In den Bundesländern gibt es den sog. Laufbahnwechsel, in der Justiz auch etwas flapsig als „Genieaustausch“ bezeichnet. Da wechseln Richter vorübergehend zur StA und STA vorübergehend an die Gerichte (in Bayern ist das – wenn ich micht richtig erinnere – sogar obligatorisch). In der Strafjustiz kann das Probleme oder auch Vorteile bringen, je nachdem wie man es sieht. Denn ist ein Richter früher schon mal in einer Sache als Staatsanwalt tätig gewesen, dann ist er gem. § 22 Nr. 4 StPO als Richter ausgeschlossen. Und dabei kommt es auf den Umfang der Tätigkeit nicht an. Ausreichend ist jedes amtliche Handeln in der Sache, das geeignet ist, den Sachverhalt zu erforschen oder den Gang des Verfahrens zu beeinflussen. Und das wird auch erfüllt, wenn der jetzige Richter früher als StA in der Sache Akteneinsicht gewährt, eine Frist für eine eventuelle Stellungnahme eingeräumt und den Zeitpunkt der Wiedervorlage bestimmt hat (so BGH, Beschl. v. 12.08.2010 – 4 StR 378/10). Also: Es kann sich lohnen :-), die Akten auf solche Dinge mal durchzusehen.
Es ist unglaublich, wie wenig Fingerspitzengefühl viele Juristen haben. Es dürfte sich doch von selbst verstehen, daß man eine Akte als Richter nicht mehr anfaßt, die man als Staatsanwalt schon einmal in der Hand hatte. Jüngst fand ich in einer Akte den Ermittlungsrichter, der in seiner eigenen schönen Wohngegend die Durchsuchung eines Nachbarhauses angeordnet hat. Dieses wurde dann auch prompt von einem Polizeikommando kräftig durchgelüftet. Frei nach dem Motto: meine Straße bleibt sauber? Richten in eigener Sache? In meinen Augen nicht nur rechtlich bedenklich. Vielmehr fällt mir dazu das altmodische Wort „unanständig“ ein, zumal er auch noch Mitglied des Ortsbeirats ist. Die Sache endete übrigens mit einem glatten Freispruch.
Auch viele Rechtsanwälte legen eine Mischung aus Dreistigkeit, Naivität und Skrupellosigkeit an den Tag und begeben sich damit oftmals auf strafbares Gelände. Erst kürzlich erfuhr ich von einer Kollegin, die den Ehemann gegen die Ehefrau in einer Scheidungssache vertritt. Gleichzeitig vertritt sie die Ehefrau gegen den Ehemann in einer Unterhaltssache. Abgesehen davon, daß einem sofort § 356 StGB in den Sinn kommt und sich die Frage aufdrängt, ob so nah verwandte Gebiete wie Scheidung und Unterhalt nicht diesselbe Rechtssache im Sinne der Norm sind, fragt man sich, wie wenig Berufsethos man eigentlich haben kann. Darüber hinaus verstehe ich aber auch die Mandanten nicht.
Ich scheue mich bereits, neue Mandanten gegen ehemalige Mandanten zu vertreten. Das ist zwar keineswegs verboten, aber hat in meinen Augen doch ein „Geschmäckle“. Viele Kollegen haben indes keine Bedenken, Mandant X in einer Kaufsache gegen Mandant Y zu vertreten und gleichzeitig Mandant Z gegen Mandant X in einer Mietsache. Das mag nicht unzulässig sein. Wer als Mandant bei dieser Sachlage „seinem“ Anwalt jedoch weiterhin die Treue hält, hat es offenbar nicht besser verdient.
Der Wechsel zwischen StA und Richteramt ist hier völlig üblich.
In einem Umfangsverfahren vor dem LG, das ich mitdurchgefochten habe, bestand die Kammer, die über das von einem Kollegen gestellte Ablehnungsgesuch zu entscheiden hatte, ausschließlich aus Zivilrichtern, weil sämtliche Strafrichter des LG sich selbst ablehnen mussten, da sie irgendwann irgendwie einmal im Ermittlungsverfahren mit der Sache befasst waren.
