Beim Erstellen meines Wochenspiegels stoße ich gerade auf die Nachricht auf Welt-Online und auch in der SZ, wonach in Emden erneut ein Tatverdächtigter festgenommen worden ist. Die Nachricht war mir neu.
Da heißt es:
„… Im Fall der getöteten elfjährigen Lena in Emden hat die Polizei einen 18-Jährigen vorläufig festgenommen. Nachdem weitere Hinweise aus der Bevölkerung bei den Ermittlern eingegangen seien, habe sich der Verdacht gegen den jungen Mann konkretisiert, wie eine Polizeisprecherin in Emden mitteilte.
Auch habe das Untersuchungsergebnis des Landeskriminalamtes bezüglich der am Tatort gesicherten DNA-Spuren den Tatverdacht gegen den 18-Jährigen untermauert...“
Man kann nur hoffen, dass Polizei und StA/Gericht vor Erlass eine neuen Haftbefehls nun vielleicht doch mal in einen StPO-Kommentar schauen, um dort nachzulesen, was eigentlich ein „dringender Tatverdacht“ i.S. des § 112 StPO ist. Dazu lassen sich alle Kommentare und Handbücher mehr als breit aus. Und das ist eigentlich auch Rüstzeug eines jeden Ermittlungsrichters. Von daher fand ich es schon erstaunlich, wie schnell sich der „dringende Tatverdacht“ gegen den 17-Jährigen dann wieder verflüchtigt hatte. Welche Indizien, Beweise gab es. Nur das fehlende Alibi und die „Widersprüche“ in die sich der 17jährige (!!) bei seiner Vernehmung verwickelt haben soll. Vernehmung mit oder ohne Verteidiger/Rechtsbeistand?
Und: Man kann auch nur hoffen, dass die StA nicht wieder „zu offensiv an die Öffentlichkeit“ geht. Auch dazu auf Welt-Online:
„Auch der Berliner Strafrechtsprofessor Martin Heger kritisierte die Staatsanwaltschaft. Zwar sei es vermutlich korrekt gewesen, den 17-jährigen Berufsschüler aufgrund der Indizien und Beweise zu verhaften, sagte er „Welt Online“. Die Staatsanwaltschaft sei mit den Sachverhalten aber „zu offensiv an die Öffentlichkeit gegangen“.
Zur Rehabilitierung des Jungen müsse sie nun ebenso massiv an die Öffentlichkeit gehen. „Die Staatsanwaltschaft hat nun eine Pflicht zur Offenlegung der Entlastungsgründe – auch unter Inkaufnahme der Gefährdung des Untersuchungszwecks“, sagte Heger dem Blatt.“
Kritisch auch die SZ mit „manchmal etwas voreilig„.
Laut einer Stellungnahme seines Verteidigers wurde der 17 jährige Schüler 23 Stunden ohne Rechtsanwalt von der Polizei intensiv verhört. Erst bei der Eröffnung des Haftbefehls wurde der Verteidiger (vmtl als Pflichtverteidiger) bestellt. Man kann sich selbst ausmalen, wie das in den 23 Stunden abgelaufen ist und wie die Widersprüche entstanden sind. Das einzige gute für den 17 jährigen war, dass sich der Fall in Emden ereignet hat. In Bayern hätten wir wahrscheinlich inzwischen auch schon ein Geständnis von ihm gehabt…
Das war mir neu, aber sicherlich ausreichend belehrt und mit der Erklärung, dass auf die Beziehung eines Verteidigers trotz Belehrung verzichtet werde?
Darf ein Minderjähriger überhaupt ohne Eltern „verhört“ werden? Gibt es da nicht so etwas wie Jugendschutz?
Was meiner Meinung nach noch nicht deutlich genug angesprochen wurde, ist die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sich vor einer Polizeidienststelle (!) eine Menschgruppe (einer Wertung durch Verwendung eines anderen Begriffs enthalte ich mich) über mehrere Stunden (!) versammeln und immer wieder lautstark verlangen konnte, man solle den Verdächtigen herausgeben. Falls die Presseangaben zutreffen, habe sich diese „Versammlung“ gegen vier Uhr morgens dann von selbst aufgelöst. Nirgends habe ich aber gelesen, dass die Polizei die Gruppe zumindest aufgefordert hätte, sich zu entfernen, nirgends habe ich gelesen, dass die Personalien der Beteiligten festgestellt wurden – und das, obwohl in anderen Fällen die Latte für die §§ 125 und 126 StGB so niedrig hängt, dass es naheliegend gewesen wäre, zumindest ein entsprechendes Ermittlungsverfahren einzuleiten. Von einem Platzverweis, für den die Latte noch viel niedriger hängt, ganz zu schweigen. Ich halte es schlichtweg für eine Ungeheuerlichkeit, dass sich die Polizei offenbar nicht veranlasst gesehen hat, gegen eine solche Versammlung überhaupt einzuschreiten.
@ Marina
nach § 67 JGG haben Erziehungsberechtigte ein Anwesenheitsrecht haben bei der Vernehmung des Jugendlichen. Darüübr muss der Jugendliche belehrt werden.
@ Markus Stamm
aus der Presse ergibt sich, dass die Polizei Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Das dürfte, wenn man nicht nur Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet hat, aber voraussetzen, dass man die Namen des ein oder anderen Beteiligten kennt.
Aber doch wohl nur gegen den Initiator bei Facebook. Insoweit kann ich die Entrüstung von Herrn Stamm durchaus nachvollziehen und teilen.
Inzwischen liegt die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vor:
http://www.staatsanwaltschaften.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=22906&article_id=105834&_psmand=165
Daraus ergibt sich:
– An der Zusammenrottung waren 45 bis 50 Menschen beteiligt.
– Die Zusammenrottung fand vor dem Polizeikommissariat Emden statt.
– Aus der Zusammenrottung wurde die Herausgabe des Verdächtigen verlangt.
– Die Zusammenrottung dauerte länger als fünfeinhalb Stunden.
Daß irgendwelche Gegenmaßnahmen erfolgten, ergibt sich daraus nicht. Daß gegen andere Personen als den mutmaßlichen Urheber des Facebook-Aufrufs ermittelt, geschweige denn Anklage erhoben wurde, ergibt sich auch nicht.
Es ist völlig unverständlich und wäre – wenn nicht durch die Tatsachen hier widerlegt – nahezu unvorstellbar, daß eine Polizeidienststelle eine mehr als fünfstündige Zusammenrottung vor ihrer Haustür duldet, ohne irgendetwas dagegen zu unternehmen, und sei es nur, die Teilnehmer wegzuschicken. Bei all den Skandalen, die sich die Emder Ermittler einschließlich der Staatsanwaltschaft geleistet haben, dieser Vorgang ist für mich noch viel ungeheuerlicher als die mediale Abschußfreigabe durch die Staatsanwaltschaft, die am Zustandekommen des Lynchmobs auch ihren gehörigen Anteil hatte.