Schlagwort-Archive: LG Wuppertal

StPO III: Terminierung ohne Terminsabsprache, oder: Terminsverlegung ist die Folge

Bild von Darkmoon_Art auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zur Terminsverlegung. Der LG Wuppertal, Beschl. v. 24.11.2023 – 23 Qs 130/23 – kommt zwar in einem Bußgeldverfahren ergangen, die vom LG entschiedene Problematik spielt aber nicht nur dort, sondern auch in Strafsachen – beim AG – eine Rolle.

Der Verteidiger hatte Terminsverlegung beantragt, weil er an dem bestimmten Termin durch eine anderer Hauptverhandlung verhindert war. Das AG lehnt ab, das LG Wuppertal gibt dem Verteidiger im Beschwerdeverfahren Recht:

„Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht § 305 Satz 1 StPO nicht entgegen, da die Ablehnung, den Hauptverhandlungstermin vom 30.11.2023 (10.20 Uhr) zu verlegen, eine über die bloße Ablehnung hinausgehende selbständige Bedeutung entfaltet, Denn dadurch wird das Recht des Betroffenen, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, berührt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Aufl., § 213 Rz, 9 mwN). An dem anberaumten Hauptverhandlungstermin ist der Wahlverteidiger des Betroffenen, Rechtsanwalt pp., an der Wahrnehmung des Termins aufgrund eines zeitgleichen (bereits um 10.15 Uhr beginnenden) Termins, den er aufgrund älterer Ladung vor dem Amtsgericht Hattingen wahrzunehmen hat, gehindert.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Generell hat ein Betroffener – wie ein Angeklagter im Strafverfahren (vgl. §§ 137 StPO, 46 Abs. 1 OWIG) – das Recht, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Zwar folgt daraus nicht, dass bei Jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Betroffenen nicht durchgeführt werden könnte. Der Vorsitzende hat indes über die Terminierung (§ 213 StPO) und Anträge auf Verlegungen bzw. Aufhebungen nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten, namentlich also auch des Rechts des Betroffenen, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, zu entscheiden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 213 Rz. 7 f,), Zwar ist der Vorsitzende nicht verpflichtet, einen Termin vor dessen Anberaumung mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten abzustimmen. Hat eine Terminsabsprache nicht stattgefunden, muss sich der Vorsitzende Jedoch bei substantiierten Verlegungsanträgen eines Verteidigers, der das Vertrauen des Betroffenen genießt, Jedenfalls ernsthaft bemühen, dessen nachvollziehbarem Begehren im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten des Spruchkörpers Rechnung zu tragen. Im Beschwerdeverfahren ist lediglich zu überprüfen, ob der Vorsitzende bei seiner Entscheidung sämtliche relevanten Gesichtspunkte eingestellt und rechtsfehlerfrel gegeneinander abgewogen hat oder ob er sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat; die Zweckmäßigkeit seiner Entscheidung ist hingegen der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht entzogen (s. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 213 mwN).

Dieser eingeschränkten Nachprüfung hält die angefochtene Verfügung des Amtsrichters vom 02.11.2023, mit der er den Terminsverlegungsantrag des Verteidigers abgelehnt hat, nicht stand. Die Entscheidung Ist ermessensfehlerhaft! Sie orientiert sich letztlich daran, dass der Termin bereits zuvor einmal wegen einer, Verhinderung des Verteidigers verlegt worden war, nachdem dieser die Verhinderung durch einen anderen Gerichtstermin, zu dem er früher geladen worden war, mitgeteilt hatte, und dass nach derzeitigem Stand keine Verhinderungen der als Zeugen geladenen Polizeibeamten bestünden. Der zugleich vorgetragenen Bitte das. Verteidigers, einen Ausweichtermin abzustimmen, ist der Amtsrichter nicht nachgekommen, sondern hat den Termin auf den 30,11.2023 verlegt. Da der Versuch einer Terminsabsprache nicht stattgefunden hat, hätte sich der Amtsrichter indes bei einem wie hier substantiierten Verlegungsantrag Jedenfalls ernsthaft bemühen müssen, dessen nachvollziehbarem Begehren im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten des Spruchkörpers Rechnung zu tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 312), zumal die in Rede stehenden Rechtsfolgen (700,- Euro Geldbuße, dreimonatiges Fahrverbot) belangvoll sind. Dass die Kapazitäten dem durchgreifend entgegenstünden, belegt jedenfalls der formelhafte Hinweis in der Nichtabhilfeentscheidung nicht, zumal die Terminierung mit zeitlichem Vorlauf erfolgt und das Verlegungsgesuch zeitnah angebracht und substantiell begründet worden ist.“

Mit der Entscheidung kann man etwas anfangen – das LG hat im Übrigen ja schon mal ähnlich entschieden.