Mal Allgemein:
Was ist mit der Gewaltenteilung?
@1:
Es ehrt Sie sicher, dass Sie Skrupel bei Mandatsübernahmen haben.
geht jetzt zwar am eigentlichen Thema Wechsel Richter/StA vorbei, aber:
Dass der von Ihnen genannte Ermittlungsrichter wegen bloßer Nachbarschaft befangen sein sollte, erscheint mir wenig nachvollziehbar. Bloße Nachbarschaft ohne näheren persönlichen Kontakt dürfte kaum
ausreichen für eine Befangenheit. Ich selbst kenne die wenigsten meiner Nachbarn außer vom Sehen und es soll sogar vorkommen, dass in Wohngebäuden auch niemand merkt, wenn ein Hausbewohner jahrelang tot in der Wohnung liegt.
Amtsrichter an einem kleinen AG müssten sich sonst ja fast ständig selbst für befangen erklären oder jeden Sozialkontakt (Sportverein u.a.) vermeiden oder wegziehen aus dem eigenen Sprengel.
@Klabauter
Ich glaube, Richter überschätzen ihre eigene Objektivität oder unterschätzen den verheerenden Eindruck, den sie oftmals hinterlassen. Es doch bezeichnend, daß sich Obergerichte schon ernsthaft mit der Frage beschäftigen mußten, ob die Besorgnis der Befangenheit begründet ist, wenn der Richter mit einem Zeugen oder einem Prozeßbevollmächtigten verheiratet ist oder andere verwandtschaftliche Beziehungen zu einer Partei oder deren Bevollmächtigten bestehen (vgl. OLG Celle, NDs. Rpfl. 1971, 231; LSG Rheinland-Pfalz, NJW-RR 1998, 1765; OLG Jena, MDR 2000, 540; KG, MDR 1999, 1018). Das dürfte für jedermann so selbstverständlich sein, daß die gegenteilige Auffassung des betroffenen Richters nicht nachvollziehbar ist. Ein Richter sollte jeden Eindruck einer persönlichen Verquickung mit dem Fall vermeiden, gleich ob er einen Beteiligten als Nachbarn oder als Sportskameraden kennt. Es ist ja nicht so, daß in unserer immer anonymer werdenden Welt bei Anlegung dieser strengen Maßstäbe täglich tausende von Prozessen platzten. Schließlich leben wir nicht mehr in Zeiten von Dorfrichter Adam, als der Richter noch jeden möglichen Verfahrensbeteiligten persönlich kannte. Heutige Amtsgerichtsbezirke sind für oftmals für mehrere hunderttausend Einwohner zuständig.
Es wäre zumindest eine Frage des Anstandes, solche Näheverhältnisse offen zu legen, um den Beteiligten Gelegenheit zu geben, ihre Besorgnis zu äußern. Wer sich derart offen verhält, muß vermultlich nicht mit einem Befangenheitsantrag rechnen. Wohl aber der Richter, der solche Näheverhältnisse zu verheimlichen sucht bzw. nicht offen legt.
Bei Ehe / Schwägerschaft gebe ich Ihnen Recht. Bei bloßer Nachbarschaft beabsichtige ich aus Datenschutz und Eigenschutzgründen grundsätzlich nicht, meine Wohnadresse bekannt zu geben. Sollten tatsächlich persönliche Beziehungen, die über die bloße Nachbarschaft hinausgehen, bestehen, kann und sollte das fairerweise offen gelegt werden.
Ein weiterer Gesichtspunkt in web2.0-Zeiten:
Soll man in Zeiten des Internet auch offenlegen, ob ein Beteiligter „facebook-freund“ ist?
Und ich weiß auch nicht, ob sich in Zivilsachen jeder Kläger über eine dann rein taktisch motivierte Verzögerung des Rechtsstreits mittels Richterablehnung wegen bloßer Nachbarschaft oder Mitgliedschaft bei facebook freut.