Beim AG Tiergarten hat eine Hauptverhandlung stattgefunden, die zur Verurteilung des Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Tötung geführt hat. An der Hauptverhandlung war eine Schöffin beteiligt, die „ein so genanntes Hidschab-Kopftuch trug, das ihre Stirn bis zum den Augenbrauen sowie ihre Ohren voll- ständig abdeckte und unter dem Kinn derart geschlossen war, dass der Hals der Schöffin vollständig verhüllt war.“ Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt und u.a. gerügt, dass das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt war (§ 338 Nr. 1 StPO). Mit der Frage befasst sich das KG, Urt. v. 09.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12) -. das die Revision der Staatsanwaltschaft verworfen hat.:
Der Fall, dass ein Schöffe ein bestimmtes Kleidungsstück trägt, begründet auch unter dem Umstand, dass es sich dabei um eine religiös begründete Kleidung handelt, wie das beim so genannten Hidschab-Kopftuch der Fall ist (BVerfGE 108, 282, 299), nach der einschlägigen gesetzlichen Vorschrift des § 32 GVG nicht die Unfähigkeit, das Schöffenamt zu bekleiden. Dass der Gesetzgeber solche Personen auch nicht grundsätzlich vom Schöffenamt ausschließen will, ergibt sich aus § 34 Nr. 6 GVG, der Ordensleuten und Priestern, die ja ebenfalls aufgrund religiöser Vorschriften eine bestimmte Art von Bekleidung tragen und in dieser unter Umständen an einer gerichtlichen Hauptverhandlung teilnehmen, gerade nicht die Fähigkeit abspricht, das Schöffenamt zu bekleiden.
Aus § 32 GVG im Wege einer verfassungskonformen Auslegung, die Unfähigkeit einer ein Kopftuch tragenden Muslimin, das Schöffenamt zu bekleiden, abzuleiten, verbietet sich schon deshalb, weil es im Falle eines Eingriffs in ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. BVerfGE 108, 282, 297; BVerfG, NJW 2008, 2568, 2570; Groh, NVwZ 2006, 1023, 1026). Das der Schöffen zur Seite stehende Grundrecht der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG garantiert, dass der Einzelne sein gesamtes Verhalten an den für ihn verbindlichen Glaubenslehren ausrichten kann (BVerfGE 32, 98, 106), wozu auch die religiös motivierte Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes durch Kleidung gehört (BVerfGE 108, 282, 297 1.). Soweit die Schöffin in der Hauptverhandlung ein Kopftuch trug, lag dies also im unmittelbaren Schutzbereich des von der Verfassung vorbehaltlos gewährten Grundrechts auf Religionsfreiheit. Eine Einschränkung dieses Grundrechts, welche hier mit dem Ausschluss vom Schöffenamt verbunden gewesen wäre, wäre somit nur aufgrund eines hinreichend bestimmten Gesetzes möglich, das insoweit nicht vorliegt.
Auch § 44 Abs. 2 DRiG -bestimmt, dass ein ehrenamtlicher Richter vor Ablauf seiner Amtszeit nur unter gesetzlich bestimmten Voraussetzungen abberufen werden kann. Mit dieser Vorschrift wird der ebenfalls zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entsprochen, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof für den Fall der Streichung eines Schöffen von der Schöffenliste bereits entschieden, dass diese nur unter den engen Voraussetzungen des §52 GVG erfolgen kann, die ohne gesetzliche Regelung nicht erweitert werden können (BGHSt 9, 203, 206).
Es kann dahingestellt bleiben, ob für Berufsrichter unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Neutralitätspflicht die Verpflichtung begründet ist, auf das Tragen von religiös motivierten Bekleidungsstücken zu verzichten, denn die für Berufsrichter geltenden Grundsätze können schon deshalb nicht auf Schöffen übertragen werden, weil diese nicht in einem Beamten- oder einem sonstigen Dienstverhältnis zum Staat stehen, sondern ein Ehrenamt ausüben, wobei sie trotz der. Amtsausübung Privatpersonen bleiben (Bader. NJW 2007, 2964, 2966; Grob, a.a.0, S. 1025 f.; Gittermann in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufläge, § 31 GVG Rn. 16). Die Grundsätze des Beamtenrechts sind daher auf sie nicht unmittelbar anzuwenden (Groh, a.a.O., S. 1025). Zudem sieht § 36 Abs. 2 Satz 1 GVG vor, dass in den Vorschlagslisten zur Schöffenwahl alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen zu berücksichtigen sind. Zur Bevölkerung gehören auch Personen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit. Sie sind Teil der Gesellschaft und können daher nicht von vornherein vom Schöffenamt ausgeschlossen werden (so auch Groh, a.a.O., S. 1026). Ein solches Vorgehen wäre sowohl mit Grundsatz der staatlichen Neutralität gegenüber Religionen nach Art. 140 GG 1.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV als auch mit Art. 33 Abs. 3 GG unvereinbar, wonach der Genuss staats- bürgerlicher Rechte, zu denen ja auch das Recht, das Schöffenamt auszuüben gehört, unabhängig vom religiösen Bekenntnis ist und niemandem aus seiner Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis ein Nachteil erwachsen darf (Gittermann, a.a.O., An. 19).
Es besteht somit keine mit dem Gesetz und dem Verfassungsrecht vereinbare Grundlage, einer Person, allein aufgrund des Umstandes, dass sie ein religiös motiviertes Kleidungsstück trägt, die Fähigkeit, das Schöffenamt zu bekleiden, abzusprechen (so auch Groh, a.a.O., S. 1026; Bader, a.a.O., S. 2965; Buggert, StRR 2006, 44, 47; LG Bielefeld, NJW 2007, 3014; Gittermann, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O., § 52 -GVG An. 1; a.A. LG Dortmund NJW 2007, 3013, 3014; der Fall LG Dortmund, NStZ 2007, 360, ist hier nicht einschlägig, da es dort um eine Kopftuch tragende Muslimin ging, die im Rahmen einer Anhörung angegeben hatte, dass Männer und Frauen grundsätzlich anders seien und Frauen grundsätzlich weniger glaubwürdig seien als Männer, und aus diesem Grunde als unfähig angesehen wurde, dass Schöffenamt zu bekleiden.).
Weitergehend RiVGH Prof. Johann Bader, NJW 2007, 2964 „Die Kopftuch tragende Schöffin“: Auch ein gesetzliches Verbot des Kopftuchtragens wäre nicht zulässig.
Juristisch korrekt auch wenn meine Vorstellung von Gerichten eine andere ist. Aber eine klare Linie (Burka?) hätte als obiter dictum gerne eingezogen werden können.
dazu lesen Sie demnächst etwas im StRR :-).
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