NICHT um rechtliches Gehör, sondern darum, dem Gericht einen Fehler unlauter unterzujubeln. Das hat – leider – gut geklappt. Den gleichen, provozierten Fehler nun geltend zu machen, ist widersprüchlich und arglistig. Das OLG hat völlig richtig entschieden.
es geht sehr wohl um rechtliches Gehör, denn gelesen werden ist der Schriftsatz wohl nicht, da sonst der Antrag (hoffentlich) erkannt worden wäre. Aber lassen wir es. Das „Arglistargument“ ist immer gut.
@ Detlef Burhoff, 27.05., 16:28
Treiben wir die Sache mal auf die Spitze: Wäre das Gericht in der besagten Zeit auch verpflichtet, einen 100-seitigen typischen Querulantenschriftsatz zu lesen und jeden der zig dort aufgeführten „Anträge“ zu bescheiden?
Vielleicht sollte man OWis erstinstanzlich beim OLG verhandeln, da können dann immerhin drei Richter je 33 Seiten in 15 Minuten lesen.
Sie werden das schon schaffen – sonst hilft dann das OLG mit „Arglist“.
Mit dem „Basta!“-Argument kommt man zu dem gleichen Ergebnis. Sinnvolle Gespräche sind jedenfalls nicht mehr möglich.
Ich lese diesen Blog zur unkomplizierten Fortbildung. Und so manche Kritik an der Richterschaft ist mit Sicherheit berechtigt. Teilweise driftet das Ganze jedoch in polemisches Richter-Gebashe ab. Man merkt, wer Praktiker ist und wer fern ab aus dem entrückten Elfenbeinturm moralisiert.
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