Archiv für den Monat: August 2009

In Baden-Württemberg stehen alle Kfz-Führer unter Anfangsverdacht?

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seinem Beschluss in 2 BvR 941/08 die anlasslose Videokontrolle ohne gesetzliche Grundlage beanstandet. Diese Praxis verletze das Recht des Autofahrers auf informationelle Selbstbestimmung aus Art 1, 2 GG.

So weit, so gut? Wohl nicht. Denn inzwischen ist man schon erstaunt, was da alles so veröffentlicht wird. Am erstaunlichsten finde ich die Stellungnahme aus Baden-Württemberg:

Die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende verdachtslose Videokontrolle wird im Land nicht praktiziert“, vielmehr basierten Videokontrollen in Baden-Württemberg „immer auf dem Anfangsverdacht der Begehung einer Ordnungswidrigkeit.“ Personenbezogene Daten würden nur dann aufgezeichnet, wenn ein Verstoß von den Beamten vor Ort erkannt werde. Rechtsgrundlage sei das Ordnungswidrigkeitengesetz.

Und wo war in der Entscheidung des BVerfG der Beamte: Das ist doch im Grunde genommen genau das, was das BVerfG beanstandet hat. Ich empfehle mal einen Grundkurs in der StPO.

Symposium zum Richtervorbehalt bei der Blutentnahme

Etwas außerhalb der sonstigen Thematik, aber vielleicht interessiert es ja doch. Am 05.11.2009 findet an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, Oranienburg, ein Symposium zum Thema „Richtvorbehalt contra Gefahr im Verzug – Anordnungskompetenzen der Strafverfolgungsbehörden auf dem Prüfstand“ statt. Der Veranstalter hatte mich eingeladen, ich kann aber leider aus terminlichen Gründen nicht teilnehmen. Aber vielleicht hat ja doch der ein oder andere Zeit und Lust. Die Teilnahme ist kostenfrei. Die Referenten sind schon recht hochkarätig: Neben Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff, Richter am BVerfG und VorsRiOLG Posthoff, OLG Hamm – 3. Strafsenat – noch Dr. med. Wolfgang Mattig, Leiter des Brandenburgischen Landesinstitutes für Rechtsmedizin. Nähere Informationen und ein Anmeldeformular findet man unter www.fhpolbb.de

Keine Live-Präparationen an Leichen in Körperwelten-Ausstellung

Man glaubt es nicht, wenigstens ich nicht: Das OVG Berlin-Brandenburg musste jetzt in einer Eilentscheidung das VG Berlin bestätigen, wonach im Rahmen der gegenwärtig im ehemaligen Postbahnhof stattfindenden Ausstellung „Körperwelten – Der Zyklus des Lebens“ keine sog. Live-Präparationen an menschlichen Leichen mehr vorgenommen werden dürfen.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hatte diese in einem gesonderten Ausstellungsraum („Anatomisches Theater der Moderne“) stattfindenden, für interessierte Ausstellungsbesucher zugänglichen Veranstaltungen unterbunden. Diese verstießen gegen Bestimmungen des Berliner Bestattungsgesetzes und des Sektionsgesetzes, nach denen die öffentliche Ausstellung von Leichen verboten und anatomische Sektionen, zu denen die streitigen Präparationsvorgänge gehörten, nur in entsprechend eingerichteten anatomischen Instituten stattfinden dürften. Demgegenüber hatte sich die Veranstalterin der Ausstellung auf die Freiheit von Forschung und Lehre berufen, die auch die Vermittlung von Erkenntnissen im populärwissenschaftlichen Bereich abdecke und von außeruniversitär Lehrenden in Anspruch genommen werden könne.

Das OVG hat hingegen klargestellt, dass jedenfalls im Rahmen der einschlägigen Vorschriften des Bestattungsgesetzes der postmortale Schutz der Menschenwürde und bestimmte sittlichen Wertvorstellungen der Gesellschaft für den Umgang mit toten Menschen überwiegen und zur Unzulässigkeit der Live-Präparationen führen. Zur Vermittlung und Veranschaulichung der Erkenntnisse, um die es dem Ausstellungsveranstalter gehe, bedürfe es der Vorführung an menschlichen Leichen und deren Ausstellung nicht, weil didaktisch vergleichbare Mittel den beabsichtigten Erkenntnisgewinn der Ausstellungsbesucher genauso wenn nicht sogar besser ermöglichten. Die Freiheit der Lehre finde insoweit ihre Schranke in der Menschenwürde als oberstem Verfassungswert. Der von den Ausstellungsmachern beabsichtigte Tabubruch sei deshalb ein Rechtsverstoß, der als Störung der öffentlichen Sicherheit sofort habe unterbunden werden dürfen. Die Richter hatten sich zuvor in einem Termin vor Ort einen Eindruck von den Räumlichkeiten verschafft und sich das Anliegen der Ausstellungsmacher erläutern lassen.

Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 14.08.2009 1 S 151/09

Quelle: PM 25/2009 des OVG Berlin vom 14.08.2009

Fahrtenbuchauflage – Behörde muss Kfz-Halter ggf. auch als Zeugen vernehmen

Vor der Verhängung einer Fahrtenbuchauflage darf sich die Bußgeldbehörde nicht immer darauf beschränken, den Halter des Kraftfahrzeugs, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen worden ist, als Betroffenen anzuhören. Sie kann auch verpflichtet sein, den Halter als Zeugen zu vernehmen. Das hat der VGH Baden-Württemberg mit Beschluss entschieden und damit auf den Antrag einer Kfz-Halterin aus dem Ostalbkreis vorläufigen Rechtsschutz gewährt.

Mit dem PKW der Antragstellerin war die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträchtlich überschritten worden. Das hinreichend deutliche Geschwindigkeitsmessfoto zeigt einen Mann als Fahrer. Die Bußgeldstelle des Landratsamts Heidenheim hörte die Antragstellerin gleichwohl ausschließlich als Betroffene (als mutmaßliche Täterin) an. Im Anhörungsschreiben war davon die Rede, dass ihr eine Ordnungswidrigkeit zur Last gelegt wird; der Vordruck enthielt auch einen Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht des Betroffenen. Nachdem die Antragstellerin keine Angaben zum Fahrer gemacht hatte und dieser nicht ermittelt werden konnte, verpflichtete das Landratsamt die Antragstellerin, für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz war in der Beschwerdeinstanz erfolgreich. Der VGH war der Ansicht, dass die Fahrtenbuchauflage voraussichtlich rechtswidrig sei. Die Verwaltungsbehörde könne gegenüber einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einem Verkehrsverstoß nicht möglich gewesen sei. Dies setze voraus, dass die für die Verfolgung des Verkehrsverstoßes zuständige Behörde sämtliche nötigen und möglichen, auch angemessenen und zumutbaren Schritte zur Ermittlung des Kraftfahrzeugführers unternommen habe, diese aber erfolglos geblieben seien. Hier hätte die Antragstellerin zum Zweck der Klärung der Täterschaft der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht als Betroffene, sondern als Zeugin angeschrieben und zur Aussage aufgefordert werden müssen. Auf Grund des Messfotos sei die Antragstellerin von vornherein als Täterin des Verkehrsverstoßes ausgeschieden. Damit sei sie lediglich Zeugin gewesen. Als solche sei sie grundsätzlich verpflichtet gewesen, bei der Behörde auf eine entsprechende Ladung hin zu erscheinen und zur Sache auszusagen. Diese generelle Aussagepflicht könne durch Zeugnisverweigerungsrechte, z. B. zugunsten von Angehörigen, eingeschränkt werden. Aus der rechtmäßigen Aussageverweigerung bei der förmlichen Anhörung als Betroffene könne auch nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass die Antragstellerin auch als Zeugin entgegen ihrer grundsätzlichen Auskunftspflicht keine Aussage zur Sache gemacht und damit nicht zur Klärung der Täterschaft beigetragen hätte.

VGH Baden-Württemberg vom 04.08.2009 – 10 S 1499/09

Quelle: Pressemitteilung Nr. 30 des VGH Baden-Württemberg vom 20.08.2009

24-Stunden-Eildienst des Richters für eine Blutentnahme???

Es gibt eine neue Entscheidung des OLG Hamm (3 Ss 293/08), die wohl über die bisherigen hinausgehen und in den Gründen die Einrichtung eines 24h-Eildienstes einfordern soll (vgl. u.a. http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2009-08/14734086-neue-westfaelische-justiz-muss-fuehrerscheine-zurueckgeben-bei-blutproben-ohne-richterspruch-von-hubertus-gaertner-007.htm). Die wird sicherlich für Aufregung bei der Justiz sorgen, denn ggf. geht das sogar über die Rechtsprechung des BVerfG hinaus.