Tja, was man als Beisitzerin alles nicht mehr so genau weiß, ist schon manchmal erstaunlich. Jedenfalls hat es mich erstaunt, als ich den BGH, Beschl. v. 13.03.2014 – 2 StR 516/13 gelesen. Da hatte der BGH im Revisionsverfahren offenbar das sprichwörtliche Haar in der Suppe gefunden, nämlich eine unter dem Eröffnungsbeschluss fehlende Unterschrift einer Beisitzerin der Strafkammer. Insoweit im Grunde schon peinlich genug, ist der Eröffnungsbeschluss doch Verfahrensvoraussetzung, so dass es an sich nicht zur Verurteilung des Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten hätten kommen dürfen. Aber zu retten wäre ja noch was gewesen, wenn man nun hätte „nachweisen“ können, dass eine Beschlussfassung erfolgt war. Nur daran konnte sich die Beisitzerin nicht mehr erinnern. Und das war es dann:
„Seine Revision hat Erfolg, weil es an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt. Der Eröffnungsbeschluss vom 5. April 2013 ist lediglich vom Vorsitzenden und einem Beisitzer unterschrieben. Der weitere auf eine richterliche Beisitzerin hinweisende Schriftzug stammt nicht von dieser, sondern vom Vorsitzenden der Strafkammer.
Zwar berührt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine fehlende oder nicht von allen Richtern vorgenommene Unterzeichnung des Eröffnungsbeschlusses dann nicht dessen Wirksamkeit, wenn nachgewiesen ist, dass der Beschluss tatsächlich von allen hierzu berufenen Richtern gefasst worden ist (vgl. zuletzt BGH, NStZ 2012, 225). Dies lässt sich aber hier nicht feststellen. Nach der dienstlichen Erklärung der beisitzenden Richterin, deren Unterschrift auf dem Eröffnungsbeschluss fehlt, hat sie keine Erinnerung, ob es in dieser Sache eine mündliche Beschlussfassung oder eine dahin zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung über die Eröffnung gegeben habe.
Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Einstellung des Verfahrens (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2008 – 4 StR 251/08).„
„Befremdet“ dann doch, oder? Zunächst schon, weil die Besitzerin sich nicht mehr erinnert (allerdings: ehrlich ist sie), und das in einer Sache, die man sicherlich nicht „Allerweltsverfahren“ einstufen kann/muss. Und dann: „Der weitere auf eine richterliche Beisitzerin hinweisende Schriftzug stammt nicht von dieser, sondern vom Vorsitzenden der Strafkammer.“ Was ist das denn.
Nun, für den Angeklagten ggf. nur ein „Etappensieg“, da die Einstellung ja einer neuen Anklage nicht entgegensteht.
Bei Jugend(schutz)kammern dürften Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs durchaus Allerweltsverfahren sein.
wegen „schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten“ – Allerweltsfall. das Fass mache ich jetzt hier nicht auf…
Für mich klingt das nicht nach einer ehrlichen Beisitzerin, sondern nach dem Flucht in die Vergesslichkeit, um nicht den eigenen Vorsitzenden in
Fisimatenten zu bringen. Ein Schriftzug von ihm, wo sie hätte unterschreiben sollen. Bei Normalbürgern würde man da aber einen Anfangsverdacht wegen Urkundenfälschung bejahen.
Ich finde das Verhaltend der Richterin alles andere als befremdlich sondern vielmehr pflichtbewusst und redlich. Es doch nicht ungewöhnlich, dass man sich nicht immer an alles im Detail erinnert, was Monate oder sogar Jahre her ist.
Die Aufregung der Strafrechtler hätte ich gerne gesehen, wenn es sich bei der Person um einen Polizisten gehandelt hätte, der sich an dieses Ereignis zu 100% erinnert hätte. Da hätten die Säulen des Rechtsstaats geschwankt … ;-).
na ja, aber ist schon ein Unterschied, ob ich mich nach Monaten oder noch länger noch an alle Kleinigkeiten erinnere, die einen Allerweltsunfall oder eine Allerwelts-Owi betreffen, oder, ob es um die Frage geht, ob in einer Sache, die wegen “schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten” geführt hat, der EÖB beraten worden ist.
@Burhoff: Um die Beratung als solche ging es ja nicht. Dann würde ich Ihnen zustimmen.
Es ging darum, ob es in dieser Sache eine *mündliche Beschlussfassung* oder eine *dahin zu verstehende* gemeinsame Besprechung oder Beratung über die Eröffnung gegeben habe. Wenn man sich daran nicht genau erinnert, sollte man das auch so sagen, insbesondere dann, wenn Freiheitsrechte in Rede stehen.
den Unterschied erklären Sie mir aber bitte mal: „mündliche Beschlussfassung oder eine dahin zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung über die Eröffnung“. Es geht um eine (mündliche) Beschlussfassung/Besprechung/Beratung über die Eröffnung in einer „Nichtallerweltsache“. Und daran erinnert sich die richterliche Beisitzerin nicht? Aber lassen wir es. Ich finde es „befremdlich“, Sie „pflichtbewusst und redlich“. Da kommen wir kaum auf einen Nenner. Dass die Beisitzerin ehrlich war, habe ich eingeräumt.
@Burhoff: Fair enough 😉
Mich stört das kleine Wörtchen „ob“. Keine Erinnerung zu haben, „ob“ eine Beratung stattfand ist bei diesem Sachverhalt nur schwerlich denkbar.
Ich würde allerdings nicht ausschließen, dass dies die Formulierung des BGH ist und die Richterin tatsächlich berichtet hat, dass sie keine Erinnerung „an“ die Beschlussfassung hat. Dies wäre überhaupt nicht befremdlich, wenn es tatsächlich keine Beratung gab. Insofern könnte dies – rein hypothetisch natürlich – ein Schutz des Vorsitzenden vor einem ziemlich unangenehmen Ermittlungsverfahren wegen des bösen R-Delikts gewesen sein. Urkundenfälschung kommt allerdings nicht in Betracht, der Vorsitzende hat ja anscheinend mit seinem eigenen Namen unterschrieben.