Pflichti I: Schwere der Tat bei mehreren Verfahren, oder: Bestellung eines Betreuers

© fotomek -Fotolia.com

Heute dann mal wieder ein Pflichti-Tag. Ein paar Entscheidungen haben sich angesammelt.

Ich beginne den Reigen mit zwei LG-Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

Ein geringfügiges Delikt rechtfertigt nicht schon dann die Bejahung des Merkmals der „Schwere der Tat“ im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO, weil später voraussichtlich eine Freiheitsstrafe/ (Einheits-) Jugendstrafe von mehr als einem Jahr unter Berücksichtigung des hiesigen geringfügigen Delikts zu erwarten ist. Vielmehr ist eine Prüfung im Einfall erforderlich, ob das andere Verfahren und die Erwartung einer späteren Gesamtstrafe/Einheitsjugendstrafe das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöht, dass die Mitwirkung des Verteidigers geboten ist.

Es macht nicht jede Bestellung eines Betreuers – auch nicht für den Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden – die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich, sondern es ist jeweils eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Ist aber die Betreuung mit einem weiten Aufgabenkreis eingerichtet worden und besteht sogar ein Einwilligungsvorbehalt für Vermögensangelegenheiten ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

Haft III: Zulässige Dauer von sog. Organisationshaft, oder: Umstände des Einzelfalls maßgebend

© Elena Schweitzer – Fotolia.com

Und als dritte Entscheidung dann ein weiterer Beschluss zur Organisationshaft, und zwar der LG Wuppertal, Beschl. v. 17.07.2023 -21 StVK 736/23 (10 Js 421/22).  Das LG führt zur zulässigen Dauer von Organisationshaft aus:

„Die Organisationshaft stellt grundsätzlich einen Verstoß gegen die richterlich angeordnete Vollstreckungsreihenfolge dar und ist als regelwidriges Institut der Freiheitsentziehung anzusehen; weil indes aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen eine zeitliche Verzögerung bei der Vollstreckung einer durch Strafurteil angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB in der Regel unvermeidbar ist, liegt dann noch keine — gesetzeswidrige und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechende — Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge vor, wenn eine verurteilte Person sich für diejenige kurze Zeitspanne in Organisationshaft befindet, welche die Vollstreckungsbehörde nach Rechtskraft der erfolgten Anordnung unter Berücksichtigung des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebotes benötigt, um einen vorhandenen Maßregelvollzugsplatz gegebenenfalls auch in einem anderen Bundesland — zu lokalisieren und den Verurteilten dorthin zu überführen (OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.09.2020, 1 Ws 205/20, juris Rn. 21 f. m.w.N.). Welche Zeitspanne für diesen verwaltungstechnischen Vollzug der Überstellung des Verurteilten in die Maßregeleinrichtung als (noch) zulässig anzusehen ist, lässt sich nicht generell bestimmen, sondern hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (OLG Braunschweig a.a.O., juris Rn. 23 m.w.N.; für eine solche Einzelfallbetrachtung auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.02.2023, 1 Ws 97/22, juris Rn. 8 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen ist die Vollstreckung von Organisationshaft im Verfahren zum Az. 10 Js 3098/19 der Staatsanwaltschaft Wuppertal im jetzigen Zeitpunkt nicht mehr zulässig.

Die Organisationshaft in diesem Verfahren dauert seit Rechtskraft des zugrunde liegenden Urteils bereits über 16 Wochen. Zwar ist der Staatsanwaltschaft zuzugeben, dass sie sich nach Eintritt der Rechtskraft zeitnah durch wiederholte Anfragen bei der Maßregelvollzugsbehörde um die Bereitstellung eines Unterbringungsplatzes bemüht hat. Jedoch hängt die Zulässigkeit der Organisationshaft nicht allein davon ab, ob die Vollstreckungsbehörde alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um auf eine zeitnahe Überführung in den Maßregelvollzug hinzuwirken.

