Archiv für den Monat: Oktober 2014

Neues aus Berlin: Endlich Änderung bei der Berufungsverwerfung und Änderungen im RVG

© Marcito - Fotolia.com

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Im Gesetzgebungsverfahren befindet sich inzwischen der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe“ (vgl. BR-Drucks. 491/14). Er enthält zwei für die Praxis wesentliche Gesetzesänderungen, und zwar:

Der Gesetzesentwurf soll u.a den Rahmenbeschluss (Rb)2009/299/JI zu Abwesenheitsentscheidungen und vor allem die Rechtsprechung des EGMR im Urt. v. 8. 11. 2012 endlich umsetzen. § 329 StPO soll im Hinblick auf das Urteil des EGMR dahingehend geändert werden, dass eine Verwerfung der Berufung des Angeklagten nicht mehr erfolgen darf, wenn statt des Angeklagten ein entsprechend bevollmächtigter und vertretungsbereiter Verteidiger in einem Termin zur Berufungshauptverhandlung erschienen ist. Anstelle der nicht mehr zulässigen Verwerfung soll in Anwesenheit des Verteidigers ohne den Angeklagten verhandelt werden, soweit nicht besondere Gründe dessen Anwesenheit erforderlich machen.
  • RVG: Änderung der „Eingangsgebührenstufe“ in Teil 5 VV RVG

Und: Durch das Gesetzesvorhaben sollen in den Nrn. 5101, 5103, 5107 und 5109 VV RVG die „Eingangsgebührenstufe“ von 40,– € auf 60,– € angehoben werden. Damit wird dann gebührenrechtlich die Anhebung der Eintragungsgrenze in das FAER durch die Punktereform zum 01.05.2014 nachvollzogen (vgl. BR-Drucks. 491/14, S. 100).

Wie gesagt: Gerade im Gesetzgebungsverfahren. Kann also noch ein wenig dauern.

…“Das Gericht ist nämlich nicht der „Libero der Anklagebehörde“ ..

entnommen wikimedia.org Urheber Verhoeff, Bert / Anefo

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Sie stutzen beim Lesen der Überschrift? Ja, habe ich auch beim Lesen des AG Gummersbach, Beschl. v.  15.10.2014 – 81 Ds-922 Js 2198/14-326/14, den mir der Kollege, der ihn „erstritten“ hat, übersandt hat. In dem Beschluss hat das AG die Eröffnung des Hauptverfahrens in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr abgelehnt, weil kein hinreichender Tatverdacht vorliege. Die Begründung in der Sache bzw. die Beweiswürdigung des AG lassen wir hier mal außen vor, die ist einzelfallbezogen und nicht so interessant. Interessanter sind dann die Ausführungen des AG zu § 202 StPO und zur Frage, ob das AG selbet noch Ermittlungen im Zwischenverfahren führen oder veranlassen muss. Das hat das AG verneint:

Es bestand für das erkennende Gericht auch keine Rechtspflicht nach § 202 StPO, durch eigene (umfangreiche) Ermittlungen im Zwischenverfahren die Grundlage für den hinreichenden Tatverdacht erst noch zu schaffen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes stehen Ermittlungen im Zwischenverfahren im Ermessen des Gerichts. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den in § 202 StPO benannten Beweiserhebungen um solche zur einzelnen Ergänzung oder Überprüfung eines im Ermittlungsverfahren grundsätzlich bereits aufgeklärten Sachverhalts handelt. Für Ermittlungen nach § 202 StPO ist dann kein Raum, wenn erst durch eine Ermittlungsanordnung des Gerichts ein hinreichender Tatverdacht geschaffen werden muss (vgl. LG Köln — Beschluss vom 16. November 2011- 110 Qs 19/11). Das Gericht ist nämlich nicht der „Libero der Anklagebehörde“ (KK-Schneider, 7. Aufl. 2013, § 202 StPO Rn. 3; LG Köln — 111 Qs 497/09)

