Zu den Problemen, die es gibt, die man aber nicht braucht, gehört die Frage/Problematik, wie häufig der (Pflicht)Verteidiger seinen Mandanten besuchen darf? Sie spielt in der Praxis im Rahmen der Vergütungsfestsetzung immer wieder eine Rolle, obwohl man sich häufig fragt, warum eigentlich und/oder, ob der jeweilige Rechtspfleger eigentlich der „Richtige“ ist, um dieses Fass aufzumachen. So m.E. auch in dem dem AG Backnang, Beschl. v. 04.03.2014 – 2 Ls 22 Js 43421/13 – zugrunde liegenden Verfahren. Der Verteidiger besucht den Mandanten in fast sechs Monaten Untersuchungshaft – §§ 121, 122 StPO lassen grüßen – sieben Mal. Was soll daran, möchte man den Rechtspfleger fragen, zu viel sein?. Das ist gerade mal etwas mehr als durchschnittlich ein Besuch im Monat. Wenn man die (allgemeinen) Erschwernisse der Untersuchungshaft und u.a. den schweren Vorwurf in dem Verfahren: sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, berücksichtigt, m.E. sicherlich angemessen und nicht zu beanstanden. Oder weiß der Rechtspfleger es besser? Aber vielleicht geht es darum, der Staatskasse die immerhin 18,53 € brutto zu retten, um die es an zusätzlicher Vergütung für diese beiden Besuche ging? So leer können die Kassen aber doch nicht sein, oder?
Das AG Backnang hat auf die Beanstandung m.E. die richtige Antwort gefunden, wenn es – übrigens auf der Grundlage der h.M. – von Folgendem ausgeht:
- Es liegt grundsätzlich im Ermessen des Verteidigers, wie viele Gespräche jeweils mit dem Mandanten zur Vorbereitung des Prozesses notwendig sind.
- Eine gerichtliche Zweckmäßigkeitskontrolle der verfahrensvorbereitenden Schritte des Verteidigers ist gesetzlich nicht vorgesehen, das Gericht hat die Erwägungen des Verteidigers hinsichtlich der Erforderlichkeit von Haftbesuchen nicht durch eigene Erwägungen zu ersetzen. Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass es im Ermessen des Verteidigers liegt, wie viele Besuche er bei seinem Mandanten für erforderlich hält.
- Hält die Staatskasse dennoch die Kosten für mehrere Besuche des Pflichtverteidigers in der JVA nicht für erstattungsfähig, so obliegt ihr die Beweislast dafür, dass die hierdurch entstandenen Kosten zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Parteien nicht erforderlich waren. Nur wenn sich greifbare Anhaltspunkte für einen Missbrauch der Verpflichtung des Pflichtverteidigers zur kostensparenden Prozessführung ergeben, ist anstelle der Staatskasse der Verteidiger darlegungs- und beweispflichtig.
- Die Frage, wann der Verteidiger die Grenze zum Missbrauch überschreitet, kann nur anhand des jeweiligen Einzelfalles geprüft werden. Bei allen Haftverfahren ist jedoch zu berücksichtigen, dass einer Inhaftierung in aller Regel erhebliche Tatvorwürfe zugrunde liegen und der inhaftierte Beschuldigte im Verurteilungsfalle mit einer erheblichen Freiheitsstrafe rechnen muss.
- Das Gericht neigt zu der Auffassung zu, dass Besuche in einem zweiwöchigen Rhythmus, insbesondere wenn diese mit Besuchen anderer inhaftierten Mandanten verbunden werden, ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht als missbräuchlich anzusehen sind. Ein solcher Maßstab könnte auch bei der Verbescheidung von Anträgen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG zugrunde gelegt werden.
Und: Geschickt umschifft das AG ein „Abweichen“ von der Auffassung des (wohl „übergeordneten“) LG Stuttgart im LG Stuttgart, Beschl. v. 31. 07. 2012 – 14 Qs 8/12 (vgl. dazu: Wie oft darf der Verteidiger den Mandanten in der JVA besuchen?). Wenn man den liest, könnte man schon der Auffassung sein, dass das LG ggf. anderer Auffassung als das AG sein könnte. Denn das LG hatte (nur) fünf Besuche n während viermonatiger Untersuchungshaft anerkannt, acht hingegen als zu viel angesehen. Die Klippe umschifft das AG, wenn es meint, dass dann aber sieben Besuche bei beinahe sechsmonatiger Untersuchungshaft jedenfalls nicht missbräuchlich sein können. Und – auch zutreffend: „Darüber hinaus lässt sich der Entscheidung nach hiesigem Dafürhalten nicht entnehmen, dass die dort akzeptierten fünf Besuche eine allgemeine Obergrenze für sämtliche Haftverfahren darstellen sollen. Eine solche Obergrenze ist gesetzlich nicht vorgesehen.“ Wie soll das auch gehen? Ein Besuchstagekatalog?
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