So ist die Organisationshaft nach den vorerwähnten Maßstäben von dem Zeitpunkt an unzulässig, bis zu dem die Vollstreckungsbehörde bei dem gebotenen beschleunigten Vorgehen klären kann oder hätte klären können, ob für den Verurteilten ein Unterbringungsplatz zur Verfügung steht oder nicht (OLG Celle, Beschl. v. 19.08.2002, 1 Ws 203/02, NStZ-RR 2002, 349 [350]). Auch ist eine weitere Organisationshaft nicht mehr zulässig, sobald sich im Rahmen der entfalteten Bemühungen ergibt, dass ein solcher Platz nicht zur Verfügung steht (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 25.1 1.2003, 4Ws 537/03 u. 4Ws 569/03, NStZ-RR 2004, 381 [3821 m.w.N.). Die Zeit, während derer die Vollstreckungsbehörde lediglich noch in erzwungener Untätigkeit auf das Freiwerden eines — auch nur vage in Aussicht gestellten — Vollzugsplatzes wartet, fällt nicht unter die zur Organisation der Überstellung in die gerichtlich angeordnete Maßregelunterbringung unerlässliche Zeitspanne (OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.09.2020, 1 Ws 205/20, juris Rn. 23 m.w.N., ähnlich OLG Hamm, Beschl. v. 07.05.2019, 111-1 Ws 209/19, juris Rn. 15). so lag es im vorliegenden Fall allerspätestens am 11.07.2023. Denn die Maßregelvollzugsbehörde hatte bereits am 31.03.2023 mitgeteilt, dass derzeit kein Unterbringungsplatz zur Verfügung stehe, ohne das Freiwerden eines Platzes in überschaubarem Zeitraum auch nur vage in Aussicht zu stellen. Hieran änderte sich bis zum 10.07.2023 nichts, sodass spätestens zu diesem Zeitpunkt — ob bereits früher und ggf. zu welchem konkreten Zeitpunkt, bedarf hier keiner Entscheidung — eine Situation vorlag, in der mit dem Freiwerden eines Platzes im Maßregelvollzug nicht konkret gerechnet werden konnte und die weitere Wartezeit völlig ungewiss war. Das gilt auch unter Berücksichtigung der laut Staatsanwaltschaft — möglicherweise gezwungenermaßen, freilich etwas umständlich — im Berichtswege über Ministerialebenen entfalteten Bemühungen um eine Unterbringung in anderen Bundesländern, zumal auf den Erlass vom 05.04.2023 bis zum 10.07.2023 keine Reaktionen der Stellen, die so letztlich wohl erreicht werden sollten, im Vollstreckungsheft aktenkundig oder sonst bekannt geworden sind.

Soweit der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf Bedenken gegen die Bewertung „bloßen Zuwartens“ auf einen freiwerdenden Therapieplatz als unzulässig vollzogene Untersuchungshaft geäußert hat, betrifft dies ausdrücklich Fälle einer noch „angemessene[n] Zeit des Zuwartens“ (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.03.2021, 2 Ws 37/21, juris Rn. 14). Hiernach soll es, soweit für die Kammer ersichtlich, nur nicht dazu kommen, dass ein Verurteilter, der sich erst seit wenigen Tagen in Organisationshaft befindet, aus dieser entlassen werden müsste, wenn sich unmittelbar herausstellt, dass ein Unterbringungsplatz derzeit nicht, wohl aber kurzfristig verfügbar ist. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Es sind seit Rechtskraft des Urteils bereits mehrere Monate vergangen, ohne dass ein Platz im Maßregelvollzug verfügbar wurde oder konkret in Aussicht gestellt werden konnte. Selbst wenn es — insbesondere verfassungsrechtlich – nicht geboten sein sollte, Behandlungsplätze im Maßregelvollzug jederzeit und auch kurzfristig verfügbar zu halten, besteht im Grundsatz die seit Langem bekannte Rechtspflicht der Verwaltung und der Haushaltsgesetzgeber in den Bundesländern, die praktische Vollstreckbarkeit der Bundesrecht konkretisierenden Strafurteile sicherzustellen, und zwar, soweit dies vom Vorhandensein finanzieller Mittel abhängt, unter Hintansetzung anderer, politisch zwar erwünschter, aber nicht in diesem Sinne unerlässlicher Vorhaben (OLG Braunschweig a.a.O., juris Rn. 23; OLG Hamm, Beschl. v. 25.1 1.2003, 4 Ws 537/03 u. 4 569/03, NStZ-RR 2004, 381 [382]). Dass hier über mehr als 15 Wochen nach Rechtskrafteintritt nicht einmal ein voraussichtliches künftiges Freiwerden von Kapazitäten in Nordrhein-Westfalen oder einem anderen Bundesland terminlich konkretisiert werden konnte, erscheint als Folge einer unzureichenden Umsetzung dieser Rechtspflicht, die nicht zulasten des betroffenen Verurteilten gehen darf.