Im Zwischenverfahren kommen eingedenk der strukturellen Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht nur einzelne ergänzende richterlich veranlasste Beweiserhebungen in Betracht. Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung des von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Anklagevorwurfs sind gesetzlich nicht vorgesehen (KK-Schneider, 7. Aufl. 2013, § 202 StPO Rn. 2; OLG Karlsruhe wistra 2004, 276, 279; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2009, 88; OLG Celle StV 2012, 456, 457; 1,G Berlin NStZ 2003, 504 mit Anm NStZ 2003, 568; Meyer-Goßner, § 202 Rn 1; Stuckenberg LR Rn 3; Radtke/Hohmann/Reinhart Rn 1; Eisenberg JZ 2011, 672; Beulke Rn 355). Gleichermaßen unstatthaft sind umfangreiche Beweisaufnahmen wie etwa die Vernehmung zentraler Zeugen zur Vorabklärung der Belastbarkeit ihrer Angaben; hierin läge ein von Rechts wegen nicht vorgesehener Vorgriff auf die Hauptverhandlung (Paeffgen SK StPO Rn. 3; Stuckenberg LR Rn. 2).“

Und da taucht sie also auf, die Formulierung vom Libero, die die Rechtslage sehr schön beschreibt. Ich habe natürlich sofort im KK-StPO nachgesehen, ob da wirklich so formuliert ist. Und in der Tat: Der „ehrwürdige“ KK formuliert so. 🙂 🙂

Sonntagswitz: Heute über Sommer-/Winter „Zeit“ und „Zeiten“…,

© Teamarbeit – Fotolia.com

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Nachdem wir heute Nacht die Uhren wieder umgestellt haben und damit um so deutlicher wird, dass das Jahr 2014 mit großen Schritten auf das Ende zugeht, mal wieder ein paar Witze über die Zeit. Die „Eselsbrücke“ zur Umstellung – vor oder zurück? – erspare ich mir und verweise dazu auf mein Posting aus 2012: Sonntagswitz, heute zur Zeit 🙂. Folgende Nettigkeiten habe ich zur Zeit/zu Zeiten gefunden:

Das junge Paar wartet schon längere Zeit im Vorzimmers des Standesbeamten. Schließlich erhebt sich die Braut und geht in das Trauungszimmer. „Müssen wir noch lange warten?“,  fragt sie, „er wird nämlich schon nachdenklich …“

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 Das Wartezimmer beim Arzt ist voll, und die Zeit schleicht mühsam dahin.
Irgendwann steht der Patient auf, nimmt seinen Mantel und murmelt: „Ich gehe nach Hause und sterbe eines natürlichen Todes …“

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Im Grammatikunterricht versucht die Lehrerin den Schülern durch Beispiele die Zeiten zu erläutern.
Lehrerin: „Wenn ich sage ich bin schön, welche Zeit ist das?“
Ein Schüler antwortet: „Vergangenheit!“

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und dann war da noch:

Was heißt „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ auf türkisch?
Aldi auf, Aldi zu!
Anmerkung: Ich brauche keine Kommentare. 🙂

Wochenspiegel für die 43. KW, das waren Raten, gierige RÄe, mal wieder die ARAG und Nobbi Blüm

entnommen wikimedia.org Urheber Tropenmuseum

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Die 43. KW war nicht die Woche mit dem Tag, an dem der Regen kam, sondern die Woche, in der die Kollegin Braun aus langem Blooger-Schlaf wieder erwacht ist. Sie ist nämlich mit ihrem Blog: „Strafrecht in Hamburg und anderswo“ wieder dabei, nachdem sie sich lange Zeit ausgeruht hat. Die Kollegin Braun – unter Eingeweihten auch „Mausi“ genannt (siehe unseren Beitrag vom 13.07.2010 – Ein schöner Tag: Die Kollegin RAin Braun ist meine Freundin… – wo waren Sie so lange Frau Kollegin?) mischt also wieder mit. Ein herzliches Willkommen zurück – als Blogger ist man eben anfixt, oder?  So, und dann gab es auch noch wirklich Wichtiges 🙂 , so dass wir berichten können über:

