Von Kollegen höre ich auf Fortbildungen, dass dann doch im Zusammenhang mit der Täteridentifizierung auch in Bußgelvderfahren immer mehr anthropologische Vergleichsgutachten eingeholt und zur Grundlage der Verurteilung gemacht werden. Daher stellt sich immer häufiger die Frage: Was gehört dann eigentlich ins Urteil?
Mit der Frage befasst sich der OLG Celle, Beschl. v. 06.11.2012 – 311 SsBs 136/12. Das AG hatte der Verurteilung des Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung die nach seiner Auffassung schlüssigen gutachterlichen Ausführungen eines Sachverständigen für anthropologische Vergleichsgutachten zugrunde gelegt. Der Sachverständige habe 21 prägnante Gesichtsmerkmale auf dem qualitativ sehr guten Messfoto feststellen können, die sämtlich mit denen des Gesichts des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen übereinstimmten. Das OLG hat auch die Rechtsbeschwerde aufgehoben. Wesentlich aus Aufhebungsentscheidung sind zwei Punkte:
- Nach der Rechtsprechung des BGH und der OLG muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer – wenn auch nur gedrängten – zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen. Hiervon kann lediglich bei sogenannten standardisierten Untersuchungsmethoden abgewichen werden, bei welchen sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann. Bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten handelt es sich indessen nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode. Dem ist der AG nicht gerecht geworden.
- Eine ausdrückliche Absage hat das OLG der Auffassung in der Rechtsprechung erteilt, die in diesen Fällen auch noch konkrete Angaben zu der Merkmalshäufigkeit verlangt (OLG Bamberg VA 2010, 138; OLG Braunschweig NStZ-RR 2007, 180; OLG Celle [2. Senat für Bußgeldsachen] NZV 2002, 472; OLG Jena DAR 2006, 523), und sich damit dem OLG Oldenburg (NZV 2009, 52) und dem OLG Hamm (DAR 2008, 395) angeschlossen. Begründet hat das OLG diese Ansicht damit, dass zwischen den Klassifizierungen von Einzelmerkmalen ein gleitender Übergang bestehe, weswegen in der Regel keine genauen Angaben über die Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung, der die zu identifizierende Person angehört, gemacht werden können (vgl. BGH StV 2005, 374). Zwar könne es Merkmale geben, die äußerst selten sind und bei denen Angaben zu Häufigkeiten illustrativ und nützlich sein können. Bei einem „Durchschnittsgesicht“ kommt es jedoch viel mehr auf die Anzahl der Merkmale an, die der Sachverständige erkennen und gewichten könne.
Ich meine, man kann es auch übertreiben mit den Anforderungen, die seitens der Obergerichte in Bußgeldsachen aufgestellt werden.
na ja, das ist letztlich uralte obergerichtlche Rechtsprechung, die sich vielleicht noch nicht zu allen AG herum gesprochen hat. Ist nun mal so, egal ob es Ihnen gefällt.
Dass die Bezugnahme auf das Foto fehlt und auch eine Bildbeschreibung (wie beschreibt man denn die „Kontrastschärfe“ und „Belichtung“ rechtsbeschwerdefest?), ist sicher ein Fehler.
Ich halte es aber für wenig hilfreich, wenn einerseits das OLG allgemein ausführt, dass eine „gedrängte Darstellung“ der Gutachtensergebnisse ausreichen soll, andererseits aber das dann offenbar wieder nicht genügt, wenn es ein paar Absätze weiter heißt, es müsse zur Untersuchungsmethode, zur Wahrscheinlichkeitsermittlung und dann auch zu allen Merkmalen ausgeführt werden und nicht nur zu 14 von 21 Merkmalen . Das ist dann vermutlich nicht mehr „gedrängt“, sondern copy+paste Gutachten und führt zur weiteren Waldvernichtung. Ob es der Wahrheitsfindung besser dient ? Und was soll nun ein ausreichendes „gedrängt“ sein?