Nichts Anderes ergibt sich unter zusätzlicher Berücksichtigung der Gefährlichkeit des Verurteilten und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit im Rahmen der Einzelfallabwägung. Eine hangbedingte Gefahr neuer Straftaten ist bei Verurteilten, deren Unterbringung nach S 64 StGB angeordnet wurde, naturgemäß gegeben, da unter anderem dies Voraussetzung der Unterbringungsanordnung ist, und kann daher nicht schlechthin den (weiteren) Vollzug einer ansonsten unzulässigen oder unzulässig gewordenen Organisationshaft rechtfertigen. Umstände, die eine (weitere) Freiheitsentziehung hier erforderlich machen, sind nicht ersichtlich.

An der somit spätestens am 10.07.2023 eingetretenen Unzulässigkeit des weiteren Vollzugs der Organisationshaft änderte die am 11.07.2023 unerwartet entstandene Perspektive der Überführung des Verurteilten in den Maßregelvollzug am 18.07.2023 nichts.“

Termin III: „.. nimm doch einen anderen Verteidiger“, oder: Auch im OWi-Verfahren Anwalt des Vertrauens

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann als dritte Entscheidung noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 11.11.2022 – 26 Qs 230/22 (523 Js 644/22). Der stammt zwar aus dem Bußgeldverfahren, die Fragen der Terminierung bzw. der Terminsverlegung spielen aber auch da eine große Rolle.

Hier hatte die Amtsrichterin eine Terminsverlegung (mal wieder) mit der Begründung abgelehnt, der Betroffene könne ja einen anderen Verteidiger wählen. Das LG ist dem nicht gefolgt:

„Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Auch in einem Bußgeldverfahren hat der Betroffene regelmäßig das Recht, sich durch einen Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu lassen. Diese Gewährleistung ist Ausdruck seines von Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren (BayObLG, BeckRS 2020, 35554; OLG Brandenburg, BeckRS 2020, 35233; OLG Köln, BeckRS 2005, 13580; BayObLG, BeckRS 2001, 8950). Die Terminierung ist zwar Sache der Vorsitzenden. Die Vorsitzende ist aber gehalten, über Terminsverlegungsanträge nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (BayObLG, BeckRS 2020, 35554; OLG Brandenburg, BeckRS 2020, 35233; OLG Bamberg, Beschluss vom 04.03.2011, Az. 2 Ss OWi 209/11). In die Abwägung einzustellen sind insbesondere die Bedeutung der Sache, die Lage des Verfahrens bei Eintritt des Verhinderungsfalles, der Anlass, die Voraussehbarkeit und die voraussichtliche Dauer der Verhinderung, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und damit zusammenhängend die Fähigkeit des Betroffenen, sich selbst zu verteidigen und das Gebot der Verfahrensbeschleunigung.

Gemessen an diesen Anforderungen leidet die Entscheidung hier an einem Ermessensfehler. Denn das Amtsgericht hat sich bei Ablehnung der Terminsverlegung maßgeblich darauf gestützt, dass der Termin bereits mehrfach verlegt worden sei und der Betroffene einen anderen Verteidiger wählen könne. Vorliegend ist der Betroffene durch den Bußgeldbescheid nicht nur mit einem Bußgeld, sondern auch mit einem Punkt im Fahreignungsregister belegt worden, was keine ganz unerhebliche Sanktion darstellt. Zudem droht dem Betroffenen hierdurch der (erneute) Verlust der Fahrerlaubnis, da er bereits mehrfach einschlägig vorbelastet ist. In dieser Lage kann dem Betroffenen nicht verwehrt werden, sich von dem Verteidiger seines Vertrauens, der ihn bereits seit längerer Zeit vertritt, vertreten zu lassen. Auch ist keine auf Prozessverschleppung ausgerichtete Verteidigungsstrategie erkennbar, da der Verteidiger ausdrücklich eine telefonische Terminsabsprache angeboten hat, das Amtsgericht diese Möglichkeit jedoch nicht in Betracht gezogen hat. Eine Verjährung droht — auch vor dem Hintergrund einer nicht näher dargelegten „angespannten Terminslage“ des Amtsgerichts – ebenfalls noch nicht, da eine absolute Verjährung erst im Februar 2024 eintreten kann.