  1. NSU, das ein wenig in Vergessenheit geratene Verfahren mit: NSU: Verwirrung um Ladungen zum Anschlag in der Kölner Keupstraße,
  2. und dann gleich auch über Kleine Ratten..äh..Raten,
  3. und über die dazu passenden gierigen Rechtsanwälte,
  4. aber auch die verständliche Verärgerung der Kollegen über die ARAG – ich wünsche Glück bei der Klage 🙂 ,
  5. den Unsinn des Herrn Blüm – es war in der Tat Unsinn und nur zu ertragen, wenn man es als humoristischen Ausklang des vergangenen Wochenende gesehen hat, dazu passt dann: Nobbi Blüm im Irrflug – mal wieder, aber platte Schelte der Justiz und der Rechtsanwaltschaft lässt sich ja gut verkaufen,
  6. über die vorgetäuschte Vergewaltigung und die 5 Jahre sechs Monate Haft für das „Opfer„,
  7. Stille SMS oder „SMS vom Staat„,
  8. und dann waren da noch Kreditkarten mit Fingerabdruckscanner und die Frage: Wirklich sicherer?

Wie viel darf ich auf dem Balkon meiner Mietwohnung rauchen?

entnommen wikidmedia.org Photograph by Tomasz Sienicki / Own work

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Darf ich auf dem Balkon meiner Mietwohnung unbegrenzt rauchen oder hat ggf. der Mieter einer Nachbarwohnung einen Unterlassungsanspruch? Ja, Mietrecht 🙂 , ist ja heute Samstag. Mit der Frage musste sich vor einiger Zeit das LG Potsdam befassen und hat sie im LG Potsdam, Urt. v. 14.03.2014 – 1 S 31/13 – beantwortet mit: Yes, you can.  Zum Sachverhalt führt das LG aus:

„Die Parteien sind Mieter von Wohnungen in dem Mehrfamilienhaus Straße der Freundschaft 45, P.. Die Kläger wohnen im ersten Obergeschoss, die Beklagten im Erdgeschoss. Die Balkone beider Wohnungen liegen übereinander, sind jeweils überdacht und an den Seiten verkleidet.
Die Beklagten sind Raucher und nutzen ihren Balkon mehrmals täglich zum Rauchen. Die Kläger als Nichtraucher fühlen sich durch aufsteigenden Zigarettenrauch in der Nutzung ihrer Wohnung und des Balkons gestört.
Der Umfang des täglichen Rauchkonsums der Beklagten auf dem Balkon ist zwischen den Parteien streitig. Die Kläger behaupten einen Verbrauch von täglich ca. 20 Zigaretten, die Beklagten geben an, täglich maximal 12 Zigaretten auf dem Balkon zu rauchen.

Das AG hatte die Klage abgewiesen, das LG weist die Berufung der Kläger zurück, schließt sich also dem AG an. Geprüft werden folgende Punkte:

