Über den BGH, Beschl. v. 08.01.2013, 1 StR 602/12 hatte ich wegen der Problematik der (nicht ausreichenden) Begründung der Verfahrensrüge schon berichtet (vgl. hier Begründung der Verfahrensrüge – offenbar für manche Verteidiger doch (zu) schwer? Selbst Klassiker). Dabei hatte ich ja auch schon kurz darauf hingewiesen, das die Revision des Angeklagten auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte, weil der 1. Strafsenat des BGH die Ablehnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Glaubwürdigkeit der Geschädigten abgesegnet und der Strafkammer genügend eigene Sachkunde zugestanden hat, deren Glaubwürdigkeit zu beurteilen:
„Nach diesen Maßstäben bedurfte es vorliegend keiner Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens, um der Amtsaufklärungspflicht zu entsprechen. Die Jugendkammer hat sich auf der Grundlage des der Zeugin Aussagetüchtigkeit zuschreibenden psychiatrischen Sachverständigengutachtens mit der Persönlichkeit der Zeugin und möglichen für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit relevanten Aspekten, wie ihrer zeitweiligen psychiatrischen Behandlung, den Berichten von Déjà-vu-Erlebnissen sowie einer denkbaren Übertragung einer möglicherweise während ihres Aufenthaltes in Pakistan erlebten Vergewaltigung auf das Verhalten des Angeklagten, umfas-send und sorgfältig auseinandergesetzt sowie erkennen lassen, warum sie zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit aufgrund eigener Sachkunde in der Lage war. Angesichts der mit sachverständiger Hilfe rechtsfehlerfrei ausgeschlossenen Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit und dem Fehlen von Wahrnehmungsstörungen lagen in der Person der Zeugin keine solchen Besonderheiten vor, die eine in Jugendschutzsachen erfahrene Jugendkammer außer Stande gesetzt hätte, die Zuverlässigkeit der Angaben zu beurteilen. Erst recht bestanden keine Besonderheiten im genannten Sinn darin, dass Gegenstand der Aussage Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Zeugin waren und dass diese zur Zeit der geschilderten Vorfälle in kindlichem bzw. jugendlichem Alter war (vgl. BGH, aaO, NStZ-RR 2006, 241).“
Anders der 5. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 05.03.2013 – 5 StR 39/13. In dem Verfahren wurde dem Angeklagten sexueller Missbrauch und Vergewaltigung eines Jungen vorgeworfen. Zum Nebenkläger war festgestellt: „Der Nebenkläger war schon im Kindesalter verhaltensauffällig. Auf An-raten des behandelnden Psychologen und des Jugendamts wurde er 1992 aus der Familie herausgenommen und in die Obhut der Großmutter gegeben, hielt sich aber auch beim Angeklagten und seiner Mutter auf. Er befand sich mehrfach, auch stationär, in jugendpsychiatrischer Behandlung. So wurde er aus einer psychiatrischen Einrichtung im Kindesalter am 14. Januar 1993 entlassen und kehrte in die Obhut der Großmutter zurück. Einzelheiten der sexuellen Übergriffe teilte der Nebenkläger erstmals als Erwachsener seiner damaligen Lebensgefährtin und, nachdem sein Verteidiger solches pauschal in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren thematisiert hatte, im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 2. Januar 2012 mit.“
Bei der Ausgangslage reicht dem BGH die von der Kammer in Anspruch genommene eigene Sachkunde nicht:
„Die Beurteilung einer psychischen Störung des vielfach in psychiatrischen Einrichtungen untergebrachten sowie in seinem Aussageverhalten auffälligen Nebenklägers und von deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemein-gut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschlüsse vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, StV 1984, 232, und vom 23. Mai 2012 – 5 StR 174/12, aaO). Eine solche ist weder dem Zurückweisungsbeschluss noch den Urteilsgründen zu entnehmen.“
Und: Die Verfahrensrüge war auch zulässig:. Zwar hatte der Verteidiger offenbar ebenso wie der im BGH, Beschl. v. 08.01.2013, 1 StR 602/12 nicht zur Einwilligung des Nebenklägers in eine Begutachtung vorgetragen. Das hat der 5. Strafsenat hier jedoch nicht beanstandet:
„Zwar bedarf es hierfür – was die Revision auch nicht verkennt – grundsätzlich des Vortrags der Einwilligung der zu begutachtenden Person in die beantragte Untersuchung (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 8. Januar 2013 – 1 StR 602/12 mwN). Das kann aber dann nicht gelten, wenn einem Sachverständigen er-sichtlich unabhängig von einer Einwilligung des Zeugen die erforderlichen Erkenntnisse auch ohne persönliche Begutachtung verschafft werden können (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 27. März 1990 – 5 StR 119/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 7, vom 25. September 1990 – 5 StR 401/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 6, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347). So liegt es hier.“
Also auf ganzer Linie einmal Hopp, einmal Topp.