Da die Vorsitzende somit von dem ihr zustehenden pflichtgemäßen Ermessen keinen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, waren der angefochtene Beschluss und der Hauptverhandlungstermin vom 01.12.2022 aufzuheben. Da vorliegend aufgrund der Terminskollision des Wahlverteidigers nur eine Aufhebung bzw. Verlegung des Termins vom 01.12.2022 in Betracht kommt, kann die Kammer als Beschwerdegericht diese Entscheidung auch selbst treffen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O.).“

Keine Auslagen nach Rücknahme der Berufung der StA, oder: Warum wird die Landeskasse geschützt?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann als zweite gebührenrechtliche Entscheidung dann noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 16.05.2022 – 23 Qs 63/22. Der Beschluss behandelt noch einmal die Problematik der Auslagenerstattung für den Angeklagten betreffend die Verteidigerkosten, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor Begründung zurücknimmt.

Das LG Wuppertal reiht sich mit seiner Entscheidung in den Chor der Stimmen ein, die meinen: Die werden nicht erstattet:

„Die Kammer schließt sich auch in der Begründung den zutreffenden Erwägungen des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses an. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine günstigere Entscheidung. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (etwa Beschluss vom 17.04.2019 — Az. 23 Qs 82/19) gelten als notwendig nur die Auslagen, die aufgrund eines berechtigten Schutzinteresses aufgewendet worden sind. Die Gebühren und Auslagen deren Festsetzung die Verteidigung mit Schriftsatz vom 20.05.2021 beantragt hat, sind jedoch — soweit sie nicht die erste Instanz       betreffen und damit durch den bereits erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss erledigt sind — nicht notwendig. Der Kostenfestsetzungsantrag wurde daher, soweit er die Positionen für die Berufungsinstanz anbelangt (80,- VV 4124, 80,- VV 4141, 20,- W 7002, 34,20 VV 7008, insgesamt 214,20 Euro), zu Recht vom Amtsgericht Mettmann zurückgewiesen.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung berührt die Einlegung der Berufung durch die Staatsanwaltschaft die Sphäre des früheren Angeklagten noch nicht derart weitgehend, dass für ihn ein berechtigter Anlass bestand, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt kostenpflichtige anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist zwar zutreffend, dass nach den Vorschriften der Strafprozessordnung die Begründung der Berufung weder erforderlich noch zwingend vorgeschrieben ist. Der rechtskundigen Verteidigung ist jedoch bekannt, dass die Staatsanwaltschaft ein von ihr eingelegtes Rechtsmittel aufgrund der Richtlinien für das Strafverfahren zu begründen hat und dem früheren Angeklagten durch die Einlegung der Berufung ohne Begründung keine Nachteile entstehen können. Der Verteidiger weiß auch, dass die Rechtsmitteleinlegung noch nicht bedeutet, dass das Rechtsmittel auch tatsächlich weiter verfolgt wird. So liegen die Dinge auch hier.

Vor Kenntnis der Begründung des von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels sind keine sachgerechten Vorbereitungen zur weiteren Verteidigung möglich oder erforderlich. Diese werden erst dann notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel begründet und damit den Umfang der Anfechtung klar umrissen hat. Es ist dem früheren Angeklagten zwar unbenommen, sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen. Die dadurch entstehenden Auslagen können jedoch nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden. Denn zu diesem Zeitpunkt genügt seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft. Es liegen auch keine Umstände vor, die im vorliegenden Fall eine Eile bei der Verteidigung hätten begründen können. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass bereits zu diesem früheren Zeitpunkt die Erforderlichkeit bestand, in einem doch eher einfach gelagerten Fall eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Der allein sachgerechte und notwendige Rat des Verteidigers, zunächst die Berufungsbegründung abzuwarten, löst keine besondere Gebühr aus.“

Der Beschluss gehört m.E. zu der Rubrik: „Hätte man besser nicht gelesen“. Denn es folgt bereits aus dem Beschluss selbst, dass die Auffassung des LG falsch ist. Denn. wenn es „dem früheren Angeklagten zwar unbenommen [ist], sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen„, dann ist nicht nachvollziehbar, warum „die dadurch entstehenden Auslagen ….. jedoch nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden“ können. Auch, wenn „zu diesem Zeitpunkt …… seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft“ genügt, folgt daraus doch nicht, dass der Angeklagte die Auslagen nicht erstattet erhält. Die Kammer geht selbst von der Notwendigkeit eines solchen (kurzen) Hinweises aus, will der Staatskasse die dadurch entstehenden Kosten/Auslagen aber nicht erstatten. Mir erschließt sich nicht, warum man die Staatsanwaltschaft/die Landeskasse an der Stelle so schützt. Die andere – richtige – Auffassung hätte ja vielleicht auch dann mal endlich zur Folge, dass von den Staatsanwaltschaften nicht so viele Berufungen eingelegt werden, die man dann wieder zurücknimmt. Getreu dem Satz: Ist egal, kostet ja nichts.