1. Anspruch auf Unterlassung des Rauchens auf dem Balkon zu bestimmten Tageszeiten:

  • a) Besitzschutzansprüche stehen den Klägern als Abwehransprüche wegen Besitzstörung aufgrund verbotener Eigenmacht (§§ 862 Abs. 1 Satz 2, 858 Abs. 1 BGB) nach Auffassung des LG nicht zu. „Nicht abwehrbar nach §§ 862, 1004 BGB sind dagegen sog. negative Einwirkungen, die darin bestehen, dass jemand durch ein Verhalten in den Grenzen seines eigenen Grundstücks einem anderen Grundstück Vorteile nimmt, zum Beispiel die Entziehung von Licht und Luft (BGH, Urteil vom 11.7.2003 – V ZR 199/02 -, NJW-RR 2003, 1313, Tz. 11; MüKo/Baldus, 6. Aufl., § 1004 BGB Rdnr. 124; Palandt/Bassenge, 73. Aufl., § 903 BGB Rdnr. 9).“
  • b) Ansprüche aus §§ 823, 1004 BGB wegen Gesundheitsverletzung sieht das LG ebenfalls nicht. „Drohende Gesundheitsverletzungen der Kläger durch aufsteigenden Zigarettenrauch von dem einem Stock tiefer liegenden Balkon können aber nicht festgestellt werden. Hierfür genügt nicht der Hinweis der Kläger auf die im letzten Jahrzehnt stark zugenommenen Erkenntnisse über die Schädlichkeit des Passivrauchens durch die im Tabakrauch enthaltenen krebserzeugenden Substanzen (Kanzerogene) selbst bei nur geringen Mengen. Als Passivrauchen wird das Einatmen von Tabakrauch aus der Raumluft bezeichnet (Tabakatlas Deutschland 2009, S. 49, Hrsg. Deutsches Krebsforschungszentrum). Dementsprechend bezieht sich die Broschüre „Passivrauchen – Ein unterschätztes Gesundheitsrisiko“ des Deutschen Krebsforschungszentrums (Heidelberg, 2005) ausschließlich auf Tabakrauch als gefährlichen Innenraumschadstoff (vgl. Kernaussagen 1, 5 und 7). Das ist mit dem Rauchen außerhalb geschlossener Räume nicht vergleichbar. …..“
  • c) Auch einen Anspruch nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses verneint das LG. „Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob die Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses auf das Verhältnis zwischen Mietern, soweit es um die Bestimmung hinzunehmender Immissionen des Nachbarn geht, entsprechend angewendet werden können. Es fehlt jedenfalls an zwingenden Gründen, nach denen es geboten sein könnte, den Beklagten zeitabschnittsweise das Rauchen auf dem von ihnen gemieteten Balkon zu untersagen.“

2. Anspruch auf Unterlassung des Öffnens des Badezimmerfensters

Auch insoweit steht den Klägern ein Anspruch weder aus Besitzstörung noch nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagten tatsächlich in ihrer Wohnung rauchen und ob die Kläger nächtliche Beeinträchtigungen beim Lüften durch Öffnen des Badezimmerfensters zu dulden hätten. Es fehlt bereits an einem geeigneten Beweisantritt dafür, dass die Beklagten abends/nachts in ihrem Badezimmer rauchen und der Rauch bei anschließender Lüftung über das geöffnete Fenster in das Schlafzimmer der Kläger zieht. Zudem erscheint es, soweit die Kläger von der Wahrnehmung nächtlichen Zigarettenqualms berichten, nicht ausgeschlossen, dass dieser von anderen, etwa hinter dem Haus rauchenden Personen stammt.

3. Leerung Aschenbecher

Hinsichtlich des ursprünglichen Klageantrags zu 3., den Aschenbecher zu festgelegten Zeiten leer zu halten, kann die Erledigung der Hauptsache nicht festgestellt werden, da die Klage auch insoweit von Anfang an unbegründet war.

Den Klägern stand weder aus Besitzstörung noch nach den Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsrechts ein Anspruch auf Entleeren des Aschenbechers zu. Die von den Klägern angeführte „Erfahrungstatsache“, dass auch von ausgedrückten Zigaretten Geruchsbelästigungen ausgehen, reicht zur schlüssigen Begründung des ursprünglichen Antrags nicht aus. Zwar mag in unmittelbarer Nähe des Aschenbechers auch von den Zigarettenresten eine Geruchsbelästigung ausgehen. Diese ist jedoch, anders als beim Rauchen selbst, nicht mit einer Rauchbildung verbunden. Dadurch ist die Intensität wesentlich geringer, und die Geruchsstoffe verflüchtigen sich außerhalb geschlossener Räume rasch. Zudem ist unbestritten, dass der Aschenbecher seitens der Beklagten regelmäßig geleert wurde. Für eine darüber hinausgehende Regelung nach Zeitabschnitten bestand kein Anspruch.

Das LG hat die Revision zugelassen, also wird im Zweifel der BGH entscheiden.

Ach so: Adresse: „Straße der Freundschaft“ ….. 🙂